Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

James Bridle visualisiert in seiner Berliner Ausstellung die Überwachung der Geheimdienste

von Beate Scheder
James Bridle ist Aktivist, Investigativjournalist und Künstler. In seinen Recherchen geht er der Digitalisierung unseres Lebens, der Überwachung und Informationskontrolle auf den Grund. Die Berliner Galerie „Nome“ zeigt jetzt seine Ausstellung „Glomar Response“.

Immer wieder dieser eine Satz: „We neither confirm nor deny it“, „wir können es weder bestätigen noch verneinen“. James Bridle, Netz-Aktivist, Journalist und Künstler, bekam ihn häufig als Antwort auf seine Anfragen, die er an offizielle Behörden stellte, zum Beispiel als er die Londoner Metropolitan Police nach Informationen zur Überwachung mit CCD Kameras befragte. „Irgendwann war ich geradezu besessen von diesem Satz, weil er mir so oft bei meinen Recherchen begegnete,“ sagt er. Es ist eine Floskel, eine Standard-Antwort von Machthabern, die Informationen zurückhalten wollen. Die sogenannte „Glomar Response“ wurde erstmals 1975 von der US-Amerikanischen Regierung formuliert. Damals ging es darum, die Bergung eines russischen Atom-U-Boots zu vertuschen.

Bridle erzählt davon, während er in der Berliner Galerie „Nome“ durch seine Ausstellung führt. Er hat ihr eben diesen Titel gegeben: „Glomar Response“. Drei Arbeiten des Künstlers sind dort zu sehen, die sich mit solchen Formen staatlicher Informationskontrolle auseinandersetzen. „Es geht darum, wie Technologie auf vielfältige Art und Weise dazu benutzt wird, die Komplexität der Dinge zu verschleiern“, sagt er. Bridle dreht das Prinzip um. Er zerrt das Verborgene mithilfe von Technologien ans Licht. Zum Beispiel auch in seinem Projekt Citizen Ex, über das WIRED schon berichtete.

Die grafischen Bilder mit regenbogenfarbenen Streifen, die an der Galeriewand hängen, sind deshalb nicht nur hübsch anzusehen, sondern hochpolitische Visualisierungen von Zensur. Bridle hat zum Beispiel einen US-Senatsbericht über das Folterprogramm der CIA ausgewertet sowie Berichte des UK Information Commissioners über automatisierte polizeiliche Überwachung und diese dann grafisch visualisiert. Die schwarzen Punkte auf den roten, orangefarbenen, gelben, grünen und blauen Streifen zeigen jeweils die Textstellen an, die aus den Dokumenten entfernt wurden. Bridle hat die Visualisierungsoftware selbst entwickelt. Das Ergebnis ist frappierend und es verdeutlicht nicht nur, wie viele Informationen zurückgehalten werden, sondern auch wie ernsthaft Bridle seine Recherchen betreibt.

Der Künstler, der ursprünglich Informatik studiert hat, weiß also genau, was er tut, beißt sich in seinen Themen fest und nutzt Online-Tools, aber auch klassische Recherchemethoden, um an die Informationen zu kommen, die er sucht. Oft geht es ihm dabei anfangs primär darum, die Dinge selbst zu verstehen. So war es auch bei „Seemless Transitions“. Als Bridle über Deportationsprogramme der britischen Regierung las, stolperte er über ein Detail: Die britische Regierung mietete Privatjets, um Menschen abzuschieben, hieß es da. Mithilfe von Plane-Tracking-Websites ging er dem nach und landete schließlich auf einem kleinen Terminal des Flughafens Stansted, wo er durch einen Zaun hinweg eine Abschiebung beobachtete. „Seemless Transitions“ macht diesen und zwei andere mit der Flüchtlingspolitik Großbritanniens verknüpfte Orte, die man normalerweise nicht zu Gesicht bekommt – ein Gericht und eine Haftanstalt — sichtbar. Allerdings nicht unmittelbar: Bridle hat die drei Orte detailgetreu nach Bauplänen sowie eigenen und Augenzeugenberichten mit CGI-Techniken nachgebaut.

Die aufwändigste Recherche steckt hinter der dritten Arbeit in der Ausstellung. In „Waterboarded Documents“ geht es um das Britische Territorium im Indischen Ozean, eine Inselgruppe, an der Bridle beispielhaft technologiebasierte Machtstrukturen aufzeigt. In den 1970er Jahren hatte Großbritannien das Archipel gewaltsam entvölkert und anschließend die größte der Inseln, Diego Garcia, den USA als militärische Basisstation zur Verfügung gestellt. Diese wurde während des Kriege in Afghanistan und im Irak genutzt, aber auch als Transitpunkt und Geheimgefängnis der CIA. Beweisen könnten dies Flugprotokolle, die jedoch laut des britischen Außenministeriums bei einem Wasserschaden zerstört wurden. Angeblich.

Wie sich diese undurchsichtige Geschichte der Gewalt heute fortsetzt, kulminiert für Bridle in der Internet-Domain von Diego Garcia, io, die besonders bei Silicon-Valley-Startups beliebt ist. Auch sie gehört zum britischen Territorium, die Inselbewohner wurden auch virtuell enteignet. Diego Garcia sei ein Korrektiv zu der Idealvorstellung, das Internet sei frei zugänglich, offen und unabhängig von nationalen Grenzen und von der Vereinnahmung durch die Politik, so Bridle: „Io zeigt, wie Technologien alte imperiale Strukturen reproduzieren.“ Zur Verdeutlichung hat er Landkarten, Texte, Protokolle und Schautafeln, die diese Geschichte der Gewalt, Unterdrückung und Kontrolle dokumentieren, auf Tischen gruppiert und auch ihnen einen dezenten Wasserschaden verpasst. „Waterboarded Documents“ ist noch nicht abgeschlossen, Bridle recherchiert weiter daran und veröffentlicht seine Ergebnisse als Texte, aber eben auch als Kunst. Warum? „Ich glaube, dass die Kunst neue Denkweisen ermöglicht, nicht nur was das Thema Überwachung angeht, sondern alle Aspekte der technologisch erweiterten Welt, in der wir leben“, sagt er. „Wir brauchen neue Metaphern, um überhaupt darüber nachdenken zu können.“ Stoff dafür liefert Bridle genug.

Die Ausstellung von James Bridle läuft noch bis zum 5. September 2015 in der NOME Galerie, Dolziger Straße 31, 10247 Berlin. 

GQ Empfiehlt
Was heißt schon noch „privat“?

Was heißt schon noch „privat“?

von Max Biederbeck