Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

Eins werden mit dem Fahrzeug: Wie Musik uns dieses Auto fühlen lässt

von GQ
Der Roadable Synapse ist ein Konzeptauto, das Fahrer und Wagen zu einer Einheit werden lässt. Dabei stellt es alles in Frage, was die Industrie von der Zukunft des Fahrens erwartet. Der Künstler Jonathon Keats beschreibt das Erlebnis „als wäre die Hülle des Autos die Haut des Fahrers“.

In Zukunft, so heißt es, werden unsere Autos ganz autonom fahren. Man ruft sich ein Robo-Taxi und lässt sich zum gewünschten Zielort chauffieren, ohne Smalltalk mit einem menschlichen Fahrer halten zu müssen. Menschen werden zum Frachtgut – so passiv und tatenlos während der Reise wie ein Amazon-Paket im Lieferwagen.

So erzählen es sich die Menschen zumindest seit Jahren. Und warum sollte man das auch anzweifeln? Das autonome Fahren scheint die logische Konsequenz der größten Techniktrends zu sein – eine jahrhundertelange Entwicklung der Automation, die nun von Künstlicher Intelligenz perfektioniert wird. Es heißt ja nicht umsonst „Auto“-mobil. Autohersteller und Technologiekonzerne überbieten sich in einem Kopf-an-Kopf-Rennen um das beste autonome Auto. In der Berichterstattung ist autonomes Fahren nicht mehr die Antwort auf eine Frage, sondern die Startvoraussetzung.

Aber hier ist der Haken: Wenn jeder ganz genau zu wissen glaubt, wohin die Zukunft führt – vor allem wenn diese Zukunft noch weit von unserer Realität entfernt ist – ist das kein Zeichen von Unvermeidbarkeit. Es ist ein Zeichen, dass die Menschen aufgehört haben nachzudenken. Vielleicht ist es daher an der Zeit, das Bekannte hinter sich zu lassen und die Dinge von einem entgegengesetzten Blickwinkel aus zu betrachten.

Hier kommt Roadable Synapse ins Spiel, ein Konzeptauto, das von dem Künstler Jonathon Keats und dem Hyundai-Ingenieur Ryan Ayler entwickelt wurde. Statt den Fahrer zum Passagier zu machen, involviert der im Los Angeles County Museum of Art ausgestellte voll funktionsfähige Prototyp den Fahrer viel stärker in den Prozess des Fahrens.

Man schaltet nicht ab, wenn sich die Räder in Bewegung setzen, sondern gewissermaßen ein. Keats und Ayler haben eine Schnittstelle entwickelt, die es dem Fahrer ermöglicht, durch Musik zu fühlen, was das Auto tut – egal ob es eine enge Kurve nimmt oder einen steilen Berg hochfährt.

„Dabei kann es sich um jede Art von Musik handeln“, sagt Keats. „Was auch immer man gerne hört. Wir nutzen Daten aus dem Bordcomputer, um das Signal umzuwandeln, damit der Fahrer das erlebt, was auch das Auto erlebt. Nicht auf einem intellektuellen Level, sondern auf einem tieferen, intuitiveren Level. Wir machen uns zu Nutze, wie Menschen die Welt um sich herum ohnehin wahrnehmen.“

Ein einfaches Beispiel: Wenn das Auto beschleunigt, wird auch die Musik schneller. Das mag mit instrumentaler Musik besser funktionieren als mit Gesang. Aber wie Keats sagt: „Das schnellere Tempo berührt einen auf einer emotionalen Ebene, was wiederum die Wahrnehmung verändert. Es ist, als würde die Zeit langsamer ablaufen – man bemerkt plötzlich viel mehr Details pro Zeiteinheit. Die Musik taktet das Gehirn neu ein, so dass man die Welt mit der Geschwindigkeit des Autos wahrnimmt.“

Um das ganze Experiment zu verstehen, hilft es zu wissen, dass Keats vom New Yorker einmal als „experimenteller Philosoph“ bezeichnet wurde. Er verkaufte Grundstücke in Paralleldimensionen, wie sie die String Theorie vorhersagt. Er ließ sein Gehirn urheberrechtlich schützen, um darauf die übliche Schutzfrist von 70 Jahren nach seinem Tod zu bekommen. Niemand ist besser darin, vermeintlich feststehende Konzepte ins Wanken zu bringen.

Die Details, wie genau der Prototyp funktioniert, sind erst einmal gar nicht so ausschlaggebend, wenn auch ziemlich interessant. Später mehr dazu. Vielmehr sollte man seine Aufmerksamkeit auf die Menge an Ideen lenken, die Keats heimlich dazwischenschmuggelt. Der Roadable Synapse ist eine gerissene Antwort auf eine Frage, die wir vergessen haben zu stellen: Was, wenn autonome Autos gar nicht die Zukunft sind?

Ist es wirklich das, was wir wollen? Macht es nicht auch Spaß, selbst zu fahren?

Es gibt gute Gründe, das in Frage zu stellen. Man kann zum Beispiel nicht davon ausgehen, dass Verbraucher sich freiwillig in Metallboxen einsperren lassen, die sie, aller Kontrolle über das eigene Schicksal beraubt, durch den Verkehr chauffieren. Außerdem wäre da die immer noch ungelöste Frage nach der Haftung bei Unfällen.

Und noch grundlegender: Ist es wirklich das, was wir wollen? Macht es nicht auch Spaß, selbst zu fahren? Der Entscheider über die eigene Fortbewegung zu sein? Das Kommando über die Maschine zu haben?

Klar, in der Stadt ist es angenehmer, ein Taxi zu nehmen, um dem darwinistischen Kampf um die wenigen Parklücken zu entkommen. Und dieser Taxifahrer wird – vielleicht auch nur aus Kostengründen – durch einen Computer ersetzt werden. Aber auf den Landstraßen und Autobahnen das Lenkrad abgeben? Nein, danke.

Filme, Serien, Videospiele und Werbeclips, die das Fahren zeigen, würden dem sicherlich zustimmen. Thelma und Louise hätten sich wohl viel weniger frei gefühlt, hätten sie die Flucht untätig auf dem Rücksitz eines autonomen Fahrzeugs verbracht. In anderen Worten: Es geht um viel mehr als nur um Personenbeförderung.

Offen gesagt ist das Bild einer fahrerlosen Zukunft auch schon etwas angestaubt. Es ist wie eine Vision aus der retro-futuristischen Zeichentrickserie Die Jetsons mit ihren ergebenen Haushaltsrobotern. Konzepte von autonomen Fahrzeugen gehen sogar zurück auf die Futurama-Ausstellung auf der Weltausstellung in New York 1939. In den 50er Jahren testeten Unternehmen wie General Motors verschiedene „Automated Highway“-Systeme wie Fernsteuerung per Funk oder Magnete im Asphalt. Wie das fliegende Auto, schien das selbstfahrende Auto schon immer nur ein Steinwurf entfernt zu sein.

Genau das ist die Idee hinter der Roadable Synapse: Das Auto als Verlängerung des Körpers

Keats sagt, dass die Art, wie sich Technik tatsächlich entwickelt hat, auf einen komplett anderen Weg hinweist. „Als sich Computer zu Smartphones entwickelt haben, wurden sie zu einer Art kognitiver und emotionaler Verlängerung unserer Selbst. Sie sind zu einem Teil von uns geworden. Wir werden nervös, wenn wir von unseren Geräten getrennt sind. Auf die gleiche Weise könnte auch die Beziehung zu unseren Autos mit fortschreitender Technik inniger werden.“

Genau das ist die Idee hinter dem Roadable Synapse: Das Auto als Verlängerung des Körpers. Wenn man es genau betrachtet, steckte diese Idee auch schon immer hinter den Designs aus Detroid – auf eine prahlerische, egoschmeichelnde Art. Man denke nur an die prunkvollen Straßenkreuzer und Muscle-Cars des vergangenen Jahrhunderts oder das Streben nach dem größten SUV heutzutage.

Die Schnittstelle zwischen Auto und Fahrer war allerdings immer schon etwas rau, sagt Keats. Er wollte tiefer gehen. „Wir setzen auf Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft, um Mensch und Maschine organisch verschmelzen zu lassen. Statt eines fahrerlosen Wagens ist es ein fahrervoller Wagen. Quasi das Auto als Wearable.“

Man fühlt die Anstrengung des Autos

Keats and Ayler nutzen dazu die Geräuschkulisse beim Fahren, um „das Fahrerlebnis des Autos auf den Mensch zu übertragen.“ Die Umdrehungen pro Minute werden spürbar über die Lautstärke der Musik wiedergegeben. Die Energieeffizienz wird durch ein Rauschen angezeigt. „Wenn der Motor stark beansprucht wird“, sagt Keats, „wird die Musik störanfälliger, so dass es schwerer fällt, sie zu verstehen. Man fühlt die Anstrengung des Autos.“

Der Wagen besitzt kleine propellerförmige Messer für die Windgeschwindigkeit an jeder Seite. Änderungen werden durch die Audio-Balance zwischen dem linken und rechten Lautsprecher angegeben. „Ich spreche das binaurale Hören an, also das Richtungshören, mit dem wir uns orientieren,“ sagt Keats. Wenn das Auto also eine Links- oder Rechtskurve fährt, ermöglicht die Musik eine Art Tiefenwahrnehmung, „als wäre die Hülle des Autos die Haut des Fahrers“.

Man könnte die Idee sogar noch weiter treiben, sagt er. Man könnte die Karosserie mit piezoelektrischen Drucksensoren ausstatten und die Innenseite mit kleinen Lautsprechern bedecken, um eine detailierte Klanglandschaft zu bilden.

Leichte Vibrationen imitieren die Kontraktionen des Magens.

Aus versicherungstechnischen Gründen konnte WIRED den Roadable Synapse nicht selber testen, aber Keats beschreibt seine eigenen Erfahrungen so: „Es ist wirklich interessant. Ich habe gemerkt, wie es meine Wahrnehmung der Straße erweitert und meine Aufmerksamkeit erhöht hat.“ Und falls wir weiterhin menschliche Fahrer haben, fügt er hinzu, würde es ihre Sicherheit nur erhöhen, wenn sie ein System aufmerksamer macht.

Ob die Schnittstelle nicht auch eine Ablenkung sein könnte? Nein, sagt Keats. Er erinnert daran, dass das System nicht auf die kognitiven Fähigkeiten einwirkt. Ohnehin hätten sie mit verschiedenen Schwellenwerten für die Sinneseindrücke experimentiert, die von deutlich wahrnehmbar bis unterschwellig reichten. „Es ist immer noch eine offene Forschungsfrage“, gibt er zu, „aber ich glaube, dass man ein Signal ausgeben kann, das kaum bemerkbar ist, aber trotzdem die Wahrnehmung verändert.“

Keats betont, dass diese musikalische Benutzeroberfläche als Machbarkeitsnachweis zu verstehen ist. Er arbeitet zur Zeit an weiteren Arten, die Fahrerfahrung umzugestalten. Eine Idee ist eine Erweiterung des Sicherheitsgurtes, die eine Art Hungergefühl verschafft, wenn das Benzin zur Neige geht. Leichte Vibrationen imitieren die Kontraktionen des Magens.

Außerdem arbeitet er an einem Fahrersitz, der das Stresslevel des Fahrers erhöht, wenn das Auto in die Wartung muss. „Ich mache mir Hormone zu Nutze,“ sagt Keats. „Es gibt diese Idee von Amy Cuddy von der Harvard Universität, dass die Körperhaltung auch die Hirnchemie verändert. Das ist die Sache mit dem sogenannten Power-Posing. Wenn du dich wie Wonder Woman hinstellst, fühlst du dich auch selbstbewusster. Im Gegenzug wird sich dein Cortisol-Level erhöhen und dein Testosteron-Level verringern, wenn dich dein Sitz einengt. Du wirst dann ängstlicher.“

Man könnte an dieser Stellen meinen, ziemlich veralbert zu werden. Wird man auch. Aber mit den besten Absichten. Wenn Keats eine Intention hat, dann ist es nicht ein bestimmtes Auto der Zukunft zu propagieren, sondern uns dahin zu bringen, die einfachen Antworten in Frage zu stellen. Was ihn stört, ist nicht die Aussicht auf autonome Fahrzeuge an sich, sondern die Tatsache, dass diese Zukunft als unausweichlich angesehen wird. „Es kann ganz leicht zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden,“ sagt er. „Unternehmen geben hunderte Millionen Dollar dafür aus, die technologischen Probleme selbstfahrender Autos zu lösen. Und dann sagen sie: Wir haben schon so viel investiert. Wehe, das wird jetzt nicht die Zukunft.“

Der Roadable Synapse ist ein Gedankenexperiment, sagt er. „Es ist wichtig, sich Alternativen zu autonomen Autos vorstellen zu können, um zu entscheiden, ob das wirklich die Welt ist, in der wir leben wollen. Was bedeutet es, die Kontrolle abzugeben und diese Blackbox, die wir künstliche Intelligenz nennen, zum Betriebssystem unserer Welt werden zu lassen?“

Wie intim wollen wir mit unser Technik werden? An welchem Punkt auf diesem Weg beginnen wir unsere Würde und, nunja, Menschlichkeit einzubüßen?

Mit entwaffnender Ehrlichkeit sagt er dann: „Ich bin mir auch nicht sicher, dass unsere Alternative überhaupt eine gute ist. Aber sie ist sehr plausibel. Ich leite sie ja nur von anderen Entwicklungen ab – der Idee von Wearables und Vernetzung. Wir sind doch schon an der Hüfte mit unseren Telefonen verwachsen. Indem ich diese Idee auf das Auto als Wearable übertrage, versuche ich mehrere Schritte vorauszuspringen, um unsere Perspektive darauf zu erweitern. Ich wollte nicht, dass es zu glatt und verführerisch wird.“

Tatsächlich ist das Ergebnis faszinierend und verstörend zugleich. Im „fahrervollen Auto“ gibt der Mensch immer noch den Ton an, behält das Lenkrad in den Händen. Aber ist das Auto eine Verlängerung des Körpers oder ist der Körper eine Verlängerung des Autos? Wie intim wollen wir mit unserer Technik werden? An welchem Punkt auf diesem Weg beginnen wir unsere Würde und, nunja, Menschlichkeit einzubüßen?

Auf eine Art ist der Roadable Synapse eine weitere Verwirklichung eines Traum des 20. Jahrhunderts – die Antithese zu der Utopie fauler Automation. Es ist die Cyborg-Zukunft, die Denker schon in den 1960er Jahren besorgt hat. Die Idee, dass der unermüdliche Drang unsere Sinne und Fähigkeiten zu erweitern, unweigerlich in der Verschmelzung mit unseren Erfindungen gipfelt.

Sind das also alle unsere Optionen? Verwandelt uns technischer Fortschritt entweder in passive Passagiere oder ein Nervensystem unserer Maschinen? Vielleicht können wir auch auf einen Paradigmenwechsel hoffen – wie auch immer dieser aussehen wird. Es sind schließlich genau diese Unterhaltungen, die Keats anstoßen möchte.

WIRED.com

Dieser Artikel erschien zuerst bei WIRED.com
Das Original lest ihr hier.

GQ Empfiehlt