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Willkommen in Neuland: Teil 1 der großen WIRED-Deutschlandreise

von Anja Reiter
Die Zukunft ist digital, das haben die Deutschen nun auch endlich kapiert. Wo steht dieses Land also, wo will es hin? Das wollten wir von WIRED herausfinden und sind fünf Monate lang durch Deutschland gereist. Herausgekommen ist ein Mosaik aus Digitalisierungsgeschichten in fünf Etappen, Teil 1 beginnt in Heiligendamm.

Diese Reportage erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des WIRED Magazins im Dezember 2016. Wenn ihr die Ersten sein wollt, die einen WIRED-Artikel lesen, bevor er online geht: Hier könnt ihr das WIRED Magazin testen.

Teil 1 der WIRED-Deutschlandtour // Heiligendamm //Anfang Juli 2016

Sind wir Menschen nicht auch einfach Computer? Wer hat dich programmiert? Wann war dein letztes Upgrade? Und braucht Deutschland nicht dringend ein Update? Die Fragen werden an diesem Julimorgen rasch existenziell auf der Seebrücke im Ostseebad Heiligendamm. Hinter uns rauscht das Meer, unter uns rollen Wellen, der Blick geht zum Ufer. Vor uns liegt: Deutschland.

Am Strand erhebt sich der weiße Prachtbau des Grand Hotels, das im Jahr 2007 berühmt wurde, weil Bundeskanzlerin Angela Merkel dorthin zum G8-Gipfel geladen hatte. Auf der Tagesordnung standen damals der Klimaschutz, die Transparenz der Finanzmärkte, die „soziale Dimension der Globalisierung“ und Innovationen in „wissensbasierten Gesellschaften“. Neun Jahre später waren die Themen beim G7-Gipfel im Mai 2016 in Japan immer noch die gleichen. Bis auf eines: Von „wissensbasierten“, also postindustriellen Gesellschaften, in denen kaum noch Dinge produziert werden, sondern vor allem Dienstleistungen, redet kaum noch jemand.

Deutsche Politiker, aber auch Manager sprechen heute gern davon, dass „die erste Hälfte der Digitalisierung“ nun vorbei sei. Und die habe unter anderem Deutschland verloren, vor allem gegen die Firmen des Silicon Valley, die im Internet die Inhalte und Formen fast alleine bestimmten. Inklusive der angeschlossenen Geräte, was lange nur Computer und dann auch Smartphones waren.

Die neue Welt, wie sie im Sommer 2016 vor unseren Augen entsteht, ist eine der digitalen Integration von Mensch und Maschine

Heute reden hierzulande alle von der Industrie 4.0, die also die zweite Hälfte der Digitalisierung bestimmen soll. In der möge Deutschland jetzt eine Gewinnerrolle einnehmen dabei, Dinge und Dienstleistungen herzustellen, die sich einfügen in die voll vernetzten Fabriken der Industrie 4.0, letztlich der Vernetzung von allem und jedem. Die neue Welt, wie sie im Sommer 2016 vor unseren Augen entsteht, ist eine der digitalen Integration von Mensch und Maschine.

Im Juli 2016 treffen sich in Heiligendamm rund 150 Manager, Gründer und Technologiebegeisterte. M – The MLove Forum lautet der Titel der Konferenz, drei Tage lang geht es um Technik und Wissenschaft, um Roboter und Algorithmen, um die Digitalisierung und ihre Folgen. Die Konferenzteilnehmer predigen sich gegenseitig: die Zukunft. Sie philosophieren darüber, ob wir Menschen mit künstlicher Intelligenz mithalten können. Sie preisen den Fortschritt und fahren mit Elektrorollern übers Fünf-Sterne-Gelände. Mitarbeiter von IBM und Microsoft sind dabei, von Lufthansa, Airbus, SAP, Telekom, von zahlreichen Startups und Deutschlands Auto-Elite: VW, Daimler, BMW.

Wie passt zum Beispiel das Auto, von dessen Herstellung in Deutschland doch so viel abhängt, in die neue Zeit? Von der zwar niemand sagen kann, wie sie genau aussehen wird. Nur, dass sie kommt. Und dass sie, wenn sie nicht gleich alles verändern wird, jedenfalls alles infrage stellen wird, was wir bisher für selbstverständlich hielten.

Der Computer, nicht der Motor, sei künftig das Herz des Autos, sagt Johann Jungwirth, Chief Digital Officer bei VW, in seinem Vortrag. Unter welchen Umständen vertrauen Menschen der Maschine, fragt wiederum Daimlers Zukunftsforscher Alexander Mankowsky in seinem. Autos müssten künftig personalisierte, smarte Devices sein, gibt Dieter May vor, Digitalchef von BMW. Das klingt, als sei die deutsche Autoindustrie angekommen im Zeitalter der Digitalisierung. Aber reicht das? Ist Deutschland schnell genug?

Alle, die sich hier am Rande Deutschlands mit Blick aufs Meer treffen, glauben, dass am Horizont ein Digitalisierungs-Tsunami entsteht

Das ist die bange Frage, die alle umzutreiben scheint. Unternehmen verlören immer schneller ihre eigentliche Kompetenz gegenüber Wettbewerbern, sagt Yuri van Geest. Denn: „Neue Organisationen sind zehnmal besser, schneller und günstiger als deine!“ Es ist der Untertitel von van Geests Buch Exponential Organizations. Mit den Botschaften daraus tourt der Vertreter der kalifornischen Singularity University durch die Welt. Alles werde günstiger, Innovationen kämen immer schneller: Drohnen seien innerhalb von sechs Jahren 142-mal billiger geworden; eine Kilowattstunde Solarstrom sei heute 200-mal günstiger als vor 20 Jahren; die Kosten, um eine menschliche DNA zu entschlüsseln, seien von 10 Millionen Dollar im Jahr 2007 auf 1000 Dollar im Jahr 2014 gesunken.

Van Geest ist ein Missionar, der vor Gläubigen predigt: „The best vision of the future is peripheral vision!“ Alle, die sich hier am Rande Deutschlands mit Blick aufs Meer treffen, glauben, dass am Horizont ein Digitalisierungs-Tsunami entsteht, der uns überschwemmen wird, mit allen positiven und negativen Auswirkungen.

Ist Deutschland darauf vorbereitet? Ein Land, in dem der Präsident des Lehrerverbands sagt: „Die Euphorie ums Digitale kann ich nicht nachvollziehen.“ Ein Land, in dem der Breitbandausbau stockt, während sein industrielles Herz durch die Digitalisierung herausgefordert wird. Wo will Deutschland hin, wo steht es, woher kommt es? Das wollen wir herausfinden. Also haben wir es bereist in den vergangenen Monaten. Ein fünfteiliges Mosaik aus Digitalisierungsgeschichten ist der Bericht dieser Reise, die in Heiligendamm beginnt.

Vor uns liegt: die Zukunft (oder das, was wir derzeit dafür halten). Vor uns liegt: Deutschland.

Die nächste Etappe der WIRED-Deutschlandtour führt nach Bonn, Reutlingen, Vallendar und Berlin. Alle Teile lest ihr in der neuen Ausgabe des WIRED-Magazins.

Teil 1

Teil 2

Teil 3

Teil 4

Teil 5

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