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Johnny Haeusler fürchtet Rassisten in seiner Friendslist

von Johnny Haeusler
Musik hat mich politisiert. Die Wucht, mit der Ende der siebziger Jahre Punkrock auf mich als Teenager eindrosch, war keineswegs rein musikalischer Natur, es ging auch um die Texte, die Botschaften. Anfangs waren es nur Ahnungen, wenn ich bei „Holidays in the Sun” von den Sex Pistols hörte, dass in dem Song die „Berlin Wall” vorkam. Doch später, als mein Englisch ebenfalls durch die Musik besser wurde, prägte mich der Opener des gleichen Songs erneut: „A cheap holiday in other people’s misery”.

Dieser und viele andere Vorwürfe gegen das Establishment, die Politik, das Regime, die Polizei, den Staat, Unternehmen, die Rassisten und Faschisten dieser Welt mögen oft Posen von Kunsthochschulstudenten oder Bildungsbürgerkindern gewesen sein, und doch haben The Clash, Stiff Little Fingers, Buzzcocks, The Jam und viele andere meine Sicht auf die Welt mehr geprägt als jede Lehrerin und jeder Lehrer.

So ging es mir auch mit den Specials, oberflächlich betrachtet eine Ska-Kapelle, in Wirklichkeit eine der größten Pop-Bands der Welt. „If you have a racist friend, now is the time for your friendship to end”, sang die Band mit weißen und schwarzen Musikern 1984 im von der rechtsextremen National Front und Margaret Thatcher geprägten England. Und ich nahm sie beim Wort. Mit ehemaligen Freunden, die plötzlich Skinheads wurden und rechte Parolen nachplapperten, hatte ich im Nu nichts mehr zu tun, und wer im besoffenen Kopp frauenfeindliches oder sexistisches Zeug von sich gibt, der kann bis heute nicht mit meiner Zuneigung rechnen.

Sage ich jetzt mal so. Dabei kann ich mir dieser Aussagen in digitalen Zeiten wirklich nicht mehr sicher sein.

Meine virtuellen Freunde, meine Online-Bekanntschaften, Facebook-Kontakte und Twitter-Follower kenne ich gar nicht gut genug, um nach dem Motto der Specials handeln zu können. Alle paar Tage sage ich beinahe jede eingehende Facebook-Freundschaftsanfrage zu, oftmals ohne eine Ahnung zu haben, wer die Anfragenden sind. Vielleicht kennen sie Menschen, die ich kenne, vielleicht haben diese die Freundschaftsanfrage aber ebenso gedankenlos zugesagt wie ich und wir sind allesamt unbeabsichtigt in einer Rassisten-Runde gelandet!

Sicher verwechselt niemand eine Facebook-Freundschaft mit einer gewachsenen Beziehung, doch der Gedanke, dass jemand auf meine Friends- oder Follower-Listen schauen und dort einen Neonazi entdecken könnte, ist mir durchaus schon öfter in den Sinn gekommen. Was würden in einem solchen Fall die virtuellen Nachbarn von mir denken? Oder — viel schlimmer — Google? Plötzlich bekomme ich dann Thor-Steintal-Werbung in die Timeline gespült!

Es gibt nur zwei Möglichkeiten, dieses Dilemma zu lösen. Die erste, alle Online-Bekanntschaften einer eingehenden Kommentar- und Bilder-Post-Untersuchung zu unterziehen, wäre viel zu aufwändig. Also belasse ich es bei der zweiten. Und lebe mit der Möglichkeit, dass mir Fehler bei der Zusage von Online-Bekanntschaften unterlaufen können. Denn dass mit Rassisten, Nazis und anderen sozialen Irrläufern niemand ernsthaft befreundet sein will, wissen die allermeisten meiner echten Online-Freunde und -Freundinnen. Hoffe ich.

In der vergangenen Kolumne fragte sich Johnny Haeusler, wie wir dem Hass im Internet begegnen können.

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