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Der Regisseur von Hyper-Reality wünscht sich Ad-Blocker für die Realität

von Cindy Michel
Eine wild blinkende Zukunft, in der unser Alltag von Medien und Werbung völlig durchdrungen ist. Der Film Hyper-Reality zeigt, was wir vielleicht bald nicht mehr unterscheiden können: reales und virtuelles Leben. Regisseur Keiichi Matsuda wurde mit dem Clip weltbekannt. Mit WIRED sprach er über seine Vision, Augmented Reality und die Gamification des Alltags.

Vielleicht sollte der Konzeptfilm Hyper-Reality mit einer Warnung für Epileptiker und Burnout-Patienten versehen sein, denn er birgt akutes Stresspustel-Potenzial: Wer „Play“ drückt, um den Sechsminüter abzuspielen, gerät in einem Sog aus schrillen Farben, dumpfem Rauschen und schnellen Schnitten – in die Welt der Hyper-Realität von Regisseur Keiichi Matsuda.

Aus der Egoperspektive blickt der Zuschauer durch die Augen eines Protagonisten, der sich in dieser bewegt. In einer Welt also, in der man unmöglich das Reale von der Fiktion trennen kann. Matsudas Film ist sozusagen eine erdachte Fallstudie, weltweit sorgte der Künstler damit für Aufregung. Die Frage: Was passiert eigentlich mit uns, wenn wir alles gleichzeitig machen?

Denn als Protagonist des Films fährt man mit dem Bus, zockt, chattet mit einem Jobmanager über aktuelle Angebote und googelt die Mutter alle Fragen: „Wer bin ich?“ Alles gleichzeitig. Dazu ploppen im Supermarkt vor den Augen links und rechts, oben und unten dauernd neue Ads und Apps auf, und ein kleiner animierter Hund auf dem Einkaufswagen fungiert als Shoppingbegleiter, der per GIF-Animationen über Sonderangebote informiert. Während all dieser visuellen Übersättigung rauschen, klingeln und dröhnen zahlreiche Hintergrundsounds. Als wäre man in einer Spielhölle, aus der man nicht mehr rauskommt. Die Folge für den Zuschauer: Stress.

Ziemlich wirr, schrill und chaotisch, diese Hyper-Reality nach Matsuda. Wir haben den Filmemacher gefragt, ob und wie er er selbst damit klarkommt.

WIRED: Ziemlich anstrengend und stressig, dein Film. Ist es dir bei der Produktion nicht irgendwann selbst zu viel geworden?
Keiichi Matsuda: Es gibt viele Dinge in diesem Film, die mir Angst machen, aber nicht die Ästhetik. Damit komme ich sehr gut klar. Ich finde diese extreme Übersättigung total interessant und fühle zu Hause in dieser Welt.

WIRED: Übersättigung ist eine ziemlich harmlose Bezeichnung für die Art von Stress, die Hyper-Reality verursacht.
Matsuda: Ich untersuche eben gerne Grenzerfahrungen. Ich kann mir aber vorstellen, dass jeder Mensch in der Hyper-Reality die Möglichkeit haben würde, seine Realität bis zu einem gewissen Punkt individuell anzupassen. Vielleicht könntest du mehr Geld investieren und Ad-Blocker kaufen. Dann wäre das Interface nicht so vollgepackt, sondern clean.

WIRED: Klingt, als würdest du dir über die Entwicklung unserer verschwimmenden Realität schon eine ganze Weile Gedanken machen?
Matsuda: Der Film ist ja nur eine Weiterentwicklung. An Hyper-Reality arbeite ich seit etwa 2009. Für meine Masterarbeit in Architektur habe ich untersucht, wie neue Technologien unsere Sicht auf und unseren Umgang mit der Umwelt verändern können. Hyper-Reality entstand sozusagen aus meinen früheren Forschungsfilmen Domestic Robocop und Augmented City 3D. Aktuell arbeite ich an zwei Folgeprojekten, die noch tiefer in die Materie vordringen sollen.

WIRED: Wie aufwändig war das Filmen?
Matsuda: Gar nicht. Wir haben es minimalistisch gehalten, sind mit wenig Requisiten und Schauspielern ausgekommen. Wir haben Hyper-Reality mit einer GoPro-Kamera in Kolumbien gedreht. Aber die Nachbearbeitung in unserem Studio in London hat wahnsinnig viel Zeit in Anspruch genommen. Ich war für die Gestaltung zuständig, während sich ein Kollege um die Animationen gekümmert hat.

WIRED: Nicht nur die Egoperspektive erinnert stark an Computerspiele, sondern auch die vielen verschiedenen Level und Neustarts im Film. Spielst du damit auf die Gamification unseres Lebens an?
Matsuda: Genau. Spiele reizen uns aus verschiedenen Gründen. Diese Funktionsweisen überträgt die Gamification auf andere Bereiche des Alltags: So soll etwa die Produktivität gesteigert werden, Mitarbeiter und Studierende motiviert und langweilige Jobs spannender gestaltet werden.

WIRED: Aber wird dieses Konzept irgendwann wirklich gänzlich unseren Alltag bestimmen?
Matsuda: Warum nicht? Je anspruchsvoller Spieler und je populärer Free-To-Play-Games werden, desto mehr implementieren Entwickler Mechanismen, die uns an Games binden – Belohnungspinzipien und Anreize. Und ebendiese Mechanismen, die uns zur Abhängigkeit erziehen, sind längst tief in unserer Kultur verankert, vor allem im Konsumkapitalismus greifen sie stark. Doch die Gamification könnte das aktuell schon erreichte Level noch mal steigern, denn sie hat das Potenzial, diese Techniken noch tiefer in unseren Alltag eindringen zu lassen.

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