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International Teletext Art: Dieses Kunstfestival findet auf eurem Fernseher statt

von Angela Gruber
Neongrüne Pixel auf Schwarz: In der Nische hat der Teletext die digitale Revolution überlebt. Das International Teletext Art Festival zelebriert die radikale Begrenztheit des Formats und zeigt ab heute einen Monat lang Kunst im Lego-Look.

Rot, Grün, Gelb, Türkis, Blau, Pink. 25 Bildzeilen mit je 40 Zeichen. Schwarz und Weiß. Das war's. Mehr geht nicht auf einer Seite Teletext. Er zeigt deutschen Fernsehzuschauern seit den Achtzigerjahren Nachrichten, Bundesligatabellen und Erotik-Hotlines — alles in der gleichen pixeligen Grafik, die aussieht, als wäre sie aus Lego-Steinen zusammengesteckt.

Und ab heute ist im Teletext auch Kunst zu sehen, auf dem International Teletext Art Festival (ITAF). Vom Begriff „Festival“ darf man sich dabei nicht irreführen lassen: Das ITAF hat keinen physischen Veranstaltungsort. Die Werke von 15 Künstlern aus der ganzen Welt sind über den Videotext des Fernsehers aufrufbar. In Deutschland zeigt der ARD Text auf Seite 801 die Bilder, außerdem sind der ORF, Arte und der Schweizer Teletext dabei.

Dass sich die Kunst für den Teletext mit seinem angestaubten Image interessiert, ist für den finnischen Festivalkurator Juha van Ingen nicht paradox: „Der Teletext bietet Künstlern wenige technische Möglichkeiten. Aber die Beschränkung macht es erst interessant, genauso wie die Klarheit und Härte der Bildsprache.“

In der Kunst wird auch noch mit Ölfarben gearbeitet, da ist der Teletext geradezu futuristisch.

Juha van Ingen, ITAF-Kurator

Vor einigen Jahren waren van Ingen und die Künstlerkooperative FixC aus Helsinki auf der Suche nach neuen Ideen für Animationen — und stießen auf den Teletext. „Wir haben uns dann alle nacheinander in den Look verliebt“, sagt van Ingen. Die finnischen Künstler organisierten eine erste nationale Teletext-Ausstellung, die Idee kam an. Mit dem ITAF entstand 2012 die internationale Variante. „Natürlich kämpft der Teletext gegen den Wandel. Aber in der Kunst, wo auch noch mit Ölfarben und Leinwand gearbeitet wird, ist die Auseinandersetzung mit einer Erfindung aus den Achtzigern geradezu futuristisch.“

Für ihre Kunst brauchen van Ingen und seine Kollegen besondere Dateiformate und Eingabeeditoren wie Cebra Text. Um etwa die Grafik-, Text- oder Hintergrundfarbe zu ändern oder ein Blinken einzufügen, wird ein Steuerzeichen gesetzt. Die Herausforderung: Mit jedem neu eingefügten Zeichen verschiebt sich das komplette Bild.

Mit dem ITAF will van Ingen abbilden, dass sich trotz der Begrenztheit der Form verschiedene Stile der Teletext-Kunst herausgebildet haben. Das Festival zeigt abstrakte Farbrhythmen in Schwarz und Weiß, genauso wie bunte Pixel-Felder vom deutschen Netzkunst-Pionier Holger Lippmann. Ryo Ikeshiro aus Japan hat ein Playboy-Model in eine pink-weiße Pixel-Grafik verwandelt. Andere Künstler arbeiten mit Text als Stilelement oder beziehen sich auf Internet-Meme.

In seinen Anfängen in den Achtzigern wurde der Teletext mit knubbeligen Fernsehbedienungen aufgerufen und flackerte über dicke Röhren, während der damals noch linear fernsehende Zuschauer auf einem knautschigen Sofa saß. 35 Jahre später sehen die Zuschauer ihren Tatort im Netz und haben, wenn überhaupt noch, hochauflösende Flachbildfernseher im Wohnzimmer.

Seine Beständigkeit und Einfachheit sind die Lebensversicherung des Teletexts.

Frauke Langguth, Leiterin ARD Text

Der Teletext hat alle digitalen Umwälzungen überdauert, in der Nische. Er hat sich nicht verändert — und gerade deshalb überlebt. Seine Beständigkeit und Einfachheit, die auch die ITAF-Künstler so faszinieren, seien die Lebensversicherung des Teletexts, sagt Frauke Langguth. Sie ist die Leiterin des ARD Texts. „Informationen gibt es heute überall. Aber bei uns stehen sie immer an denselben Stellen — schnell zu finden und kompakt dargestellt.“

Tatsächlich würde in Deutschland immer noch mehr als elf Millionen Menschen täglich den Teletext nutzen, rechnet Langguth vor. Weil der Teletext so ist, wie er ist, gibt es ihn seit kurzem sogar als App. „Die geringe Bandbreite und die Konzentration auf reine Textnachrichten sind in Gebieten mit schlechtem Netz der entscheidende Vorteil“, sagt Langguth. Auch Festivalkurator van Ingen findet: „Teletext erinnert mich optisch an die Zeiten des Commodore 64. Aber er hat als Plattform überlebt, weil er immer noch eine sehr ökonomische Möglichkeit ist, Informationen zu übermitteln.“

Theoretisch könnte das ITAF ausschließlich im Netz stattfinden, aber das Internet ist nur Begleitangebot. Langguth und van Ingen plädieren dafür, die Verbindung zwischen dem Teletext und der Kunst, die er inspiriert hat, nicht zu kappen. „Nur über das Sendesignal entfaltet sich der ganze Charme dieser Kunstwerke“, sagt Langguth. „Und als Rundfunksender können wir das bieten, was die Künstler nicht haben: Sendetechnik und Bandbreite.“

Mehr als zwei Millionen Menschen haben das Teletext-Kunstfestival in den letzten beiden Jahren besucht, in der Werbepause oder bei einem lange geplanten Kunstabend, wer weiß das schon. Dass man am Festival teilnehmen kann, ohne vom Sofa aufstehen oder seine Jogginghose ausziehen zu müssen, kommt dem ITAF sicher auch zugute. Frauke Langguth sagt trotzdem: „Jedes Museum würde sich über solche Besucherzahlen freuen.“

Das ITAF 2015 läuft bis zum 13. September und ist in Deutschland über den ARD Text auf Seite 801 zu sehen. Wer keinen Fernsehanschluss hat, kann das Festival auf Tumblr oder über die Website verfolgen. Die Teletext-Kunst wird außerdem auf dem Ars Electronica Festival in Linz gezeigt (3. bis 7. September 2015). 

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