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Der Kauf von Whole Foods bringt Amazon Offline-Vorteile

von Elisabeth Oberndorfer
Amazon will die US-Biomarktkette Whole Foods technologisch aufrüsten und dann von ihr lernen. Um eigene Pläne im Lebensmittelbereich umsetzen zu können, wird das Unternehmen laut Experten zu einem Omnichannel-Händler. Wichtigste Frage für Amazon: Wie handelt man – auch offline – mit verderblicher Ware?

Die US-Biosupermarktkette Whole Foods gehört künftig zu Amazon, und das  macht nicht nur die Lebensmittelbranche nervös. „Durch den Kauf von Whole Foods wandelt sich Amazon vom reinen Online-Player zum Omnichannel-Händler”, sagt Marco Atzberger vom EHI Retail Institute im Gespräch mit WIRED und ergänzt: „Statt über Drohnenbelieferungen ausgehend von schwebenden Zeppelinen über der Stadt oder über vollautomatisierte und personalfreie Selbstbedienungsläden ist dies ein echter Schritt in den Markt, mit dem Amazon die Online-Nische verlässt.“ Der Branchenexperte erwartet in den nächsten Jahren weitere Übernahmen im stationären Handel, „sowohl von Online-Händlern als auch in umgekehrte Richtung.“ 

Whole Foods hat in 456 Filialen einer urbanen, gutverdienenden Kundschaft Bio-Lebensmittel in den USA zugänglich gemacht, doch der Supermarktbetreiber ist bisher kaum als innovativ aufgefallen. Das Unternehmen ging mit dem Payment-Dienst Square und dem Liefer-Service Instacart erste Kooperationen mit Startups ein. Im Vergleich zu den Mitbewerbern sind die Versuche, den Lebensmittelhandel zu technologisieren, jedoch überschaubar. In diese Lücke stößt Amazon.

Zum Vergleich: Die Supermarktriesen Walmart und Target haben in den vergangenen Jahren nicht nur Innovationsabteilungen aufgebaut, sondern auch Tech-Inkubatoren. Eine großflächige E-Commerce-Strategie hat Whole Foods auch im Jahr 2017 noch nicht. Für das Bestellen von Lebensmitteln im Internet verlässt sich der Biohändler auf Instacart. Die beiden befinden sich im zweiten Jahr einer fünf Jahre langen Kooperation. Wie diese mit Amazon als Eigentümer von Whole Foods und Konkurrent von Instacart nun weitergeht, ist unklar.

„Amazon Fresh“ ist das Bestreben des Online-Händlers, auch verderbliche Waren auszuliefern. Nach einer Testphase in den USA, ist das Angebot mittlerweile auch in Großbritannien und Deutschland verfügbar. Allerdings ist „Fresh“ nach Insiderberichten ein teures Experiment. Das Unternehmen hat kaum Erfahrung im Umgang mit Produkten, die nur begrenzt haltbar sind. Die hohe Zahl verdorbener Lebensmittel verursacht bei Amazon doppelt so hohe Kosten wie bei Supermarktbetreibern, die erfahren im Absatz von vergänglichen Produkten sind. Die Abholmärkte „Amazon Go“ werten Experten deshalb als Versuch, den Abfall durch Selbstabholung zu minimieren.

Unwahrscheinlich ist, dass Amazon in absehbarer Zukunft die Whole-Foods-Filialen zu Amazon-Stores umbaut. Der Online-Konzern eröffnet zwar physische Standorte als Experimente, doch als Käufer hat Amazon seinen Töchtern die eigene Marke bisher nicht aufgedrängt. Ein Beispiel dafür ist Zappos: Der Online-Schuhhandel ging 2009 für 1,2 Milliarden US-Dollar an den Konzern. Es gibt zwar Verbindungen zu Amazon, doch Zappos betreibt seinen Shop noch immer unter dem alten Namen.

Ein Indikator für das, was Amazon mit Whole Foods plant, ist allerdings eine Übernahme von Jeff Bezos persönlich: 2013 zahlte er 250 Millionen US-Dollar für die Washington Post. Das Medienhaus litt damals unter den Herausforderungen der Digitalisierung. Anstatt die Belegschaft weiter zu kürzen, investierte der neue Eigentümer in Personal und neue Technologien. Seither steigen eigenen Angaben zufolge der Umsatz und die Abonnentenzahlen, den Traffic auf der digitalen Plattform konnte die Washington Post in den vergangenen zwei Jahren um 56 Prozent erhöhen

Bezos’ Übernahmestrategie

Hört man Manager der Washington Post auf Konferenzen sprechen, so betonen diese immer wieder eines: „Wir sind jetzt ein Technologieunternehmen“. Bezos hat es offenbar geschafft, aus einem traditionellen Medienhaus ohne Digitalkompetenz eine „Tech Company“ zu formen. Ähnlich könnte das Amazon auch mit Whole Foods gelingen. Es heißt zwar, Amazon will von Whole Foods lernen, aber zuerst wird der neue Eigentümer die Supermarktkette technologisch vorantreiben. Erst dann wird Amazon vom Lebensmittelgeschäft lernen und seine Pläne in diesem Bereich umsetzen.

Wie bei Zappos, Twitch und Washington Post sieht der Online-Händler auch die nächste Übernahme als Möglichkeit für Experimente, von denen Amazon selbst profitieren will. Der Konzern wird analysieren, wie sich Whole-Foods-Kunden verhalten und die Beobachtungen in andere Produkte einfließen lassen. Immerhin ist das Unternehmen mit dem Smart-Home-Gerät Echo, den Dash-Buttons und seiner Fire-Hardware schon physisch in den Lebensräumen seiner Kunden präsent und kann diese optimieren, wenn auch das Offline-Kaufverhalten der Nutzer bekannt ist.

Für die Whole-Foods-Mitarbeiter dürfte sich laut Insider-Berichten einiges ändern, durch die Automatisierung sollen zahlreiche Arbeitsplätze gestrichen werden. Amazon dementiert diese Gerüchte bislang, werden die Filialen langfristig tatsächlich nach dem „AmazonGo“-Konzept umgewandelt, so sind die Kassierer in Zukunft wohl überflüssig

Der Vision, bis 2025 einer der Top-5-Lebensmittelhändler zu sein, ist Amazon, sofern die Akquisition durchgeht, jedenfalls einen großen Schritt näher. Dass der Online-Verkauf von vergänglichen Waren durch den Deal vorangetrieben wird, glaubt Daphne Carmeli, CEO des Lieferdienstes Deliv. „Lebensmittelhändler müssen jetzt rasch reagieren. Denn das ist es, was Amazon macht: Sie steigen in ein Feld ein, und schon bekommen sie Marktanteile und werden zum Branchenführer.“ Marktforscher Atzberger beruhigt die deutsche Branche: Der Deal bedeutet laut ihm, „dass die deutschen Lebensmittelhändler, die sich bereits heute sehr ernsthaft mit einem kanalübergreifenden Geschäftsmodell auseinandersetzen, auf dem richtigen Weg sind. 

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