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Der Künstler Daniel Keller nimmt die Ideologie des Silicon Valley auseinander

von Beate Scheder
Eine Dreiecksbeziehung zwischen Mark Zuckerbergs transexueller Tochter und den Kindern von Ashton Kutcher und Mila Kunis? Klingt nach Tabloid-Gossip, ist aber ein beißender Kommentar auf die doppelzüngige Kultur des Silicon Valley — und der Stoff einer gerade in Berlin laufenden Ausstellung. Geschaffen hat sie der Künstler Daniel Keller, einer der Vorreiter der sogenannten Post-Internet-Bewegung. Was diese genau ausmacht und wie es sich als Internet-Junkie lebt, erklärt Keller im WIRED-Interview.

Bekannt wurde Daniel Keller als eine Hälfte des Künstlerduos Aids-3D, das seit 2006 Installationen und Performances zu den Themen technische Innovationen, Netzkultur, Ökonomie, Ökologie und Aktivismus schafft. Das Duo gilt als Vorreiter der sogenannten Post-Internet-Kunst. Seit 2013 ist Keller erfolgreich als Solo-Künstler unterwegs. In seiner aktuellen Ausstellung „Kai <3 Dalston Bushwick“, zu sehen in der Berliner Galerie Kraupa-Tuskany Zeidler, spinnt er die Geschichte um eine Dreiecksbeziehung zwischen den fiktionalen Charakteren Kai, Dalston und Bushwick. Kai ist die transsexuelle Tochter von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, Dalston der Sohn und Bushwick die Adoptivtochter von Schauspieler beziehungsweise Tech-Investor Ashton Kutcher und Mila Kunis. Der fiktive Nachwuchs der Silicon-Valley-Elite sucht in Kellers Sci-Fi-Story nach neuen Formen menschlicher Beziehungen und nach Selbstbestimmung in der überdigitalisierten Welt.

Die zynisch pragmatische Lösung: gemeinsame Unternehmensgründung statt Eheschließung. Denn das geht schließlich auch zu dritt und ist rechtlich im Grunde das gleiche. Außerdem in der Ausstellung zu sehen: Keller-typische 3D-Skulpturen und mit Schläuchen zur Netzwerk-Metapher verbundene Aquarien, in denen Spirulina-Algen vor sich hin wabern. Für Keller sind die Superfood-Cyaonobakterien das beste Beispiel für kalifornisches Pseudo-Hippietum: Sie wirken erst mal nett öko, sind aber eigentlich komplett neoliberal unterwandert.

WIRED: Du sagst über dich selbst, dass du aus der Perspektive eines „post-studio prosumer imagineer artist“ arbeitest, der innerhalb der global vernetzten Wirtschaft operiert. Was soll das heißen?
Daniel Keller: Ich mag solche Neologismen, weil sie ein effizienter Weg sind, über die Zukunft zu sprechen. Post-Studio, weil ich kein permanentes Studio habe. Zum Arbeiten sitze ich an meinem Laptop, das geht auch zu Hause. Für ein paar Monate hatte ich ein Studio, aber dort habe ich nur meine Algen gezüchtet, weil das Internet so langsam war. Den Begriff Prosumer hat der Ökonom Alvin Toffler in den Siebzigerjahren geprägt. Tofflers Prognosen sind mehr oder weniger eingetreten, heute gibt es diese Menschen, die etwas produzieren, während sie konsumieren. Imagineer ist eine Berufsbezeichnung von Disney, aus der ein kalifornischer Begriff für jemanden wurde, der sich etwas ausdenkt und Ingenieur ist. Was das globale Netzwerk betrifft: Ich bin ein Knoten in verschiedenen Netzwerken.

Liberale, die sich anarchistisch nennen, aber für Hedgefonds arbeiten

WIRED: Wie meinst du das?
Keller: Als Künstler wirkt man oft so harmlos, dass man Zugang zu vielem bekommt. Ich hatte einen Talk in München auf der DLD-Konferenz. Dort habe ich jemanden kennengelernt, der eng mit Peter Thiel zusammenarbeitet, Teil des Seasteading Institutes ist und stark an die kalifornische Ideologie glaubt. Er ist der Inbegriff all dieser San-Francisco-Techie-Stereotypen: ein Liberaler, der sich anarchistisch nennt, aber für einen Hedgefond arbeitet, auf einer Paläo-Diät und mit einer Asiatin verheiratet ist. Einer der kifft, aber keine Zigaretten raucht. Mit ihm bin ich befreundet, ich habe aber auch Richard Barbrook getroffen, diesen marxistischen Professor, der „California Ideology“, eine Kritik an der Tech-Kultur San Franciscos, geschrieben hat. Oder neulich habe ich einen Prinz aus Katar kennengelernt, der drei Tage mit mir verbringen wollte und mit dem ich in fancy Restaurants abgehangen habe. Ich habe anscheinend die Fähigkeit, Brücken zu allen möglichen Leuten zu bauen.

WIRED: Hast du bei deinem Interesse für Technologien nie daran gedacht, Ingenieur zu werden?
Keller: Ich habe mich immer für Naturwissenschaften interessiert, aber eher um oberflächlich darüber nachzudenken. Ich interessiere mich zwar mehr für andere Dinge als für Kunst, aber ich destilliere das durch die Kunst. Ich glaube, ich bin dazu bestimmt, Künstler zu sein, denn ich brauche eine gewisse Unabhängigkeit, eine quasi-intellektuelle Bestimmung, die es mir erlaubt an meinem Laptop ziellos Dinge zu lesen und neue Musik zu hören. Die Kunst gibt mir die Freiheit dazu.

Man kann nicht über eine Technologie separat nachdenken.

WIRED: Welche Art von Technologie interessiert dich?
Keller: Der Begriff des Stacks (Stapel) erklärt das ziemlich gut. Anstatt über bestimmte Technologien nachzudenken, denke ich über all die technologischen Entwicklungen nach, die zusammen in dieselbe Richtung führen. Wie ein Stapel. Man kann nicht über eine Technologie separat nachdenken. Alles hängt mit den gleichen Wertschöpfungsketten und dem gleichen Wissen zusammen, ob es sich jetzt um eine Plastikflasche mit Wasser oder um ein Smartphone handelt. Ich bin an allen Technologien auf eine nerdige Art und Weise interessiert, im Sinne einer historischen oder kosmischen Entwicklung.

WIRED:Technologien werden ja eigentlich entwickelt, um unser Leben besser zu machen, während es der Kunst nicht um einen bestimmten Zweck geht, außer Ideen zu kommunizieren.
Keller: Das ist der große Irrtum. Bei den Naturwissenschaften ging es vielleicht noch um das Streben nach Wissen und Wahrheit, aber damit ist es spätestens vorbei, seitdem wir im Kapitalismus leben. Dinge existieren, um verkauft zu werden. Das Ziel von Technologien ist es, Shareholder-Value zu generieren. In der Kunst ist es nicht viel anders. Mich interessiert es jedoch viel mehr, als Künstler das System, dessen Teil ich auch bin, zu beobachten als tatsächlich Kunstwerke zu schaffen.

In einem Raum ohne WiFi zu sein, ist klaustrophobisch für mich.

WIRED: Ist die Denkweise denn wichtiger als das Kunstwerk?
Keller: Ich glaube, die Perspektive an sich hat schon ihren Wert. Die Tatsache, dass ich Dinge kommentieren kann und die Menschen mir zuhören, hat einen Wert. Das ist genauso nützlich wie Technologien nützlich sind. Und falls nicht, glaube ich, dass unser System hochentwickelt genug ist, dass es ein Sahnehäubchen vertragen kann. Es muss nicht immer alles einen einfachen Zweck haben.

WIRED: Wie und wo findest du die Themen für deine Arbeiten?
Keller: Durch Internetrecherche. Ich weiß nicht, wie viele Stunden am Tag ich am Laptop sitze. Eigentlich immer, wenn ich zu Hause bin.

WIRED:Was machst du dann die ganze Zeit?
Keller: Ich konsumiere definitiv mehr als ich produziere. Ich habe nicht diesen Antrieb, die ganze Zeit Dinge zu machen. Ich lese viel, analysiere, kommentiere. Ich beobachte den Aktienmarkt, manchmal mache ich Daytrading. Das ist ein Hobby von mir. Ich höre viel Musik, produziere Musik. Prosumer-Aktivitäten eben.

Ich bekomme 100 Likes, wenn ich ein Bild nur poste, warum sollte ich dann eines malen?

WIRED: Und du postest viel in sozialen Netzwerken.
Keller: Ja, da bin ich sehr aktiv. Es ist für mich wie für viele andere ein kreativer Prozess, bei dem man sofort Gratifikationen bekommt. Wenn ich 100 Likes bekomme, wenn ich ein Bild nur poste, warum sollte ich dann eines malen? Oberflächliches Engagement wird zu einem Ersatz für bedeutungsvolleres Engagement. Das mag problematisch sein, aber mir gefällt es.

WIRED: Sind soziale Medien Teil deiner künstlerischen Praxis oder sind sie eher ein Selbstvermarktungsinstrument?
Keller: Kunst und Markenbildung gehören heute zusammen. Ich nutze sie aber nicht für offensichtliches Marketing. Ich habe keine Strategie. Es ist ein Teil meiner Praxis, es ist Teil meiner Marke. Und es ist etwas, worin ich wirklich gut bin.

WIRED: Ist das heute wichtig als Künstler?
Keller: Anscheinend ja. Entweder du bist selbst gut darin oder du findest jemanden, der das für dich erledigt. Es gibt natürlich andere Wege, aber wenn es dir liegt, ist es definitiv ein Beschleuniger.

WIRED: Es ist ja auch eine Möglichkeit mit dem Publikum zu interagieren.
Keller: Ich brauche dieses Feedback. Ich könnte nicht als zurückgezogener Künstler für mich alleine Kunst machen. Ich bin extrem von Reaktionen abhängig. Es muss nicht unbedingt ein Like auf Facebook sein oder der Kauf eines Sammlers, aber irgendjemand muss mir sagen, warum ich meine Zeit damit verbringe, absurde Dinge zu tun.

Technologie hat unsere Kultur verschlungen.

WIRED: Die sogenannte Post-Internet-Kunst, zu der auch deine Arbeiten gezählt werden, ist momentan überaus erfolgreich. Wie erklärst du dir das?
Keller: In der letzten Staffel von „South Park“ handelte jede einzelne Folge von Technologie. Technologie hat unsere Kultur verschlungen. Arbeiten zu machen, die sich nicht damit auseinandersetzen, bedeutet, seinen Kopf in den Sand zu stecken. Man kann dem nicht aus dem Weg gehen. Post-Internet beschreibt jedoch weniger die Kunst selbst als eine soziale Szene. Viele Künstler, die zu dem Genre gezählt werden, sind miteinander befreundet. Um diese Vernetztheit geht es. Natürlich macht mir das alles auch Angst. Trends gehen vorüber. Ich glaube aber, dass die guten Künstler weitermachen werden. Und was soll auch danach kommen? Was ist Post-Post-Internet-Kunst? Die Vernetztheit wird unsere Zeit bestimmen, für die nächsten 20 bis 30 Jahre, falls nicht vorher alles kollabiert.

WIRED: Kannst du dir deine Arbeit ohne das Internet vorstellen?
Keller: Nein. Sie hängt komplett davon ab, ihr Inhalt, ihre Recherche, ihre Produktion. Das Internet ist meine größte Sucht. Allein die Vorstellung in einem Raum ohne WiFi zu sein, ist klaustrophobisch für mich.

Die Ausstellung „Kai <3 Dalston Bushwick“ läuft noch bis zum 11. Juli in der Galerie Kraupa-Tuskany Zeidler, Karl-Liebknecht-Straße 29 in Berlin. Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag, 12 bis 19 Uhr 

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