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Anouk Wipprecht entwirft Sci-Fi-Kleider, die sich wehren können

von Sonja Peteranderl
Falls jemand der Trägerin zu nahe kommt, fährt das Spinnenkleid drohend die weißen Beine aus – wie ein tierischer High-Tech-Schutzschild. Der „Spider Dress 2.0“ ist die neue Kreation der niederländischen FashionTech-Designerin Anouk Wipprecht.

Dieser Artikel erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des WIRED Magazins im März 2015. Wenn ihr die Ersten sein wollt, die einen WIRED-Artikel lesen, bevor er online geht: Hier könnt ihr das WIRED Magazin testen.

Mit Bio-Sensoren erfasst das wehrhafte Kleid, wie sich der Atem der Trägerin verändert — aber auch die Geschwindigkeit, mit der sich jemand nähert, beeinflusst die Abwehrreaktion. Bleibt die Trägerin entspannt und das Gegenüber kommt langsam heran, kann es sogar sein, dass die Spinne freundlich mit den Beinchen winkt. Auch die schwarzen Spinnenaugen können je nach Stimmung aufblitzen oder leuchten.

Die Designerin liest keine Science-Fiction, ihre Helden sind real.

„Bei Mode geht es um Ausdruck und Kommunikation. Ich finde es faszinierend, wenn Fashion interaktiver und sensorischer wird, wenn Technologie das Ich erweitert“, sagt die Designerin Anouk Wipprecht. Sie kombiniert Inspirationen aus Wissenschaft, Technik und Interaktionsdesign zu tragbaren Kunstwerken, die Models in Protagonisten magischer Sci-Fi-Welten verwandeln. Der „Spider Dress 2.0“ vereint gleich mehrere Innovationen: die komplizierte Mechatronik der Spinnenarme, das Sensorsystem und 3D-Druck — 60 Stunden dauerte es, die komplexen Formen auszudrucken, fünf Monate brauchte Wipprecht für das Design des Prototypen insgesamt.

„Anstatt Ideen aus Science-Fiction zu reproduzieren, beziehe ich meine Arbeit eher auf die Natur, das Verhalten von Tieren und Biomimikry“, sagt die Designerin. Sie liest keine Science-Fiction-Literatur, Fernsehen interessiert sie nicht. „Meine Helden sind real, wie der Anthropologe Edward T. Hall, der Zoologe und Philosoph Ernst Haeckel oder Tesla“, erzählt Wipprecht.

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Mit ihren Werken möchte sie den Status Quo von FashionTech erweitern: Während andere daran arbeiten, Mode mit technologischen Zusatzfunktionen aufzurüsten, die mit dem Material verschmelzen, stellt sie Hightech in den Vordergrund. Mode wird bei ihr zum Screen, der Daten visualisiert. „Meine Designs spiegeln in Echtzeit wieder, was sich bei der Trägerin meiner Kleider gerade emotional abspielt und was im Nahbereichgerade geschieht“, sagt sie. „Meine Entwürfe sind sehr extrovertiert — und mit jedem Projekt versuche ich noch eins draufzusetzen.“

Die niederländische Designerin ist ein Shooting-Star der FashionTech-Szene — weil ihre Arbeiten futuristisch-elegant aussehen und smart reagieren, statt nur wild zu blinken. Wipprechts Werke messen Signale des Körpers, erkennen etwa Stress und reagieren auf Reize aus der Umwelt.

Mit Fashion und Technologie zu arbeiten, ist für mich die ideale Kombination aus Stil und Intelligenz.

Anouk Wipprecht

Ihre FashionTech-Karriere hat Anouk Wipprecht mit klassischem Modedesign begonnen, doch das langweilte sie irgendwann. In den letzten Jahren ihres Studiums experimentierte sie deswegen mit den Möglichkeiten tragbarer Technologie. 2007 zog sie nach Schweden, um in Malmö Interaktionsdesign zu studieren und mit Arduino zu arbeiten. „Mit Fashion und Technologie zu arbeiten, ist für mich die ideale Kombination aus Stil und Intelligenz“, sagt Wipprecht.

Heute jettet die Designerin durch die Welt und präsentiert ihre Arbeiten bei Tech-Events wie der CES in Las Vegas genauso wie auf großen Modeschauen, wo sie Models zu ihrem eigenen Herzschlag über den Laufsteg stolzieren lässt. Mit einem „Heartbeat“-Kleid, dass die Herztöne mit einem kleinen Stethoskop aufnimmt und über integrierte Lautsprecher für das Publikum hörbar macht.

Wipprechts „Smoke Dress“ hingegen hüllt das Model mit Mini-Rauchmaschinen in eine dichte Wolke, wenn jemand zu nahe kommt. Sensoren messen den Abstand zu anderen Menschen und lösen die temporäre Tarnkappe aus. „Das System hatte anfangs die Größe von zwei Ziegelsteinen, nach zwei Jahren war es nur noch so groß wie eine Faust“, sagt Wipprecht. „Alle robotischen Entwicklungen gehen durch einen Prozess, bei dem die Systeme immer kleiner werden, sobald sie stabil funktionieren.“

Alkohol schenkt das Kleid erst aus, wenn das Gegenüber mit dem Roboter ‚Wahrheit oder Pflicht‘ spielt.

Der feenhaft wirkende, weiße „Synapse Dress” trackt Aufmerksamkeit und Stress, die Menschen oder Gegenstände in der Umgebung auslösen. Mit Beleuchtung zeigt es anderen Menschen zum Beispiel an, wenn die Trägerin konzentriert arbeitet und nicht gestört werden möchte. Mit einer Kamera können Aufnahmen von besonders entspannten oder stressigen Momenten gemacht werden. Wipprechts Roboterkleid „DareDroid“ initiiert dagegen eine spielerische Aktion: Wenn ein Mensch in die Nähe kommt, mixt es Cocktails — Alkohol schenkt das System allerdings erst aus, wenn das Gegenüber mit dem Roboter per Touchpad „Wahrheit oder Pflicht“ spielt, bellt wie ein Hund oder einen Handstand macht.

Bei Fashion-Shows beeindruckte Wipprecht auch mit ihrer Pseudomorphs-Kollektion. Die weißen Kleider können sich in individuelle, magische Leinwände verwandeln. Abhängig von der Körpertemperatur des Models werden in Echtzeit Farbpatronen, die im Halsbereich der weißen Kleider befestigt sind, durch das Kleid gepumpt und hinterlassen einzigartige Farbspritzer und Schlieren.

Die Frage ist, wo du endest und wo das System beginnt.

Anouk Wipprecht

Durch Wipprechts Wearable-Tech wird Mode zu einem Display oder Interface, das die Stimmung und den Kontext der Trägerin spiegelt. „Manchmal versteht dich Technologie besser als du selbst“, sagt die Designerin. Das wirft auch Fragen nach den Grenzen zwischen Mensch und Maschine auf: „Wenn du ein Design trägst, das du zum Teil kontrollierst und und das dich zum Teil durch eigene Aktionen ergänzt, dann stellst du dir Fragen, wo du endest und wo das System beginnt.“

Niedrigschwellige Technologien wie Arduino-Minicomputer und sinkende Kosten ermöglichen vielfältige Spielereien mit FashionTech. Bis jetzt sind Models und Musiker noch die Pioniere, die ausgefallene Hightech-Mode à la Wipprecht tragen. 2011 hat Anouk Wipprecht zum Beispiel für Fergie von den Black Eyed Peas ein leuchtendes Bühnenoutfit entworfen — für ihren Auftritt beim SuperBowl.

Zusammen mit der texanischen Performancegruppe ArcAttack konzipierte sie außerdem das „Faraday-Kleid“, das beim Konzert der Band beim DIY-Festival Maker Faire Bay Area 2014 in San Francisco für eine bombastische Lichtshow sorgte. Mit der elektronischen Rüstung konnte Wipprecht wie der Donnergott Thor Stromstöße aus der Luft anziehen und weiterleiten, die Energie brachte unter anderem überdimensionale Glühbirnen auf ihren Schultern zum Leuchten.

Jedes Projekt von Wipprecht ist dabei nur der Anfang neuer Aufträge und Ideen. „Meine Entwürfe wachsen mit mir mit und werden auf dem Weg immer wieder geupdated und geupgradet“, sagt sie. Design als ewiger Prozess. „Es sind noch viele Probleme zu lösen, bevor wir die zweite elektronische Haut tatsächlich tragen können, von der wir träumen.“ 

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