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Der Künstler Davide Quayola benutzt Algorithmen wie Instrumente

von Sonja Peteranderl
Davide Quayola experimentiert mit Industrierobotern und verwandelt klassische Meisterwerke der Kunst mit Algorithmen in neue Kreationen. WIRED hat mit dem italienischen Visual Artist über den kreativen Missbrauch von Technologie, Algorithmen als Mitarbeiter und Kunst als offenen Prozess gesprochen.

WIRED: Deinen abstrakten, geometrisch wirkenden Kunstwerken sieht man nicht mehr an, dass ihr Ausgangspunkt Renaissance-Meisterwerke waren. Welche Idee steckt hinter der Serie „Iconographies“, die du gerade in der Nome Galerie in Berlin präsentierst?
Davide Quayola: Wenn du dir die Bilder ansiehst, ist es unmöglich zu sehen, was sich hinter ihnen verbirgt — mit Absicht. Für mich sind Kunstwerke wie von Boticelli ein Startpunkt, der Ausgangspunkt, wo die Reise beginnt. Ich habe die Serie in den letzten zehn Jahren immer weiterentwickelt. Ich bin in Rom aufgewachsen, also in der Nähe dieser Gemälde, die so ein Teil meiner DNA geworden sind. Als ich mit 19 Jahren nach London umgezogen bin, bin ich vor diesen Bildern geflüchtet, andererseits habe ich angefangen, mich dafür zu interessieren und mich mit ihnen auf eine neue Art auseinanderzusetzen. Der Anfang war eine Fotoserie über Kirchen. Ich habe dann angefangen, auch Videos zu machen, auf Algorithmen basierende Prints und Gravuren, seit Kurzem beschäftige ich mich auch mit Skulpturen, so dass es wieder physischer wurde. Neben dem persönlichen Narrativ ist das technologische Narrativ zentral für mich. Mediation ist so präsent geworden: Wir sehen uns die Welt durch die Augen von Maschinen an.

WIRED: Wie verändert Technologie deinen Blick auf Kunst?
Quayola: Es ist eine spannende Möglichkeit, durch diese neuen Linsen etwa auf Gemälde zurückzublicken — und anders darüber nachzudenken. Der Missbrauch von Technologie ist interessant, um neue Dinge zu entdecken. Beim Google Art Project wurden Gemälde eingescannt und man kann diese Gemälde plötzlich wie topografische Karten entdecken. Das war auch eine große Inspiration für dieses Projekt. Ein Bild so zu betrachten, wie es nicht vorgesehen war, öffnet komplett neue Wege. Mich faszinieren Computer Vision, bestimmte Formen von Ästhetik und neuen Sprachen, die zu den Augen der Maschinen gehören.

WIRED: Nehmen dir Algorithmen die Arbeit ab?
Quayola: Ich entwickle Tools wie Algorithmen, die ich wie Musikinstrumente verwende. Es handelt sich nicht um einen analytischen Input, mit dem der Algorithmus dann ein neues Bild ausspuckt, sondern ich nutze diesen Input als Quelle, und dann beginne ich mit den Instrumenten herumzuspielen, bis ich ein Bild erzeuge, das ich für wertvoll halte.

WIRED: Hast du den Algorithmus, mit dem du arbeitest, selbst entwickelt?
Quayola: Technisch ist das keine Rocket Science. Ich nutze gebräuchliche Software, aber es ist ein Toolset und ich habe im Lauf der Zeit eigene Zugänge und Arbeitsabläufe entwickelt. Ich missbrauche die Technologie mehr oder weniger. Denn man könnte digital ein sehr gutes Image von einem Originalbild wie einem Gemälde erzeugen. Anstatt Algorithmen zu entwickeln, die mir Einblicke in den historischen Aspekt des Werkes geben würden, mache ich es aber abstrakt.

WIRED: Wie muss man sich den Prozess konkret vorstellen?
Quayola: Ich kann fast eine Art MRI-Scan von einem Bild erzeugen, beeinflusst von verschiedenen Parametern. Man kann etwa durch das Saturationslevel durchscannen oder andere Features des Bildes, verschiedene Bereiche aussuchen und das Bild aufbrechen auf eine Art und Weise, die dein eigener Blick nicht schaffen würde. Ich lasse verschiedene Studien durchlaufen, bis ich etwas finde, was ich spannend finde, was sich vom Original abhebt, und bestimmte Facetten betont.

WIRED: Wie würdest du die Beziehung zwischen dem Original und dem neuen Werk beschreiben?
Quayola: Ich mag es, wenn man die Beziehung mit dem Original nicht auf den ersten Blick sieht — diese Objekte sind jetzt nicht mehr da, um den Prozess zu dokumentieren, sondern sie sind neue Objekte geworden. Sie stehen für sich selbst. Erst wenn man sich das Originalbild ansehen würde, würde die Beziehung klar sein. Man kann die Werke dann entweder tiefer explorieren, mehr lesen, wie bei einem Puzzle, oder man kann sie sich einfach ansehen.

WIRED: Hast du vorher eine Vorstellung davon, wie das finale Werk aussehen könnte, oder lässt du dich überraschen?
Quayola: Es ist so, wie eine Dokumentation zu machen — im Unterschied zu einem Film. Wenn du einen Film produzieren würdest, hättest du vorher ein sehr präzises Storyboard, ein Drehbuch, alles ist festgelegt und organisiert. Eine Dokumentation zu machen, ist selbst ein Entdeckungsprozess. Ich mag es, Systeme zu entwickeln und sie als Rahmen für Research zu nutzen und überrascht zu werden von diesem Dialog. Technologie ist für mich wie ein Mitarbeiter, etwas, mit dem ich mich austauschen kann. Meine Ausstellung ist ein Resultat oder ein Zwischenergebnis von dieser laufenden Research.

WIRED: Arbeitest du nur mit Maschinen oder auch mit Menschen zusammen?
Quayola: Kollaboration ist für mich extrem wichtig — von den Druckern bis hin zu Programmieren und Entwicklern. Manchmal arbeite ich eher alleine, bei größeren, komplexen Projekten wird das Team dann größer. Die Software habe ich auch mit guten Entwicklern zusammen entwickelt. Ich denke gerne über Systeme und die Mechanik dahinter nach, aber die konkrete Entwicklung kann ich nicht alleine machen. Ich arbeite zum Beispiel mit industriellen Robotern, die große Blöcke zu Skulpturen bearbeiten. Es ist sehr komplex und nur möglich, weil ich mit Ingenieuren zusammenarbeite. Technologie wird immer leichter verfügbar, aber auch immer komplexer.

WIRED: Große Teile deiner Arbeit sind digital — hast du überhaupt noch ein festes Studio?
Quayola: Ich habe ein Studio in London, eine Art Lagerhaus, in dem ich anfangs mit Freunden gelebt habe und wo wir auch immer wieder Partys veranstaltet haben. Dann wurde es nach und nach zivilisierter, ich lebe dort nicht mehr, sondern einige Künstler und ich teilen uns den Ort jetzt, um dort zu arbeiten. Es ist jetzt ein bisschen langweilig, weil ich vor allem mit Computern arbeite und dort stehen vor allem Server und Computer herum, kaum physische Werke. Die Werke entstehen erst in Zusammenarbeit mit verschiedenen Workshops oder Herstellern und an verschiedenen Orten der Welt. Ich arbeite mit dem Computer und mache mir kaum die Hände schmutzig, aber trotzdem hat man mit der Digitalisierung und diesen ganzen digitalen Pipelines mehr und mehr Kontrolle über den Prozess, selbst wenn man nicht am Produktionsort ist.

WIRED: Wie würdest du den State of the Art der digitalen Kunstszene beschreiben, welche Entwicklungen findest du gerade interessant?
Quayola: Es gibt eine neue Generation von Künstlern, die in einen Dialog mit Technologie treten und eine bestimmte Ästhetik schaffen, die von den Tools beeinflusst ist. Es gibt noch nicht so ein langes historisches Erbe in diesem Bereich, so dass man quasi unentdecktes Territorium betreten und sich erschließen kann und das ist interessant.

WIRED: Lässt du dich auch von digitaler Kunst inspirieren?
Quayola: Ich konsumiere nicht so viel digitale Kultur, Feeds oder Pinterest-Bilder. Ich interessiere mich für traditionelle Gemälde, ich erforsche auch archäologische Sehenswürdigkeiten. Auch Natur ist wichtig für mich — im letzten Jahr habe ich mich zum Arbeiten im Landhaus meines Vaters in Italien eingerichtet, wo es gar nichts gibt. Ich arbeite dann natürlich wieder am Computer, aber immerhin inmitten von Natur.

WIRED: Wie sehen Scheitern und Frustration im digitalen Zeitalter aus?
Quayola: Es ist ziemlich selbstmörderisch, weil die Projekte verdammt kompliziert sind, man muss viel forschen, bevor man etwas realisieren kann. Man braucht eine Art Entrepreneurship-Ansatz, auch um das Geld aufzutreiben, um diese hochkomplexen Projekte zu realisieren. Deswegen gibt es viel Frustration. Auf der einen Seite arbeitet man am Computer, man kann Dinge sofort testen, unabhängig arbeiten und ziemlich günstig — nur wenn man das Projekt dann materialisieren will, wird es schwierig. Ich bin es gewohnt mit einer hohen Geschwindigkeit zu arbeiten, und dann verzögert sich alles. Manchmal dauert es jahrelang, bis aus einem Entwurf tatsächlich eine echte Skulptur wird, die gut aussieht.

Die Ausstellung „Iconographies“ ist vom 15. Januar bis 5. März 2016 in der Nome Galerie, Dolziger Str. 31 in Berlin zu sehen. 

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