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Wie Netflix YouTube schlagen will – ohne Virtual Reality

von GQ
So leer wie in den meisten Videotheken würde es heute wohl auch auf Reed Hastings Konto zugehen, hätte er sein Unternehmen nicht vor sechs Jahren vom DVD-Verleih zum Streaming-Dienst umgewandelt. Heute ist Netflix der Inbegriff von „Binge-Watching“ und produziert eine umjubelte Serie nach der anderen. Mit WIRED sprach Hastings darüber, welche Pläne er für die Zukunft schmiedet und welche Rolle Facebook und Virtual Reality dabei spielen.

Als ich mit einer halben Stunde Verspätung in seine Londoner Hotelsuite platze, klatscht Reed Hastings in die Hände und sagt: „Auf geht's!“ Er möchte mit mir in ein 15 Minuten Fußweg entferntes Café, in dem es fantastisches Bananenbrot geben soll.

Doch bevor wir uns auf den Weg machen, stellt Hastings schon die erste Frage: „Was schaust du?“ Ich sage Making A Murderer und Orange Is The New Black und er empfiehlt mir direkt eine Handvoll weiterer Serien, darunter auch Stranger Things. Nicht überraschend, wurde die von Netflix produzierte Sci-Fi-Horror-Serie doch schon kurz nach Veröffentlichung mit positiven Rezensionen überschüttet. Aber Hastings will auch wissen, was mich an Netflix stört: Was ich empfinde ich als frustrierend? Was sollte an der Website geändert werden?

Dem Netflix-Gründer ist daran gelegen, seine Plattform benutzerfreundlicher zu gestalten. Aus gutem Grund: Hulu, der US-amerikanische Streamingservice mit zwölf Millionen Abonnenten hat sich gerade ein Investment von Time Warner gesichert und plant fürs nächste Jahr TV-Sendungen, die live gestreamt werden können. Derweil holt Amazon mit eigenen Erfolgsserien wie The Man in the High Castle und Transparent Versäumtes nach. Netflix hat Gesellschaft bekommen.

Wir befinden uns gerade erst am Anfang, im Hinblick darauf, wo Internetvideo stehen sollte

Reed Hastings, CEO von Netflix

Doch Hastings machen die anderen Streaming-Dienste keine Sorgen, er ist Facebook und YouTube auf den Fersen: „Wir haben 83 Millionen Abonnenten und es gibt eine Milliarde Menschen auf Facebook und eine Milliarde, die YouTube nutzen – wir sind demnach noch sehr klein“, sagt er. „Wir befinden uns gerade erst am Anfang, im Hinblick darauf, wo Internetvideo stehen sollte.“

Egal ob Katzenvideos oder die Berichterstattung zu den Olympischen Spielen – Netflix konkurriert mit einem Internet, das voller Ablenkungen steckt. Die mittlerweile vierte eigenproduzierte Comedy-Sendung des Streaming-Anbieters, Haters Back Off mit YouTube-Star Miranda Sings, ist ein klarer Versuch, Zuschauer weg von YouTube und hin zur eigenen Plattform zu bewegen. Das macht durchaus Sinn. Die Videos von Sings, bürgerlich Colleen Ballinger, werden auf YouTube milliardenfach angeklickt. Ihre 6,8 Millionen Abonnenten sind ein Publikum, das durchaus gewillt erscheint, sich ein Netflix-Abonnement anzuschaffen, um die Sendung ihres Idols zu schauen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie Gefallen an der Plattform finden und letztlich dabei bleiben, ist groß.

Selbstproduzierte Sendungen sind zentral für die stetig steigenden Abonnentenzahlen von Netflix. Mit jeder neuen Veröffentlichung wird eine andere Zielgruppe angesprochen und die sofortige Verfügbarkeit aller Folgen erhöht das Suchtpotenzial. House of Cards, Orange ist the New Black, Master of None, Making a Murderer – Netflix hat ein Händchen für Erfolgsgaranten.

Viele behaupten: Eine Maschine kann das Drehbuch schreiben, aber so sieht die Realität nicht aus

Reed Hastings, CEO von Netflix

Der Streamingdienst sammelt eine Vielzahl von Daten über die eigene Nutzerschaft. Er weiß, wie sie schauen, was sie dazu bewegt, abzuschalten und was zum wiederholten Ansehen verführt. Hastings besteht aber darauf, dass diese Daten nur sehr wenig Einfluss darauf hätten, welche Sendungen letztlich produziert werden. Fernsehen sei eine Kunst, keine Wissenschaft.

„Wir arbeiten sehr hart an solchen Dingen. Es steckt ein wenig Wissenschaft im Merchandising und in der Website, aber der Großteil des kreativen Teils ist kreativ“, so Hastings, „Viele behaupten: Eine Maschine kann das Drehbuch schreiben und alles tun, aber so sieht die Realität nicht aus. In Wahrheit findet eine große Synthese statt.“

Die selbstproduzierten Sendungen locken neue Abonnenten, die allerdings oft schnell frustriert sind von fehlender Vielfalt und länderbedingten Variationen im Netflix-Angebot. Und die Unterschiede sind gravierend: Zum Zeitpunkt dieses Artikels konnte man über Netflix in den USA auf 6341 TV-Sendungen zugreifen, in Großbritannien waren es nur 3819. Vor kurzem hat die Streamingseite damit begonnen VPNs zu blocken und Abonnenten den Zugang zu Filmen und TV-Sendungen, die nur in anderen Ländern verfügbar sind, zu verweigern.

Vorhersehbar, dass Hastings trotzdem sagt, dass es in einer idealen Welt keine geografischen Beschränkungen geben sollte: „Das wollen wir definitiv ändern.“ Dafür braucht es allerdings die finanziellen Möglichkeiten (und den Willen), um Konkurrenten zu überbieten. „In den USA bekommt Netflix jetzt die Rechte für Disney-Filme. In Kanada haben wir diese bereits und in Großbritannien wurden wir diesbezüglich von Sky überboten“, sagt Hastings.

Dass man Sendungen auch offline anschauen kann, ist ein weiteres oft gefordertes Feature, dessen Umsetzung Hastings aber bislang noch nicht bestätigt hat. Amazon Instant Video bietet seinen Nutzern die Option zum Download von Serien und Filmen, Netflix hatte diese Möglichkeit bislang ausgeschlossen, scheint sich aber mittlerweile zumindest mit dem Gedanken anfreunden zu können: „Wir sind definitiv aufmerksam, wenn es darum geht, wann unsere Nutzer auf Netflix zugreifen wollen. Netzwerke werden schneller und Wi-Fi funktioniert immer besser, aber die damit verbundenen Kosten sind nach wie vor hoch. Wir sind in diesem Punkt also sehr offen“, versichert Hastings.

Ich glaube, dass Virtual Reality eher ein Gaming-Format ist als eines für Filme oder Serien

Reed Hastings, CEO von Netflix

Etwas, das der Netflix-Chef allerdings ein für alle Mal ausschließt, ist die Option, Netflix-Sendungen in Virtual Reality verfügbar zu machen. Das Unternehmen steckte zuletzt den kleinen Zeh in VR-Gewässer, als es über seine App für Samsung Gear VR einen 360-Grad-Trailer für Stranger Things zur Verfügung stellten. Dennoch kein Grund, in naher Zukunft auf VR-Shows in voller Länge zu hoffen: „Wir haben ein bisschen Spaß mit Virtual Reality, aber ich glaube, dass das Ganze viel eher ein Gaming-Format ist als eines für Filme oder Serien.“

Hastings ist unbeirrbar, was seine Vision für Netflix betrifft: Ein universeller Streaming-Dienst basierend auf eigens produzierten Fernsehsendungen. Wenn Netflix anfinge, Sportübertragungen, VR-Inhalte oder eine Offline-Option anzubieten, würde es riskieren, verwirrend und spröde zu werden. „Es geht um Produktklarheit. Bei uns steht Streaming im Mittelpunkt – sobald wir andere Optionen anbieten, wird es komplizierter und manchmal ist es das wert, aber auf der anderen Seite: Manchmal holt man sich auch einfach Microsoft Office“, sagt Hastings.

Zunächst konzentriert sich Hastings deswegen auf die Behebung kleinerer Fehler, um für eine bessere Nutzbarkeit von Netflix zu sorgen. „Wir müssen an Inhalt und Geschwindigkeit arbeiten, auf YouTube oder Facebook geht alles viel zackiger“, sagt er. „Außerdem haben wir immernoch keine Lösung für vertikale Videos gefunden.“ Es gibt also noch einiges zu tun, auch wenn „Netflix“ längst von einem Unterhaltungs-Startup zum Verb transzendiert ist. Siehe „Netflix and chill“.

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„Menschen pflegen einen herzlichen Umgang mit Netflix – sie nutzen es als Synonym für Sex, sie nutzen es auf verschiedene Weisen, weil es sehr bequem ist“, sagt Hastings. „Es ist etwas, das ihnen gehört, nicht etwas, das wir kreiert haben.“ Dabei hat der 55-Jährige den Ausdruck „Netflix and chill“ zunächst gar nicht so recht verstanden: „Siehst du meine grauen Haare? Jemand musste es mir erklären.“

Obwohl das Unternehmen erst vor relativ kurzer Zeit zum allgemein bekannten Begriff wurde, gehört Netflix zu den ältesten Startups des Silicon Valley –gegründet im Jahr 1997 als ein Service, der das Ausleihen von DVDs per Post ermöglichte. Hastings führt den Erfolg auch auf eine gute Portion Glück zurück: „Die richtige Zeit, der richtige Ort. Wenn DVDs keinen Erfolg gehabt hätten, hätten auch wir keinen einfahren können.“ Als die Zahlen im DVD-Verleih sanken, wechselte Netflix zu Online-Videos und feierte 2010 in Kanada seinen Launch als reiner Streaming-Dienst. Mit dem Debüt von House of Cards im Jahr 2013 wurde eigener Content zum Herzstück des Unternehmens.

Aber Hastings bleibt wachsam. Er glaubt, dass Filme und Fernsehsendungen – wie einst der Roman – eines Tages aus der Mode kommen: „Auf sehr lange Sicht gesehen, wird es einen Ersatz geben, das ist unabdingbar. Und das ist es, wonach wir Ausschau halten müssen.“

Dieser Artikel erschien zuerst bei WIRED UK.

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