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Zwei Architekten aus Berlin entwickeln Baustoffe gegen den Klimawandel

von Anna Schughart
Allison Dring und Daniel Schwaag kämpfen gegen den Klimawandel. Dazu entwickeln die beiden Architekten Baumaterialien, die die Luft reinigen und das CO2 in der Atmosphäre reduzieren sollen.

Eigentlich sind Allison Dring und Daniel Schwaag Architekten, doch derzeit entwickeln sie lieber Baumaterialien. Nur wenige Tage vor dem WIRED-Interview war Dring noch in Dubai auf dem World Government Summit. Dort stellte sie Prosolve vor, eine Fassade, die nicht nur super aussieht, sondern auch die Luft reinigt. In ihrem Berliner Studio elegant embellishments entwickeln sie und Schwaag deweil schon das nächste Produkt: Hexchar, das quasi „aus Luft gemacht ist“ und so klimafreundlich ist, dass man es ruhigen Gewissens verschwenden darf.

WIRED: Warum kämpft ihr als Architekten gegen den Klimawandel?
Daniel Schwaag: Wir waren fasziniert von unsichtbaren Phänomenen wie zum Beispiel Elektromagnetismus, Feinstaub oder dem Klimawandel. Diese unsichtbaren Parameter müssten eigentlich sichtbar die Architektur prägen. Doch es geht meistens nur um Standhaftigkeit, Bewitterungsschutz und solche Dinge. Um relevant zu bleiben, muss auch die Architektur Antworten auf Probleme wie den Klimawandel finden, die über die Verringerung neuer Emissionen hinaus gehen.
Allison Dring: In der Architektur wird ein enormer Materialaufwand betrieben. Wir haben uns gefragt: Kann man da nicht mehr erwarten, als dass nur die traditionellen Gebäudefunktionen erfüllt werden? Können Gebäude nicht auch aktiv zur Verbesserung ihrer Umwelt beitragen? Durch unsere Arbeit mit verschiedenen Baumaterialien wurden wir auf Produkte aufmerksam, mit denen man das erreichen kann.

An einer viel befahrenen Kreuzung kann eine Prosolve-Fassade am Nachbarhaus wirklich helfen

Allison Dring

WIRED: So kamt ihr auf die Idee, Prosolve zu entwickeln. Ein Fassadenmodul, das die Luft reinigt.
Schwaag: Uns war es wichtig, Technologien zu finden, die man direkt umsetzen kann. Unsere Prosolve-Fassaden sind mit eine Photokatalysator beschichtet. Die Wissenschaftler, die diese Technik entwickelt haben, sagten: Damit das funktioniert, brauchen wir am Besten sehr komplexe Oberflächen. Also haben wir eine passende Fassade entwickelt.
Dring: Meistens ist es ja so, dass man in unserer Branche etwas Schönes entwickelt und am Schluss wird knallhart eingespart. Dann fliegen häufig alle komplexen Geometrien raus und am Ende bleibt bestenfalls Mauerwerk übrig. Um da durchzukommen, muss Komplexität wirtschaftlich herstellbar sein und funktional sein. Die Ästhetik unserer Fassade hat einen ganz funktionalen Nutzen.

WIRED: Und der wäre?
Schwaag: Damit die Luft gereinigt und der Photokatalysator arbeiten kann, muss sie so oft wie möglich mit der Fassade in Kontakt kommen. Die Luft muss verwirbelt werden. Egal von wo der Wind kommt: Unsere Fassade wirkt in alle Richtungen gleich gut.

Mehr zum Thema smarter Klimaschutz in der WIRED Green Issue

WIRED: Dann ist das Smog-Problem in Peking jetzt gelöst?
Schwaag: Smog ist nicht immer gleich Smog und jede Stadt hat ihre eigene Smog-Komposition. Man kann Luftqualität auch nicht nur nach der Partikelgrößen bewerten. In Peking gibt es zum Beispiel viele Feinstaub-Partikel, die durch Verbrennung von Kohle oder ähnlichem entstehen, da wäre Prosolve weniger effektiv. Prosolve ist dann gut, wenn es um Autoabgase und sekundären Feinstaub geht.
Dring: Man muss auch zwei Ebenen unterscheiden. Es gibt die Makroebene von Luftverschmutzung, das ist das, was die WHO immer bekannt gibt. Doch uns interessieren viel mehr die Besonderheiten der Städte: Die Viertel, zum Beispiel, in denen viele Menschen mit einem hohen Grad an Luftverschmutzung in Berührung kommen. An einer viel befahrenen Kreuzung kann eine Prosolve-Fassade am Nachbarhaus wirklich helfen.

Alle freuen sich über das 1,5-Grad-Ziel, aber niemand weiß, wie wir es erreichen sollen

Daniel Schwaag

WIRED: Das löst das Problem der Luftverschmutzung aber nicht dauerhaft, wenn alle trotzdem mit dem Auto fahren.
Schwaag: Ja, man könnte sagen: Unser Projekt ist nicht ganz optimistisch, was das menschliche Verhalten angeht, weil wir nur das Symptom behandeln. Aber: Eine Prosolve-Fassade zu installieren, bedeutet erst ein mal, anzuerkennen, dass die Abgase nun mal da sind, das möchte nicht immer jeder Politiker oder Entwickler. Das ist das gleiche mit dem Klimagipfel: Alle freuen sich über das 1,5-Grad-Ziel, aber niemand weiß, wie wir es erreichen sollen. Dazu müsste man CO2 aus der Atmosphäre entfernen. Das verlangt, dass wir uns nicht scheuen, neue Ansätze auszuprobieren.

WIRED: Womit wir bei eurem neuen Baumaterial wären: Hexchar. Es besteht zu 70 Prozent aus Biokohle.
Dring: Normalerweise setzen verrottende Pflanzen das CO2, das sie durch Photosynthese binden, wieder frei. Bei der Herstellung von Biokohle wird das CO2 dauerhaft gebunden und so der Atmosphäre für Tausende von Jahren entzogen. Das Problem ist, dass es noch viel zu wenige Anwendungsmöglichkeiten für Biokohle gibt, damit wir wirklich eine globale Reduktion von CO2 erreichen können. Wir mischen die Biokohle dann mit Polymeren und machen daraus Fassaden.
Schwaag: Städtebau verbraucht extrem viele Materialien. Würden wir damit aber auch Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre abbauen, dann müsste sich die Architektur nicht für ihren Materialeinsatz rechtfertigen. Wir könnten sogar verschwenderisch mit Materialien umgehen. Wir stellen erstmal Fassadenplatten her, weil da die technischen Anforderungen am geringsten sind. Aber das ist nur der Anfang. Außerdem wollen wir Hexchar und Prosolve miteinander verbinden. Prosolve besteht momentan noch aus herkömmlichen Kunststoffen. Uns war immer klar, dass wir das durch etwas Besseres ersetzen wollen.

WIRED: Wenn man die Materialien dann aber wieder per Lkw an die Baustelle liefern muss, ist der Effekt doch zunichte gemacht, oder?
Schwaag: Wir halten uns an die Zertifikate, die vorschreiben, dass man die Biokohle nicht aus einer größeren Entfernung als sieben Kilometer anliefern darf. Wir arbeiten zum Beispiel gerade an einem Projekt in Brasilien, da bauen wir die Anlage und produzieren vor Ort. Statt unserer Produkte exportieren wir das Knowhow.

Unser Kapital ist die Ästhetik unserer Produkte.

Daniel Schwaag

WIRED: Und wie verdient man damit Geld?
Schwaag: Wir verdienen, in dem wir Dienstleistung anbieten oder an bestimmten Arten von Schutzrechten, wenn jemand unser Knowhow gewerblich nutzen möchte, zum Beispiel. Um wettbewerbsfähig zu sein, bieten wir unsere Nachhaltigkeits-Technologien ohne Aufpreis an. Wir sind ein kleines Unternehmen, ohne großes Kapital. Unser Kapital ist die Ästhetik unserer Produkte. Zum Glück reagieren viele Menschen noch auf Ästhetik, auf Bilder oder Artikel im Internet.
Dring: Trotzdem dauert es lange, bis die Dinge sich verändern. Die aufwendige Zertifizierung von Bauprodukten ist eine unheimliche Innovationshürde.

WIRED: Biokohle gibt es schon lange. Woran liegt es, dass daraus nicht schon längst ein allgegenwärtiger Baustoff geworden ist?
Dring: Alles braucht Zeit, um sich zu verändern, das Baugewerbe ganz besonders. Dort wird erst jetzt darüber nachgedacht, sich von fossilen Baustoffen wegzubewegen. Ich denke, kleine Unternehmen wie unseres haben die Chance, diese herkömmlichen Prozesse zu durchbrechen.
Schwaag: Wenn ich mir Herausforderungen wie den Klimawandel anschaue, dann ist das größte Problem, dass wir nicht genügend mit unterschiedlichen Vorschlägen experimentieren. Wir können es uns nicht leisten, alles auf eine Karte zu setzten. Was ist wenn, zum Beispiel die Solarenergie oder Wärmedämmverbundsysteme nicht alle Probleme lösen werden?
Dring: Wir behaupten nicht, die eine Lösung zu haben. Aber wir haben eine mögliche Lösung. Keiner weiß wirklich, was sich am Ende durchsetzen wird.

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