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Digital ist besser / Solidarisiert euch digital mit Griechenland!

von Johnny Haeusler
In der Griechenland-Krise reden wir online vor allem über Zahlen und Geld. Stattdessen sollten wir unsere Netzmöglichkeiten nutzen, um vom Schicksal der Menschen vor Ort zu berichten. Alles andere zeugt von einem Mangel an Mitgefühl.

Die konstant enttäuschenden Ankündigungen von angeblich nun aber tatsächlich gefundenen Lösungen in der Griechenland-Krise wirken so, als würde man die Durchsage des Ergebnisses eines Fußball-WM-Endspiels monatelang hinauszögern. Und wir, die wir vor den Monitoren sitzen, fallen auf den medialen Blödsinn rein und diskutieren die Mannschaftsaufstellung und die Strategien der einzelnen Coaches. Alle sind wir mal wieder Expertinnen und Experten, kennen uns in Weltpolitik und Finanzmärkten, in historischen Krediten und Schulderlassen aus, vergleichen und zitieren, verkünden unser Fazit und beziehen Stellung. Und sind damit Teil der Dehumanisierung dessen, was wir Europäische Gemeinschaft nennen.

Sie ist nämlich nicht nur ein politisches und finanzielles Drama, die EU-Krise rund um Griechenland, sondern auch ein gesellschaftliches, ein menschliches. Doch in den sozialen (!) Netzwerken ist davon nicht viel zu spüren. Wir — ich beziehe mich an dieser Stelle bewusst mit ein — könnten unsere Netzmöglichkeiten nutzen, könnten uns mit Berichten und Meinungen griechischer Blogs auseinandersetzen. Wir könnten viel mehr von den aktuellen Lebenssituationen griechischer Freunde und Bekannter berichten oder auch — wenn wir im Netz schon vom Business reden — Kontakt mit griechischen Startups aufnehmen.

Wir fallen auf die große Show herein, dass es hier allein um Geld und Schulden geht.

Wir könnten für Empathie sorgen und uns fragen, was es für uns — nicht nur für die Banken und für die Mächtigen — bedeuten soll, Europa zu sein. Doch wir tun das nur selten. Wir stellen die Systemfrage nicht mehr, und das ist ein Fehler. Wir fallen auf die große Show herein, die uns glauben lässt, dass es hier allein um Geld, Darlehen, Schulden geht. Und dann schicken wir uns gegenseitig die Links zu den Medien, die wir eh alle lesen.

Im vergangenen Jahr ist die Säuglingssterblichkeit in Griechenland um 43 Prozent gestiegen. Das Gesundheitssystem liegt am Boden, die Arbeitslosenquote stieg auf Rekordwerte. NGOs reden in diesem Zusammenhang seit vielen Monaten von nichts geringerem als Menschenrechtsverletzungen. Und wir schauen zu und kommentieren, als ginge es um einen sportlichen Wettkampf. Dabei dürfen wir in Sachen Griechenland nicht allein von Zinsrechnungen und Bankenproblemen reden — sondern vielmehr von der stattfindenden humanitären Katastrophe, die dringend beendet werden muss.

Schuldzuweisungen sind dabei leicht, aber überhaupt nicht zielführend. Wer die Debatte so führt, wie es gerade getan wird, der hat auch bald kein Problem mehr damit, wenn es heißt, Empfänger von Hartz IV seien schließlich selbst schuld sind an ihrer Misere und sollten mal zusehen, wie sie klarkommen. Ist das wirklich der Weg, den wir gehen wollen?

Wir brauchen Solidarität und Empathie jenseits des Taschenrechners.

Was Europa meiner Meinung nach auszeichnen sollte, sind Gemeinschaftssinn, Solidarität und Empathie. Dass politische und finanzielle Herausforderungen dennoch gemeistert werden müssen, ist klar, dafür haben wir politische Vertreter gewählt — die derzeit jedoch bravourös an ihren Aufgaben scheitern.

Solidarisieren wir uns jedoch mehr mit diesen Vertretern (egal, auf welcher Seite), statt mit denen, die unter jeder ihrer Entscheidungen zu leiden haben, dann kann ich nur hoffen, dass niemand von uns jemals in eine Situation gerät, in der er auf Verständnis und Handeln jenseits vom Taschenrechner angewiesen ist. Denn dann wird sich der Rest der Menschen jede Form von Empathie und Solidarität längst abgewöhnt haben.

In der letzten Folge „Digital ist besser“ forderte Johnny Haeusler zivilen Ungehorsam gegen die Vorratsdatenspeicherung. 

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