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Zukunft der Arbeit / Sind Computer die besseren Headhunter?

von Dominik Schönleben
Der Unternehmer trottet mit verzweifeltem Blick zum CeBIT-Stand von Andreas Dittes. „Ich verstehe ja nicht viel von Computern, aber ich habe eine Aufgabe, die selbst ein Computer nicht für mich lösen kann“, sagt der Besucher: die scheinbar aussichtslosen Suche nach einem fähigen Mitarbeiter für seine Firma. Dittes, CEO des Startups Talentwunder, hört eine Weile zu. Dann antwortet er ruhig: Doch. Ein Computer könne dieses Problem sehr wohl lösen. Die Anfrage des Unternehmers, sie sei nur ein weiterer Test für seinen digitalen Headhunter.

Vor Jahren hatte der Firmenbesitzer ein Getriebe aus Russland gekauft. Für dieses Gerät müsse er regelmäßig Sonderanpassungen vornehmen, erzählt er Dittes. Berechnungen, die nur durchgeführt werden können, wenn man das Modell ganz genau kenne. Bisher habe das der Hersteller erledigt — doch als der in Rente ging, sei die teure Maschine plötzlich nutzlos gewesen. Er würde nur für diese Aufgabe jemanden einstellen, aber Experten für den Getriebetyp gebe es nicht. Der letzte war scheinbar zusammen mit dem Hersteller in Rente gegangen.

Dittes gab den Namen der Technologie in die Suchmaske seines digitalen Headhunters ein: Vier Treffer, drei aus Indonesien, einer aus Trinidad und Tobago. Nicht viel, musste der Gründer sich eingestehen. Doch der Unternehmer fing an zu strahlen: Der Mann aus Trinidad und Tobago sei ein perfekter Treffer. Ihn wolle er sofort nach Deutschland holen oder notfalls remote, also aus der Ferne arbeiten lassen.

Nach diesem Erlebnis war klar: Dittes Zukunftsvision vom Data-Driven-Headhunter funktioniert. Ohne Ausschreibungen, Stellenanzeigen oder Werbekampagnen hatte der Computer den scheinbar perfekten Kandidaten für die Stelle gefunden — alles ohne Wissen des zukünftigen Mitarbeiters. Denn der Mann aus Trinidad und Tobago war eigentlich nicht auf der Suche nach einem neuen Job. Ein Angebot bekam er trotzdem.

Durch Ansätze wie den Digital Headhunter von Talentwunder entsteht eine Welt, in der jede öffentliche Präsenz im Netz von einem Computer analysiert werden kann. Der Bewerber wird zu einer Datei, inklusive aller Informationen, die je über ihn im Internet aufgetaucht sind. Wer einen Job sucht oder Karriere machen will, ist dazu gezwungen, mit Klarnamen im Social Web zu agieren — der Computer verfolgt dabei jeden seiner Schritte. Bewerber ohne Social-Media-Accounts werden zum auffälligen Sonderling. Alle werden anderen ausgemessen und jedes Wort und jedes Posting wird gewichtet. Egal ob ein eigenes GitHub-Projekt oder das Engagement auf Wikipedia, der Mechanical Recruiter der Zukunft wertet alles aus.

Noch ist es nicht soweit, dass ein Computer Fotos und Posting auf Facebook analysiert und aus ihnen Persönlichkeitsprofile fürs Recruiting erstellt. Doch es dauert nicht mehr lange, wenn man etwa die Zusammenarbeit von Google und der Stanford University im Bereich der Foto-Analyse betrachtet. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, dass Facebook seine ausgewerteten Daten irgendwann an Recruiting-Firmen wie Talentwunder weitergibt.

Dittes Algorithmus durchsucht bisher die Business-Netzwerke LinkedIn und Xing, aber auch Communities wie die Developer-Plattform GitHub oder Stack Overflow, eine Seite, auf der Programmierer sich gegenseitig Tipps geben. Viele Berufsgruppen haben heute ihr eigenes berufliches Netzwerk. Weitere 600 dieser Spezialisten-Portale will Dittes noch mit aufnehmen. Als nächstes soll der Algorithmus sogar öffentliche Foren nach potentiellen Mitarbeitern durchsuchen.

Wir sehen eine große Relation zwischen Leuten, die ihr Profilfoto updaten und offen sind für einen neuen Job.

Andreas Dittes

Von seinem System profitieren vor allem die High-Potentials, Spezialisten mit ganz besonderen Fähigkeiten, die am Arbeitsmarkt gefragt sind. Für den Kampf um diese Mitarbeiter brauchte man bisher teure Headhunter, da sie alle in festen Jobs sind. Zusätzlich berechnet Dittes Algorithmus, wie wahrscheinlich es ist, dass diese Personen einen neuen Job überhaupt annehmen. „Wir sehen eine große Relation zwischen Leuten, die ihr Profilfoto updaten und offen sind für einen neuen Job“, erläutert er. Wer innerlich bereits gekündigt habe, der offenbare das durch sein Verhalten in sozialen Medien.

Viel wichtiger, als die Frage, ob ein Mitarbeiter wechseln würde, ist hingegen die, ob er auch wirklich die Fähigkeiten besitzt, die sein Social-Media-Profil verspricht. Der Expertise-Score von Talentwunder ist da nur ein Feigenblatt. Er zeigt vor allem, wie prestigeträchtig der Name der Universität ist, die eine Person besucht hat. Ob ein Mitarbeiter also wirklich für den Job geeignet ist, muss der Personaler dann immer noch selbst herausfinden.

Genau deshalb kritisiert Marlon Litz-Rosenzweig vom Recruiting-Startup Talerio das wahllose indexieren von Kandidaten im Netz: „Auf deinen Profilen in Business-Netzwerken kannst du schreiben was du willst.“ Selbstangaben würden die Auswahl von Bewerbern verzerren: „Wenn du einen guten Lebenslauf hast, sagt das mehr über das Einkommen deiner Eltern aus, als über dich selbst“, sagt Litz-Rosenzweig.

Deshalb fokussiert sich Talerio auf die anonymisierte Bewertung von Jobsuchenden. Die Seite gleicht mehr einer traditionellen Jobbörse, bei der sich Kandidaten anmelden müssen. Der Unterschied: Wer im Profil angibt, eine Fähigkeit oder einen Abschluss zu besitzen, muss dies auch in einem Online-Test unter Beweis stellen.

Neben den Wissensfragen wird das Verhalten der Jobsuchenden getrackt — so wie es in klassischen Assessment Centern üblich ist. Am Ende erstellt die Software ein Bewertungsprofil des Kandidaten. Diese Profile — ohne Fotos und Namen — können dann von den Firmen nach der geeigneten Personen durchsucht werden.

Computer können helfen, aber am Ende gibt es eine Ebene, die nur Menschen erfassen können.

Marlon Litz-Rosenzweig

Auch Andreas Dittes von Talentwunder weiß, dass Persönlichkeitsanalysen in Zukunft eine tragende Rolle spielen werden. Einen ersten Test mit dem semantischen Computer Watson von IBM hat er schon durchgeführt. Basierend auf der Wortwahl in Postings von Social-Media-Profilen ermittelte Watson dabei, wie zuverlässig und teamfähig Kandidaten sind. Das ist noch im Prototyp-Stadium, aber Dittes sieht Potential: „Für uns war das ein Zeichen. Mit diesen Daten kann man viel machen und die meisten Menschen denken kaum darüber nach.“

Marlon Litz-Rosenzweig von Talerio hält es hingegen für fragwürdig, ob Inhalte von Social-Media-Postings die richtige Grundlage für die Bewertung von Kandidaten sind: „Ich glaube Computer können Personalern helfen, aber am Ende gibt es eine Ebene, die Computer nicht erfassen können: Passt der Kerl einfach zu uns.“ Der Self-Recruiting-Turk, der vollautomatische Headhunter und Personaler in einem, bleibt für ihn Vision.

WIRED-Kolumnist Jürgen Geuter befürchtet jedoch, dass spätestens während des Bewerbungsgesprächs Computer anfangen werden die Kandidaten psychologisch zu analysieren und zu bewerten. Dann könnte ein Gespräch trotz guter Chemie vielleicht schon nach wenigen Minuten mit den Worten enden: „Der Computer sagt: Nein.“ Die von Geuter befürchtete Analyse beginnt aber womöglich schon viel früher — beim nächsten Social-Media-Posting. 

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