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Afrikanische Künstler designen High-Tech

von Jochen Overbeck
Wer an afrikanisches Design denkt, denkt meist in Stereotypen. Recycling. Traditionelles Handwerk. Humanitäres Design. Doch Vorsicht vor den eigenen Assoziationsmustern! Die Ausstellung „Making Africa – A Continent of Contemporary Design“ im Vitra Design Museum in Weil am Rhein zeigt jetzt, dass der Kontinent in Sachen Gestaltung nicht nur verblüffend vielfältig ist, sondern auch Impulse setzt, die bald auch in unserem Leben eine Rolle spielen könnten.

Der BRCK ist nicht besonders schön. Ein schwarzer Kasten, die Ecken abgerundet. Er sieht robust aus, erinnert ein wenig an die Blackbox eines Flugzeuges. Und doch ist der BRCK eine kleine Revolution. Die Box ist ein Hybrid aus Router und Modem, der stets nach dem besten Signal sucht, dabei auf alle möglichen Internet- und Mobilfunk-Verbindungen zurückgreift und acht Stunden lang ohne externe Stromversorgung bis zu 20 Menschen mit dem Internet verbinden kann. So sichert er Erreichbarkeit auch an abgelegenen Orten. Vor zwei Jahren sammelten die Macher, die Non-Profit-Organisation Ushahidi aus Kenias Hauptstadt Nairobi, 172.000 Dollar bei Kickstarter ein.

Manche Besucher von „Making Africa“ werden stutzen. So etwas wie den BRCK erwartet man nicht unbedingt in einer Ausstellung, die sich mit dem Design eines Kontinents beschäftigt, zumal es dezidiert nicht um die äußere Hülle, sondern um ein Wirkprinzip geht. Amelie Klein, die Kuratorin der Ausstellung im Vitra Design Museum, erklärt es gerne: „Wenn wir Design im 21. Jahrhundert als die Gestaltung eines Stuhls oder eines Kleides oder einer Grafik verstehen, dann wird das doch nicht der digitalen Revolution und dem technischen Wandel gerecht, in dem wir stecken. Wir müssen die Brücke von unserem analogen Dasein in die digitale Zukunft schlagen, das ist eine der ureigenen Aufgaben von Design. Wir designen heute schließlich Prozesse, Infrastruktur, Services. Wir müssen Design weiter begreifen!“

Die Ausstellung leistet dabei ganze Arbeit und zeigt: Auch anderenorts bietet afrikanisches Design Lösungen an, die simpel, effektiv und gleichzeitig technologisch up to date sind. Eines der Lieblingsbeispiele Amelie Kleins ist M-PESA, ein kenianisches Bezahlsystem, das per SMS funktioniert: Wer Geld verschicken will, versendet einen Code ans Handy des Empfängers. Der holt die Summe an einer der vielen Filialen ab. Abgerechnet wird per Telefonrechnung - in einem Land, in dem sich große Teile der Bevölkerung nicht für ein klassisches Bankkonto qualifizieren, eine ideale Lösung. M-PESA hat mittlerweile den Sprung nach Europa geschafft, Vodafone bietet den Dienst in Rumänien an. Weitere Länder sollen folgen.


Ein Technologieimport aus Afrika. Das ist bemerkenswert - und eigentlich doch normal. Denn wenn wir Afrika als den gescheiterten Kontinent sehen, dem wir solche Entwicklungen nicht zutrauen, beharren wir auf alten Sichtweisen, die auch früher schon viel zu limitiert waren:. „Wir haben letztlich vier Erzählstränge zu Afrika: Zunächst den korrupten Diktator, dann das hungrige Kind, dann den stolzen Krieger und schließlich den edlen Wilden. Das Ziel unserer Ausstellung ist, diesen Blick aufzumachen“, sagt Amelie Klein.

Natürlich ist digitales Design nur einer von vielen Bereichen, die in der Ausstellung abgedeckt werden. „Making Africa“ schlägt einen weiten Bogen von bildender Kunst über Grafik- und Produktdesign bis hin zu Architektur und bewegt sich dabei ohne Angst durch die neuere und neueste Geschichte. Immer wieder können die Arbeiten dabei auch als Reader verstanden werden - sowohl zur sozialen und politischen Situation ihrer Entstehungsländer als auch zur Rezeption im Rest der Welt.

Manches erinnert sehr direkt an die Brutalität der vielen Kriege, die Afrika in den letzten Jahrzehnten heimsuchten, etwa die aus alten Waffen gefertigten Thronmöbel von Gonçalo Mabunda. Manches wirkt verspielt, etwa Cyrus Karibus Brillen-Objekte. Andere Künstler setzen sich humorvoll mit den gängigen Klischees auseinander, wie Ikiré Jones, die in ihren Textilarbeiten die klassische Ikonographie der Antike und der Kirchengeschichte per Sampling mit Afrikanern anreichert oder oder Nikolaj Cyon mit seiner alternativen Afrika-Landkarte. Wiederum andere, etwa Mário Macilau, dokumentieren mit der Kamera die Träume der jungen, durchaus coolen und selbstbewussten  Generation.

„Es gibt eine Art Narration, die sich in den vergangenen zehn bis 15 Jahren um Afrika herum gewoben hat. Afrika als neues Eldorado, als Ort der unbegrenzten Möglichkeiten, und die Wirtschaftsdaten zeigen, dass alles möglich ist. Unglaublich!“, wird die in Kamerun geborene Kuratorin Koyo Kouoh im Katalog zitiert. Es deutet einiges darauf hin, dass sie recht hat. In vielen afrikanischen Ländern entsteht eine neue Mittelschicht, die Vernetzung innerhalb der Bevölkerung ist so gut wie nie zuvor. Amelie Klein zieht Parallelen zu jener Zeit in den 60er-Jahren, in der die erste postkolonalie Generation an einem Punkt angelangt war, wo Aufbruchstimmung herrschte, wo Afrika an der Reihe zu sein schien. „Dieses Recht auf eine Zukunft ging in den darauffolgenden Jahrzehnten verloren“, sagt Amelie Klein. „Jetzt gibt es eine Generation der Digital Natives, die sich erneut selbstbewusst der Welt präsentiert, aber auch eine neue Haltung zum Westen hat. Gleichzeitig haben wir Wachstumsraten in den afrikanischen Ländern von bis zu zehn Prozent. Ein Kontinent erholt sich, auch wenn man das differenziert sehen muss.“ Ein Blick in die Ausstellung zeigt: Der Beitrag, den Kunst und Design dazu leisten, ist immens.                  

„Making Africa - A Continent of Contemporary Design“ im Vitra Design Museum läuft noch bis zum bis zum 13. September 2015.

 

 

 

 

 

 

 

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