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In The Zone: Warum man Programmierer manchmal stören sollte

von Kathrin Passig
Wenn bei Programmierern der Code fliesst, spricht man sie besser nicht an. Sie sind dann in the zone, haben gerade genau den richtigen Flow. Dabei braucht auch ihr Kopf mal Auslauf.

Programmierer sind meistens kluge Leute. Sie schreiben Programme, die manchmal etwas Nützliches, manchmal etwas weniger Nützliches tun und im bes­ten Fall gar nicht mal so viele Fehler haben. Weil Programmierer aber meistens klug sind, erfinden sie zwischendurch noch andere Dinge. Zum Beispiel haben sie einen Zustand erfunden, den sie „the zone“ nennen und der gerne hervorgekramt wird, wenn ein Programmierer gerade nicht gestört werden möchte.

Der Mythos des In-der-Zone-Seins hat dabei nichts mit der ehemaligen DDR zu tun.

Der Mythos des In-der-Zone-Seins hat dabei nichts mit der ehemaligen DDR zu tun, sondern bezeichnet den Zustand, wenn man sich gerade so richtig gut irgendwo eingearbeitet hat, alle Zusammenhänge im Kopf frisch verdrahtet sind und man tranceähnlich vor sich hin programmiert. Alles fließt wie ein fröhliches Flüsschen dahin, die Finger tippen Codezeile für Codezeile. Wehe, wenn man jetzt stört. Man wird mit bösen Blicken bedacht und muss möglicherweise Schimpftiraden über sich ergehen lassen, wie man es wagen könne, die Programmiererin jetzt, gerade jetzt, AUSGERECHNET JETZT in ihrem Flow zu stören. Sie wird schwer seufzen, das Anliegen zur Kenntnis nehmen und dann schnell wieder die Kopfhörer aufsetzen.

Das haben sich die Programmierer natürlich klug ausgedacht, denn wer weniger gestört wird, wird seltener mit doofen Aufgaben belästigt und darf öfter und länger einfach nur programmieren. Allerdings sind Unterbrechungen nicht immer zu vermeiden: Blitzeinschläge, Handwerkertermine, Feuersbrünste und Druck auf der Blase muss man als höhere Gewalt akzeptieren. Außerdem ist ununterbrochenes, konzentriertes Arbeiten körperlich ungesund, irgendwann geht es nicht mehr, weil man schon nach kurzer Zeit Schmerzen bekommt, die sich weigern, in ebenso kurzer Zeit zu verschwinden. Wer über 30 ist, wird wissen, was wir meinen, oder es übermorgen herausfinden.

Die gute Nachricht ist: Man kann lernen, mit Unterbrechungen zu leben. Die noch bessere Nachricht ist: Wenn man die richtigen Strategien entwickelt, verbessert sich dadurch sogar die Qualität des Codes. Wenn man schon beim Schreiben darauf achtet, dass man nicht erst 263 Verknüpfungen im Hirn zusammenbasteln muss, um den Code zu verstehen, wird das auch den nächsten Programmierer freuen. Und Bugs oder Verbesserungen, die einem während des Codes auf- oder einfallen, behält man eben nicht einfach im Kopf, wo sie bei der kleinsten Erschütterung ins Nichts fallen, sondern notiert sie auf einem Zettel.

Solche Vorkehrungen sorgen nicht nur für mehr Frieden am Arbeitsplatz. Manchmal muss man den Code wieder hervorkramen, den man letztes Jahr geschrieben hat — die Auftraggeber wünschen sich Änderungen, oder beim Jahreswechsel ist überraschend alles in Stücke gefallen, weil man nur Jahreszahlen von 0 bis 2014 vorgesehen hatte.

Es ist gut, Programmiererinnen hin und wieder zu stören.

Und außerdem sollte die Programmiererin dankbar sein, wenn man sie gegen ihren Willen aus ihrer Zone zerrt. Es tut dem Gehirn nämlich gar nicht immer gut, stundenlang an einem Problem herumzuknapsen. Zwar mag es sich anfühlen, als ob man noch nie so tief im Code gesteckt habe wie jetzt gerade, das Gehirn wird dabei aber auch sehr müde und vergisst, kreativ zu denken. Nach einem harten Tag voll vergeblicher Fehlersuche geht man nach Hause und legt sich ins Bett. Am nächsten Morgen weiß man auf einmal, wo das Problem sitzt, und erledigt ­alles in 15 Minuten. Das Gehirn braucht Pausen vom Denken, sonst mag es nicht mehr abseits des eingeschlagenen Weges nach anderen Möglichkeiten gucken.

Deshalb ist es gut, Programmiererinnen hin und wieder zu stören: Man tut ein gutes, erzieherisches Werk. Eventuell trägt man auf diesem Weg sogar dazu bei, die Codequalität auf einem hohen Niveau zu halten. Am besten unterbricht man Programmiererinnen mit dem Hinweis auf Schokoladenkuchen. So ist die Dauer der Verärgerung nur kurz, und man sorgt zusätzlich für einen ausgeglichenen Serotoninhaushalt aller Beteiligten.

Kathrin Passig und Anne Schüssler schreiben leidenschaftlich Blogs, Tweets und Code. In WIRED geben sie regelmäßig Überlebenstipps für Nachwuchsprogrammierer. In ihrer letzten Kolumne erklärten sie, wie man Programmierer besser verstehen kann.

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