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Die Tulpenmädchen von Instagram

von Anja Rützel
Die Tulpenmädchen auf Instagram machen mobil gegen Nachkaufspaß und Duftkerzenimitatoren: Meine Knittervase gehört mir!

Rückwärtsschauende Menschen sehnen sich ja gerne die heilen Seiten ihrer Kindheit zurück: der erste Tag der großen Sommerferien, irgendeine krude Eissorte. Ich fand diese vermeintlich schönen Momente schon als Kind nicht besonders überzeugend. Heute erinnere ich mich am liebsten an die schlimmen Momente aus frühen Tagen — weil sich dabei in den meisten Fällen ein wohliges Rührungsgefühl angesichts dessen einstellt, was mir früher so alles als schrecklichstes Vorkommnis überhaupt erschien. Jetzt mal gemessen an der alltäglichen Durchschnittspein, die man heute  als Erwachsener aushalten soll.

Die erwachsene Variante davon kann bei Instagram beobachten, vor allem, wenn man sich zu den Tulpenmädchen verirrt.

Anja Rützel

Damals war es ein beliebter Anlass, auf ewig geschmiedete Freundschaften zu beenden, wenn die beste Freundin einem hinterrücks einen besonders tollen Pullover/Füller/Haarclip/Firlefanz nachkaufte, den man gerade selbst erst stolz wie Bolle in der Schule präsentiert hatte. Da bekam man eine erste kindliche Ahnung davon, wie wichtig Dinge einmal werden würden, um zu zeigen, wer wir sind und sein wollen. Und zwar bitte schön wir ganz exklusiv und alleine, nicht etwa noch die Tausenden von anderen Käufern auch, und schon gar nicht die beste Freundin.

Die heutige, sogenannte erwachsene Variante davon kann man aufs Schönste bei Instagram beobachten, vor allem, wenn man sich zu den Tulpenmädchen verirrt, jenen zeitgenössischen Nachfahrinnen von Puttchen Brammel. Sie zeigen neben supercleanen Depressionsfrühstücken vor allem propere Wohnungsdeko: kleine Altäre in hellen skandinavischen Mattfarben, bestückt mit ganz bestimmten Duftkerzen, ganz bestimmten Tablettchen, einer ganz bestimmten Art von Sukkulenten, einer ganz bestimmten, origamiesk gefalteten Vase von Bloomingville und eben natürlich Tulpen. Oder Ranunkeln, gehen auch.

Blättert man durch diese meditativen Klonarrangements, fühlt man sich fast wie der verzweifelte Tropf, der die Hydra zur Strecke bringen wollte, jenes vielköpfige Seeungeheuer: Schlug man ihr einen Kopf ab, wuchsen an seiner Stelle gleich zwei neue. Klickt man eine gefaltete Tulpenvase weg, erscheinen im nächsten Fenster zwei weitere. Mitunter wird in den Kommentaren  dann auch gezetert und geklagt, dass die Bildeinstellerin ihren Tand nur anderswo abgeschaut und nachgekauft habe. Unbemerkt verheddern sich die Mädchen in eines der großen Paradoxe ihres Mikrobloggerwesens: Wenn ich zeige, was mein ist — hört es dann auf, meins zu sein? Weil es zum Allgemeingut wird, das nacharrangiert wird. So wie man es, ehrlicherweise, ja auch nur von anderswo kopiert und nacharrangiert hat. Eine Vervielfältigungsmaschine, auf deren Knopf jeder einmal drücken darf.

Nur den Glauben an die eigene Individualität kann man sich an den Vintage-Filzhut stecken.

Anja Rützel

Wunderschön und grauenvoll ist das Ergebnis auf einem eigenen Tumblr zu betrachten: The Kinspiracy sammelt jene Instagrambilder, auf denen — neben einer Ausgabe des Magazins "The Kinfolk Table", dem Zentralorgan des Tulpenwesens und des korrekten Mandelmilchschaums — der immergleiche Slow-Living-Tand zu sehen ist: schönfarbige Eiscremekugeln vor knallbunter Häuserwand, alte VW-Busse (bevorzugt orange), Zitronen in weißriffeligen Schalen, beigefarbene Welpen. „Ja, wir sind alle völlig verschieden“, blöken die Bilder, wie die Gläubigenschar in "Das Leben des Brian". 

Na, warum nicht auch mal Tulpen kaufen, sehen ja schön aus. Und dann davon ein Foto posten. Nur den Glauben an die eigene Individualität kann man sich an den Vintage-Filzhut stecken, mit jedem Bild schnurrt die Kopiermaschine weiter. „You can’t have your cake and eat it“, sagt man im Englischen. Vielleicht ist es ein lohnendes Projekt, derartige Weisheiten in zeitgemäße Entsprechungen zu übersetzen. Den ersten neuen Lehrsatz können sich die Bilderbuchmädchen mit blassblauem Kreuzstich auf ein apricotfarbenes dänisches Kissen sticken: Man kann seine Vase nicht instagrammen und für sich behalten. Dazu empfehle ich im Hintergrund eine Diptyque-Kerze in der Duftrichtung Figuier.

Anja Rützel mag Tulpen am liebsten, deren Ränder sich leicht braun färben, und Duftkerzen, die nach abgebranntem Haus riechen. Auf Instagram macht sie darum niemand nach. 

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