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Henrik Spohler fotografiert die unheimlichen Utopien der Konsumgesellschaft

von Oliver Klatt
Unter dem Motto „The Day Will Come“ findet in Hamburg gerade die 6. Triennale der Photographie statt. In mehr als 50 Ausstellungen setzen sich Fotokünstler aus aller Welt mit dem Thema Zukunft auseinander. Außerdem gibt es Vorträge, Partys und Workshops. Viele Einzelausstellungen werden auch noch nach dem Ende des Festivals zu sehen sein. Wir stellen die spannendsten Beiträge vor.

Wie sieht unsere Zukunft aus? Kann man sie fotografisch darstellen, obwohl Lichtbilder immer nur das Vergangene wiedergeben? In seiner Ausstellung „When Millennium Begins“ lässt der Hamburger Fotograf Henrik Spohler erahnen, wohin die Reise geht. Denn schon jetzt gleicht unser Planet vielerorts einem kühlen Science-Fiction-Szenario.

Die vier seit der Jahrtausendwende entstandenen Serien von Spohler, die bei der 6. Hamburger Phototriennale erstmals in einer großen Werkschau ausgestellt werden, zeigen eine sauber konstruierte, lichtdurchflutete Welt. In den großen Warenumschlagplätzen und Produktionsstätten, in denen der Fotograf nach seinen Motiven sucht, kommt der Mensch kaum noch vor. Alles an diesen Orten ist auf Effizienz ausgerichtet. Auf größtmögliche Gewinnmaximierung und kleinstmögliche Komplikation. Genetisch optimierte Nutzpflanzen stehen Spalier, in jungfräuliches Weiß gehüllte Autos warten auf ihre Abholung, Datenkabel und Transportsysteme erfüllen ihre Bestimmung. Der Mensch ist zum Störenfried geworden, die Maschine längst Herr der Lage.

Und doch sind diese Welten von Menschen und für Menschen gemacht. Die Produkte, die in riesigen Hallen hergestellt und auf hermetisch abgeschirmten Äckern herangezüchtet werden, landen in unserem Häusern und unseren Mägen. Und zwar schneller und billiger als jemals zuvor. Die Informationen, die durch in gleißendes Licht getauchte Serverräume und Datenknotenpunkte hindurchfließen, nutzen wir täglich. Man könnte zurecht von verwirklichten Utopien sprechen, wäre da nicht jener Moment des Unheimlichen, der all diesen Fotografien trotz ihrer Schönheit innewohnt. „Eine Besucherin hat mir erzählt, dass sie mit einem etwas ungutem Gefühl aus diesen Bildwelten rausging“, sagt Spohler. „Das hat mich gefreut.“

Spohlers Fotografien wirken durch die Kraft des Widerspruchs. Sie zeigen den Besuchern einer Kunstausstellung, was sie als Konsumenten nur selten zu sehen bekommen: Einblicke in Genfarmen und Flugzeugfabriken, computergesteuerte Hafenanlagen und Logistikzentren, in denen der Mensch immer weniger gebraucht wird. Sie zeigen aber auch, wie viel Anmut und Poesie an diesen Orten zu finden ist. Spohlers Arbeiten leisten Aufklärung und verzaubern zugleich. Und das ist durchaus im Sinne des Künstlers. „Es ist das Spannungsfeld zwischen dem technischen Abbild und dem poetisch konstruierten Bild, das mich an der Fotografie reizt“, sagt Spohler. „Ich versuche die Systeme, die der Mensch sich in seiner zivilisierten Welt geschaffen hat, in ihrer Fragilität zu zeigen. Systeme, die sich von jeglichem menschlichen Maß wegentwickelt haben.“

Mit etablierten fotojournalistischen Traditionen bricht Spohler dabei ganz bewusst. Wer wissen möchte, wo und wann die Bilder entstanden sind und was genau auf ihnen zu sehen ist, muss erst auf einem Informationsblatt nachschauen. An den Bildern selbst stehen weder Titel noch sonstige Daten. Auch fehlen Bezugspersonen, mit denen man sich als Betrachter identifizieren könnte. „Was ich zeige, ist etwas sehr Indirektes“, sagt Spohler. „Ich möchte keine Sehnsuchtsorte präsentieren, sondern von Menschen erschaffene Landschaften, die menschliche Denkmuster offenlegen.“ Spohlers künstlerische Leistung besteht darin, dass man beim Betrachten seiner Bilder genau diese Denkmuster auch bei sich selbst entdeckt, wenn man den Blick fasziniert über geordnete Systeme und Produktionsabläufe schweifen lässt – und dann erschrickt, wenn man begreift, dass für einen selbst in diesen Systemen kein Platz mehr ist.

Die Ausstellung „When Millennium Begins“ ist noch bis zum 28. Juni in der Barlach Halle K am Klosterwall 13 in Hamburg zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 12 bis 18 Uhr

Während des Fotofestivals Mannheim Ludwigshafen Heidelberg sind Spohlers Serien „0/1 Dataflow“, „Global Soul“ und „In Between“ in der Ausstellung „High-Tech, Logistik & Migration“ im Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen zu sehen. Eröffnung ist am 17. September um 18 Uhr. Ausstellungsdauer: 18. September bis 15. November 2015

Das Fotofestival Noorderlicht in Groningen (NL) hat in diesem Jahr das Überthema „Data Rush“. Vom 22. August bis 11. Oktober werden dort Fotos aus der Spohler-Serie „0/1 Dataflow“ gezeigt. 

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