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Wie geht es Deutschlands Games-Branche? Ein Besuch in Hamburg

von Dominik Schönleben
Die deutsche Videospielbranche war lange international erfolgreich, doch seit einiger Zeit ist das vorbei. Trotz guter Ideen haben sowohl Entwickler von Adventure-Games als auch Hersteller von Free-to-Play-Spielen auf dem internationalen Markt zu kämpfen, wie unser Besuch bei Hamburger Studios zeigt.

In den vergangenen fünf Monaten sind WIRED-Reporter durch Deutschland gereist, um herauszufinden, wie digital und innovativ dieses Land wirklich ist. Wir waren in schwäbischen Kleinstädten, im Rheinland, in Berlin und München. Auch Hamburger Spielestudios haben wir besucht. Die Ergebnisse unserer Reise lest ihr in der neuen WIRED-Ausgabe.

Noch vor ein ein paar Jahren wäre das neue Adventure von Kai Fiebig ein garantierter Erfolg gewesen, doch der deutsche Games-Markt befindet sich im Umbruch. „Früher konntest du anspruchsvolle Spiele machen, heute sind sie die Ausnahmen“, sagt er. Der 52-jährige Producer sitzt im Konferenzraum des Hamburger Games-Studios Daedalic und zeigt die erste Version seines neuen Titels State of Mind. Ein Adventure, das im dystopischen Berlin des Jahres 2048 spielt: Überbevölkerung, Krieg und Überwachung bestimmen den Alltag.

Fiebigs mittellanges, schwarz-grau meliertes Haar wird von einer verfusselten, schwarzen Mütze mit dem Aufdruck Command & Conquer zurückgehalten. Dazu trägt er einen Strickpullover. Fiebig wirkt wie ein stoischer Kapitän, der noch immer mit seinem Einmaster übers Wasser schippert, während um ihn herum längst gigantische Frachter die Weltmeere durchpflügen. Mit zwölf hat er sein erstes Spiel programmiert. Heute arbeitet er in Hamburg für Daedalic, eines von Deutschlands innovativsten Spielestudios. Und er blickt ein wenig wehmütig auf jene Zeit zurück, in der das erste Command & Conquer entstand. Als die Entwicklung von Videospiele noch nicht von Daten und Zahlen getrieben wurde, sondern eine Kunstform war.

Deutsche Studios waren im eigenen Land jahrelang äußerst erfolgreich, sie wuchsen und wuchsen. Der internationale Markt versprach noch mehr ­– allem voran in Amerika und Asien. Unterstützt wurde diese Entwicklung von App-Stores und Download-Plattformen, auf denen deutsche Entwickler plötzlich barrierefrei, quasi per Knopfdruck, weltweit veröffentlichen konnten.

Mit dieser Chance kam aber auch ein großes Problem: Jetzt standen noch mehr Firmen weltweit im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Spielerinnen und Spieler. Und weil diese Firmen in den vergangenen Jahren so stark gewachsen sind, sind auch ihre Einsätze größer geworden. Die Kosten für die Produktion und Vermarktung eines Titels stiegen rasant.

Während Daedalic Vollpreis-Titel für 20 bis 30 Euro entwickelt, ist ein Großteil der deutschen Branche heute auf Free-to-Play-Games spezialisiert. Spiele, die eigentlich kostenlos sind und versuchen, Nutzer immer wieder zum Bezahlen von Centbeträgen zu bewegen, damit sie schneller Fortschritte machen können. Sieben der zehn größten deutschen Spielestudios haben sich diesem Prinzip verschrieben – vier davon sitzen in Hamburg.

Sieben der zehn größten deutschen Spielestudios haben sich dem Prinzip Free-to-Play verschrieben – vier davon sitzen in Hamburg

20 Minuten Autofahrt von Daedalic entfernt arbeitet Deutschlands größtes Spielestudio an genau solchen Free-to-Play-Titeln. Wer über den Campus von Goodgame schlendert, sieht die Zeichen des enormen Wachstums, das das Unternehmen seit seiner Gründung durchlaufen hat. Auf der einen Seite stehen die roten Backsteingebäude der ehemaligen Zigarettenfabrik, in der 2009 die vier Gründer ein neues Spiele-Genre perfektionierten, um es in die ganze Welt zu exportieren. Gegenüber davon ragt ein weißer Neubau in den Himmel, heute der Hauptsitz von Goodgame Studios.

Eingebettet zwischen alt und neu liegt ein kleiner Park mit einem Swimmingpool, den sich das Spielestudio mit den Bewohnern der Lofts im obersten Stock des Bürogebäudes teilt. Höchstens fünf Mitarbeiter gleichzeitig dürfen baden. Bis vor Kurzem hatte Goodgame noch mehr als 1100 Mitarbeiter, nach Entlassungen im August 2016 sind es laut GamesWirtschaft nur noch um die 700. Der neue CEO Maximilian Schneider, der vor Kurzem die Leitung von den Gründern übernommen hat, wollte WIRED beim Besuch kein Interview über die Zukunft seines Unternehmens geben.

Das Beispiel Goodgame zeigt, wie sehr die deutsche Spielebranche unter Druck geraten ist. Viele Entwickler mussten sich von einem großen Teil ihrer Mitarbeiter trennen. Wooga und GameDuell aus Berlin, die ebenfalls Free-to-Play-Titel produzieren, erging es ähnlich.

Deutsche Studios waren jahrelang sehr erfolgreich mit Free-to-Play-Spielen, damals noch im Browser oder auf Facebook. Die Fans dieses Genres wechselten nach und nach aufs Smartphone. Die Entwickler folgten ihnen und brachten neue Ableger ihrer Titel auf den Markt. Gleichzeitig wurde der Markt immer internationaler und der Wettbewerb größer ­– bis heute gilt: Wer es nicht auf die begehrten Plätze auf den Startseiten der App-Stores schafft, gerät schnell in Vergessenheit.

Es ist ein The-Winner-takes-it-all-Markt geworden

Maximilian Schenk, Geschäftsführer von BIU

Dagegen soll Werbung helfen, doch durch die weltweite Konkurrenz sind die Kosten dafür aber enorm gestiegen. Während in der Branche vor fünf Jahren noch über Centbeträge pro Installation gesprochen wurde, wird jetzt in ganzen Euros gerechnet, sagt der Geschäftsführer des Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU), Maximilian Schenk: „Es ist ein The-Winner-takes-it-all-Markt geworden.“ Ein guter Vergleich sind die sozialen Medien: Gibt es erst einmal eine Plattform, die sich durchgesetzt hat ­– wie etwa Facebook – dann haben es neue Angebote extrem schwer sich zu etablieren.

Doch Free-to-Play ist weiterhin stark in Deutschland: 94 Prozent des Umsatzes für Spiele-Apps wurde 2015 laut BIU mit diesem Modell umgesetzt ­– Tendenz steigend. Insgesamt 563 Millionen Euro gaben die Deutschen im selben Jahr für Mikrotransaktionen aus, fast das Vierfache, was Spieler für Abo-Games wie World of Warcraft bezahlen. Deshalb wird in diesen Markt weiterhin investiert. Im Oktober 2016 bekam das Hamburger Free-to-Play-Studio InnoGames eine Finanzierung in Höhe von 91 Millionen Euro vom schwedischen Entertainment-Konzern MTG.

Zurück in die verwinkelten Räume von Daedalic. Im ehemaligen Gemeinschafts-Office belegt das Studio mittlerweile das komplette Stockwerk. Die kleinen Büros sind vollgestopft mit Schreibtischen, auf denen sich Figuren aus Videospielen und Magic-Karten stapeln. In einem hängt eine endlos erscheinende Kette, gebastelt aus den gelben Kapseln aus Überraschungseiern. Die Grafiker, Tester und Programmierer arbeiten voller Enthusiasmus, aber auf engstem Raum.

So wie Daedalic optisch einen Kontrast zu den aufgeräumten Großraumbüros von Goodgame Studios bildet, gilt das auch für die Design-Philosophie des Unternehmens: Mitgründer Jan Müller-Michaelis erzählt beim WIRED-Besuch davon, wie sein Unternehmen sich eine eigene Nische geschaffen hat, in einem Genre, das fast zehn Jahre lang totgeredet wurde: Point-and-Klick-Adventures.

Diablo ist näher an Looping Louie, als an den Spielen, die wir machen

Jan Müller-Michaelis, Mitgründer von Daedalic

Obwohl viele moderne Videospiele eine Geschichte erzählten, sei diese meist nur aufgesetzt, sagt Müller-Michaelis. Die meisten Games würden sich über ihre Spielmechanik definieren. Als Beispiel nennt er das Action-Rollenspiel Diablo, bei dem nicht die Story, sondern das Sammeln von Gegenständen und das Kampfsystem am Anfang des Designs gestanden hätten. „Diablo ist näher an Looping Louie, als an den Spielen, die wir machen“, sagt Müller-Michaelis. Das Thema und die Story seien austauschbar wie Aufkleber.

Bei State of Mind stand am Anfang die Idee für die Story, keine Zielgruppe und auch kein Monetarisierungsmodell. Danach wurde das Spiel um die Erzählung herum gebaut. Anders ist das bei Free-to-Play-Titeln: Zeichnet ein Grafiker einen neuen Charakter, wird dieser einer Fokusgruppe vorgelegt. Wird eine neue Spielmechanik eingeführt, wird präzise gemessen, wie sie von Spielern aufgenommen wird. Stets mit einer Frage im Blick: Wie viel Geld gibt ein Spieler aus, bevor er aussteigt? Das Storytelling muss sich hinten anstellen.

Vorbei am Game-of-Thrones-Flipper, nur ein paar Meter den Gang hinunter liegt das Büro des anderen Daedalic-Mitgründers Carsten Fichtelmann. Eine komplette Schrankwand ist bis zur Decke mit alten Star-Trek-VHS-Kassetten gefüllt. Wer genau hinschaut, entdeckt daneben weitere veraltete Medien – die auf Disketten gepressten Titel der Vorbilder von Daedalic: Westwood, Lucas Arts, Sierra. All die legendären Adventure-Pioniere, die in den 80ern die Konventionen des Storytellings in Videospielen definierten und trotzdem nicht überlebten. Ein, zwei mittelmäßig erfolgreiche Spiele und ein Studio steht schnell vor seinem Ende. Das gilt auch heute noch.

Deponia Doomsday ist noch nicht Break-even“, sagt Fichtelmann. In Deutschland sei der vierte Teil von Daedalics erfolgreichster Serie zwar gut gelaufen, aber international sei es schwieriger. Im Ausland spürt das Unternehmen, wie Kunden auf ein Spiel reagieren, das 20 oder 30 Euro kostet, wenn daneben ein kostenloses Game angepriesen wird, das sich nachträglich mit Free-to-Play-Mechanismen finanziert. Die Erwartungen der vielfach auf Free-to-Play gepolten Mobile-Spieler hätten Einfluss auf den gesamten Markt, sagt Fichtelmann.

Als CEO ist er den Gegenpart zu seinem kreativen Mitgründer Müller-Michaelis: „Es ist ja auch so, dass wir ökonomisch total unvernünftig handeln“, sagt Fichtelmann. Mit der Größe des 2007 gegründeten Unternehmens wuchsen auch die Ambitionen. Jede Fortsetzung wurde aufwendiger. Schließlich war der vierte Teil Deponia Doomsday so groß wie seine drei Vorgänger zusammen ­– und seine Story hatte kein Happy-End. In Deutschland unproblematisch, aber schwierig auf dem amerikanischen Markt, erinnert sich Fichtelmann.

„Früher haben wir mit jedem Spiel gesagt: Wir gehen zum letzten Mal All-in und dann war’s das halt“, so der Daedalic-CEO. Doch jetzt müsse man umdenken, weil die Einsätze höher seien. Ähnlich wie die großen Free-to-Play-Giganten musste auch Daedalic erleben, dass der internationale Markt kein endloser Wachstumsmotor ist: Zwölf der 160 Mitarbeiter mussten im November 2016 gehen. Der Erfolg der kommenden Titel wird entscheidend dafür sein, ob die unkonventionelle Strategie des Studios weitergehen kann. Der „Kampfeswille“ sei ungebrochen, sagte Fichtelmann jedenfalls knapp einen Monat nach unserem Besuch, als er die Entlassungen bekanntgab.

Die deutsche Gamesbranche muss einen Mittelweg zwischen Wachstum und Stabilität finden. Daedalic ist dabei im Vorteil: Die eigenen Spiele sind nicht austauschbar, so wie viele Aufbau- oder Match-3-Titel der Free-to-Play-Entwickler. State of Mind ist ein Autorenwerk, ein ambitioniertes Projekt, wie es sonst kaum jemand wagt. Es kann scheitern oder zum Hit werden. Egal was passiert: Daedalic wird trotzdem immer wieder versuchen, Videospiele aus Deutschland zum internationalen Erfolg zu machen.

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