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Eine Berliner Designerin erzählt fünf Jahre ihres Lebens nach — anhand von Google-Suchanfragen

von Chris Köver
„Die Geschichte der Suchanfragen ist eine Geschichte des Lebens“: Wäre Lisa Charlotte Rost nicht in die Datenvisualisierung gegangen, hätte es wohl auch zur Philosophin gereicht. Für ihr Projekt „My Google Search History“ hat die Berliner Designerin ihre eigenen Google-Suchanfragen aus den vergangenen fünf Jahren ausgewertet. Entstanden ist ein Tagebuch aus Balkendiagrammen, das eine detaillierte Geschichte seiner Protagonistin erzählt.

40.000 Google-Suchen aus der Zeit vom 10. Juli 2010 bis zum 19. April 2015 hat Lisa Charlotte Rost als Datensatz ausgewertet und nach verschiedenen Schlagworten durchsucht. In den nüchternen, blau-rot-schwarz gehaltenen Balkendiagrammen, die daraus entstanden sind, schaut man mit Rost zurück auf ihr Leben in dieser Zeit: „Am 1. März 2012, um 14:35, tippte ich das erste mal in meinem Leben Bloomberg.“ Ein Jahr später begann Rost ein Praktikum in der New Yorker Redaktion des Nachrichtendienstes. Über eine weitere Suchanfrage — „cannot read property of 0 undefined“ — rekonstruiert sie, wann sie das erste Mal versuchte, JacaScript zu verstehen: um genau 17:02 Uhr am 1. Oktober 2011.

In der Gesamtübersicht der fünf Jahre sticht ein Balken im Juni 2014 wie ein streberhafter Finger aus der Datenlandschaft empor – es war die Woche bevor Rost ihre Masterarbeit abgeben musste. Nie zuvor oder danach hatte sie in einer Woche so viel gegoogelt.

Spannend ist aber auch, anhand der Suchen zu verfolgen, wo Rost überall gelebt hat: von Eisenberg über Weimar, wo Rost an der Bauhaus Universität Visuelle Kommunikation studierte, Austauschsemester und Praktika in Toronto, Frankfurt, Oxford und New York bis in die Oderberger Straße in Berlin, wo sie heute wohnt. Warum gerade letztere Adresse in Berlin besonders häufig auftaucht, erklärt Rost im Blogpost zum Projekt ganz plausibel: In einer kleinen Stadt wie Weimar muss man nicht jedes Mal den Weg zum einzigen Kino googeln. In Berlin suche sie dagegen ständig nach Wegbeschreibungen — und gibt dabei jedes Mal ihre Adresse als Ausgangskoordinate ein. In Toronto und New York hätte sie theoretisch das gleiche getan, nur hatte sie während ihrem Aufenthalt in Kanada keine mobilen Daten und in New York nutze sie andere Apps als Google, um ihren Weg zu finden. Die Gesetzmäßigkeit, die Rost daraus ableitet: „Je besser meine Telefon- und Netzverbindung ist und je größer die Stadt, in der ich lebe, umso mehr weiß Google über meinen Standort.“

Woher sie die Daten hat und wie sie bei der Auswertung vorgegangen ist, erklärt Rost in einem weiteren Blogpost ganz genau: Seit April dieses Jahres kann jede auf Google ganz einfach die eigene Search History exportieren. Das dort heruntergeladene Datenpaket im Format JavaScript Object Notation hat sie bereinigt und dann in die freie Visualisierungssoftware Tableau Public eingespeist. Die Suchanfragen sind alle mit der genauen Uhrzeit versehen, außerdem kann man die Suche nach Bildern oder News anhand eines Tags erkennen. Google-Maps-Suchen haben keinen solchen Marker, lassen sich aber anhand ihrer Struktur sehr leicht identifizieren, wie Rost schreibt. Sie enthalten immer die wegweisende Zeichenfolge „->“, etwa in dieser Suchanfrage: „51.689585,-2.532349 -> Cheltenham, Gloucestershire, UK“.

Hauptberuflich arbeitet die Designerin bei der Berliner Datenjournalismus-Agentur Open Data City. Diese tut eben das, was Rost hier vorführt: Geschichten erzählen mithilfe von offenen Daten, das heißt Datensätzen, die für alle zur Verfügung stehen — oder in diesem Fall zumindest für die Inhaberin eines Accounts. „My Google Search History“ habe auf ihrer privaten To-Do-Liste gestanden, seit der Konzern die Daten im April zugänglich gemacht hatte, erzählt Rost im Interview mit dem Podcast Data Stories. Im Juni habe sie das Projekt dann binnen eines Tages in ihrer Freizeit gebaut.

Dass ihre Fähigkeiten weit über das Biografische hinausgehen, erkennt man in Rosts Portfolio: In der Vergangenheit hat sie schon alles von Massive Multiplayer Online Games und aktuellen Arbeitslosenzahlen bis zu den Suchbegriffen auf der Webseite „Pornhub“ visualisiert.

Wie einfach es ist, Daten falsch zu interpretieren, wenn man die Geschichte dahinter nicht kennt, weil es eben nicht die eigene ist — auch das zeigt Rost zum Abschluss noch. So könnte, wer sich nur ihre Google-Translate-Suchanfragen anschaut, zum Beispiel schließen, sie habe 2015 besonders viel übersetzen müssen. Dabei schlägt Rost heute viel seltener englischen Begriffe nach als früher — nur weiß Google davon nichts, weil sie immer dict.cc verwendete. Wie sie selbst schreibt: „Die Zahlen zu zeigen ist einfach. Sie zu erklären ist schwer“. Manchmal erzählt Google eben doch nicht die ganze Geschichte. 

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