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So widerspenstig schön können Forschungslabore sein

von Oliver Klatt
Unter dem Motto „The Day Will Come“ findet in Hamburg derzeit die sechste Triennale der Photographie statt. In mehr als 50 Ausstellungen von Museen und Galerien setzen sich Fotokünstler aus aller Welt mit dem Thema Zukunft auseinander. Zudem gibt es Vorträge, Partys und Workshops. Viele der Einzelausstellungen werden auch noch nach dem Ende des Festivals zu sehen sein. Wir stellen die spannendsten Beiträge vor.

Wir alle sind Nutznießer von langwieriger Forschungsarbeit. Wie die wissenschaftlichen Durchbrüche entstehen, die unser Leben erleichtern, wissen wir aber in den wenigstens Fällen. Für sein neues Buch „Ways Of Knowing“ ist der in London lebende Fotograf Daniel Stier in die Labore der Universitäten und Institute hinabgestiegen.

Viele der mit einer Großformatkamera eingefangenen Fotos, die Stier zu Tage fördert, wirken wie aus einer anderen Welt: An der Ruhruniversität Bochum sitzt ein Mann in einem schallisolierten Raum und starrt auf eine Reihe ihn im Halbkreis umringender Lautsprecher.

Eine Frau im aufgepumpten Silberanzug geht am Dortmunder Institut für Arbeitsforschung über ein Laufband und pustet dabei Luft in einen gelben Sack. Verdrahtete Körper kippen zur Seite oder sind in äußerst unbequem wirkende Vorrichtungen eingepfercht. Man könnte diese mal klobigen, mal filigranen Versuchsaufbauten für Multimedia-Installationen halten. Oder für Teile einer Fetisch-Performance. „Ich werde manchmal gefragt, ob ich das alles bei mir im Studio aufgebaut habe“, sagt Stier. „Aber das sind ausschließlich Aufnahmen, die vor Ort in wissenschaftlichen Einrichtungen entstanden sind.“

Als reine Fotoreportage, die Forscher bei ihrer Arbeit dokumentiert und ihren Alltag dem Betrachter näher bringt, will Stier „Ways Of Knowing“ nicht verstanden sehen. Ihm geht es vielmehr um die spezifische Ästhetik der abgebildeten Situationen.

Und darum, Parallelen aufzuzeigen zwischen den Methoden, mit denen in Laboren und in Künstlerateliers nach Wahrheit gesucht wird. Hier die Mechanismen, nach denen unsere Welt funktioniert. Dort die geheimen Zusammenhänge, die eine Form vollendet und ein Bild kunstvoll erscheinen lassen. „Als ich die Wissenschaftler in ihren Laboren besucht habe, sind mir viele Gemeinsamkeiten zum Künstlerleben aufgefallen“, sagt Stier. „Auch bei ihnen mangelt es häufig am Geld. Und viele von ihnen sitzen irgendwo in einem abgelegenen Kellerraum und werkeln vor sich hin.“

Sowohl im Atelier, als auch am Forschungsinstitut, so Stier, gehe es darum, abgeschottet von äußeren Einflüssen immer wieder Neues auszuprobieren, daran zu scheitern und trotz aller Rückschläge nicht aufzugeben. Um diese Gemeinsamkeiten zu illustrieren, hat er den Laboraufnahmen farbenfrohe Stillleben und inszenierte Situationen aus seinem Fotostudio gegenübergestellt. „Die Forschung bringt Daten hervor. Bei mir entstehen Bilder“, sagt Stier.

„Aber ein theoretischer Physiker hat mir einmal erzählt, dass er und seine Kollegen ebenfalls auf der Suche nach Schönheit sind.“ Fündig werden sie in der Eleganz einer mathematischen Gleichung. Oder der beobachteten Harmonie natürlicher Prozesse. Bei ihren Versuchsaufbauten selbst scheinen ästhetische Überlegungen hingegen nur selten eine Rolle zu spielen. Hier folgt die Form stets dem Diktat der Funktionalität.

Aber gerade das interessiert Stier. Seine sorgfältig ausgeleuchteten Fotografien zeigen keine verletzungssicher abgerundeten Designobjekte und keine gefällige Gebrauchsware, sondern kantige, verschlungene, widerspenstige Konstruktionen: Streben stehen über, wulstige Kabelstränge liefern Strom und saugen Daten, Klebeband hält mühsam zusammen, was eigentlich nicht halten kann aber halten muss.

Es entstehen Geräte, die meistens nur einem einzigen, ganz speziellen Zweck dienen. Das macht sie zu etwas Besonderem, zu Unikaten. Und immer mittendrin: Der Mensch als Versuchsperson, der sich in seinem Wissensdurst den Messapparaturen hingibt. „Gerade weil viele Wissenschaftler so uneitel sind und die Optik hier nicht im Mittelpunkt steht, ergibt sich daraus eine ganz eigene Schönheit“, sagt Stier. „Viele von ihnen nehmen das überhaupt nicht wahr. Aber geschmeichelt fühlen sie sich dann doch, wenn ich als Außenstehender aus dieser ungewohnten Perspektive auf ihr Werk blicke.“

Die Ausstellung „Ways Of Knowing“ ist noch bis zum 4. September in der Galerie kulturreich, Wexstraße 28, 20355 Hamburg zu sehen. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag, 13 bis 18 Uhr. Der Bildband „Ways Of Knowing“ ist in Zusammenarbeit mit YES Editions entstanden. 

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