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Digital ist besser / Shut up and take my money, Twitter!

von Johnny Haeusler
Für Gmail, Facebook oder Twitter zahlen? Eine gute Idee, findet unser Kolumnist — weil das die Unternehmen vor Selbstüberschätzung, Gier und Größenwahn bewahren könnte.

Ich verstehe die ewige Suche nach dem richtigen Geschäftsmodell vieler Online-Unternehmen nicht. Schon klar: Es muss „skalieren“. Es muss die Anleger glücklich machen. Es muss aber vor allem immer mehr werden und dafür sorgen, dass die Investoren möglichst rasch und gewinnbringend aussteigen können. Und darin liegt die Krux. Denn dieses Ziel steht dem ältesten und vergleichsweise sichersten Geschäftsmodell im Weg: Biete deinen Kunden etwas Wertvolles an und lass sie dafür bezahlen.

Während Twitter Führungskräfte verliert, dauernd neue Features ankündigt und dabei der Kurs einbricht, werden einige Nutzerinnen und Nutzer mit unausgeglichener und selten passender Werbung belästigt. Auf die Idee, zu einem Freemium-Dienst zu mutieren, kommt Twitter-Chef Jack Dorsey offenbar nicht. Dabei wäre es ein Leichtes, Twitter in kostenfreie Basis- und kostenpflichtige Premium-Funktionen zu unterteilen, die Themen Werbung und dadurch verärgerte Nutzer wären damit erledigt.

Die aktuellen 500 Millionen Dollar Umsatz pro Quartal wären damit zwar nicht zu erreichen. Wenn zehn Prozent der aktuellen 320 Millionen Twitter-User für Premium-Features einen Dollar im Monat bezahlen, landet man bei einem Brutto-Umsatz von “nur” 384 Millionen Dollar pro Jahr. Aber für den Betrieb eines tollen und werbefreien Online-Dienstes und den ein oder anderen Dollar Gewinn sollte das locker genügen. Ähnliches gilt für Google-Dienste wie Gmail, ein großartiges Produkt, für das ich gerne Geld bezahlen würde, wenn man mir dafür Datensicherheit, die Wahrung meiner Privatsphäre und Werbefreiheit gäbe.

Es ist nicht die Unmöglichkeit, online mit guten Produkten Geld zu verdienen, welche einige Unternehmen straucheln lässt. Es ist die pure Gier, zu der sich die Unternehmen verleiten lassen. Weil es nie genug ist, sondern immer mehr sein muss. Weil ordentliche Gewinne nicht ausreichen, sondern immer weiter gesteigert werden müssen. Weil es nicht darum geht, sein Leben mit der Kreation und dem Betrieb eines guten Produkts zu verbringen, sondern weil die Gründer mehrfache Millionäre werden müssen, damit sie sich die dritte Jacht kaufen können.

Dabei macht die Konkurrenz in anderen Gebieten auf kleinerem Niveau vor, wie man Unternehmen umsatzstark leiten kann — und sich dabei den ganzen Investoren- und Finanzmarkt-Stress sparen, womöglich also sogar ein besseres, entspannteres Leben führen. An erster Stelle denke ich dabei an kostenpflichtige Premium-Funktionen bei Games oder Apps, ganz besonders weit vorne sind die Produktivitätswerkzeuge.

Bei Projektmanagement-Tools oder Aufgabenverwaltungen beispielsweise sind recht hochpreisige Premium-Versionen Gang und Gäbe, und ein Unternehmen wie Basecamp (vormals 37signals) beweist seit 12 Jahren, wie man mit einem eigenen Ansatz gleichzeitig zufrieden und außerordentlich erfolgreich sein kann.

Ein wenig Demut und Realismus und die damit einhergehende Konzentration auf das Produkt und die Kunden würde dem ein oder anderen Mega-Unternehmen gut stehen.

Die ständige Sucht nach immer noch mehr hat nämlich ähnliche Nebenwirkungen wie Kokain: Selbstüberschätzung und Größenwahn. Let's face it, Twitter, Facebook und Google: So sehr wir eure Dienste schätzen — die Welt dreht sich auch ohne euch weiter und das Internet geht nicht kaputt, wenn ihr nicht mehr existiert. Also stoppt eure Gier und nehmt mein Geld!

In der letzten Folge „Digital ist besser“: Zum Glück nehmen uns Computer die Arbeitsplätze weg! 

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