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Ridesharing-Dienst Uber: „Die Kultur ist brutal, gnadenlos, zermürbend“

von Karsten Lemm
Für sein Buch Wild Ride hat der US-Autor Adam Lashinsky vier Jahre lang den Ridesharing-Service Uber und seinen umstrittenen Chef Travis Kalanick begleitet. Im WIRED-Interview spricht Lashinsky über die Einblicke, die er dabei gewonnen hat – und erklärt, warum er den Uber-Chef trotz aller Kontroversen sympathisch findet.

Der jüngste Eklat liegt nur wenige Tage zurück: Am Dienstag dieser Woche berichten Medien, dass Uber seinen Fahrern in New York über Jahre hinweg zu viel Geld abgezogen hat. Millionen von Dollar muss der Ridesharing-Dienst wohl zurückzahlen. Negativ-Schlagzeilen, wieder einmal – und ironischerweise kommen sie genau an dem Tag, an dem Autor Adam Lashinsky seine neue Firmenbiografie Wild Ride veröffentlicht.

Über vier Jahre hinweg recherchierte der Kalifornier – im Hauptberuf Reporter beim Wirtschaftsmagazin Fortune – die Geschichte des Ridesharing-Diensts und seines umstrittenen Mitgründers Travis Kalanick. Lashinsky suchte ein Nachfolgeprojekt für seinen Bestseller Inside Apple und war fasziniert davon, wie es dem Startup aus San Francisco gelungen ist, in gerade mal sechs Jahren zum populärsten Privattaxi-Service der Welt aufzusteigen.

Aktuell in 76 Ländern vertreten, nahm Uber im vergangenen Jahr 6,5 Milliarden Dollar ein – macht aber weiterhin hohe Verluste und verstrickt sich in immer neue Skandale. Mal beklagen ehemalige Mitarbeiterinnen eine frauenfeindliche Firmenkultur, die sexuelle Belästigung begünstige. Mal kommt heraus, dass Uber heimlich Software einsetzt, um sich Kontrolleure und unliebsame Fahrgäste vom Hals zu halten. Dann wieder taucht ein Video auf, in dem Kalanick einen Fahrer beschimpft, und Uber muss sich gegen den Vorwurf wehren, der Google-Schwester Waymo geistiges Eigentum gestohlen zu haben.

Das Ergebnis: Uber gelobt Besserung, Kalanick zieht öffentlich zu Kreuze. Bis das nächste Drama folgt. Und irgendwie schafft es die Firma trotzdem, weiter zu wachsen und neue Fans zu finden. Im Gespräch mit WIRED erklärt Autor Lashinsky, warum das so ist – und wieviel Schuld der Uber-Chef selbst an der ständigen Aufregung trägt.

WIRED: Uber produziert derzeit Skandale in Serie. Überrascht Sie das?
Adam Lashinsky: Das Ausmaß an schlechten Nachrichten überrascht mich – aber Kontroversen gab es ja seit langem schon. Uber ist eine Firma, die beinahe von Anfang an mit negativen Schlagzeilen zu kämpfen hatte.

WIRED: Woran liegt das?
Lashinsky: Ubers Erfolg baut darauf auf, Regeln zu brechen, streitlustig zu sein, Konkurrenten den Kampf anzusagen. Es liegt in der Natur des Unternehmens, auf Konfrontationskurs zu gehen. Deshalb ist es kein Wunder, dass Uber immer wieder im Mittelpunkt von Auseinandersetzungen steht.

WIRED: Wie viel davon geht auf den Firmenchef Travis Kalanick zurück?
Lashinsky: Der Aufstieg von Uber ist sehr eng mit Travis Kalanick verbunden. Seine Haltung bestimmt die Haltung der Firma. Seine Geschäftsmoral entspricht der Geschäftsmoral von Uber. Seine Vorstellungen vom sozialen Miteinander diktieren Ubers Firmenkultur. Eine ähnlich starke Übereinstimmung sieht man sonst höchstens noch bei Amazon und Jeff Bezos.

WIRED: Das hieße, die Verantwortung für die vielen Skandale liegt bei Kalanick selbst.
Lashinsky: Das stimmt. Die Schuld dafür, dass Uber aus den schlechten Nachrichten derzeit gar nicht mehr herauskommt, liegt bei Travis Kalanick. Aber genauso muss man es ihm zugute schreiben, dass er Uber zum wertvollsten Silicon-Valley-Startup aller Zeiten gemacht hat: Eine Bewertung von fast 70 Milliarden Dollar für eine Jungfirma, die noch nicht an die Börse gegangen ist – das hat es vorher noch nie gegeben. Das allein führt auch schon dazu, dass Uber viele Blicke auf sich zieht und kritischer gemustert wird als andere.

WIRED: Viele Probleme scheinen aber hausgemacht. Zum Beispiel die Klage ehemaliger Mitarbeiterinnen, dass bei Uber eine frauenfeindliche Kultur herrsche – bis hin zu Vorwürfen von sexueller Belästigung.
Lashinsky: Die Uber-Kultur ist brutal, gnadenlos, zermürbend. Das hat mich nicht überrascht, denn Ähnliches habe ich auch bei Amazon oder Apple erlebt. Hinweise auf sexuelle Übergriffe sind mir bei meiner Recherche nicht begegnet, wobei ich mich im wesentlichen mit Frauen aus dem oberen Management unterhalten habe. Gegen Kalanick selbst gibt es keine solchen Vorwürfe. Meine Vermutung ist, dass er dafür kritisiert werden könnte, eine Kultur geschaffen zu haben, die zu wenig auf korrektes Verhalten wert legt – nicht dafür, sexuelle Übergriffe bewusst zu tolerieren. Aber das sind Spekulationen. Wir müssen abwarten, was die interne Untersuchung zeigt.

WIRED: Nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe im Februar gelobte Kalanick Besserung. Wenige Wochen später machte ein YouTube-Video Schlagzeilen, in dem man sehen konnte, wie der Uber-Chef sich mit einem seiner eigenen Fahrer streitet und ihn am Ende wüst beschimpft. Wieder folgte ein öffentliches Schuldbekenntnis mit dem Versprechen, sich zu ändern. Sind Sie optimistisch, dass Kalanick – immerhin 40 Jahre alt – sich tatsächlich ändern wird?
Lashinsky: Ich bemühe mich immer, Optimist zu sein, weil ich glaube, dass Menschen grundsätzlich die Fähigkeit besitzen, persönlich zu wachsen. Aber zuversichtlich bin ich nicht. Ich kann Ihnen nur versichern, dass Travis Kalanick nicht dumm ist und dass er unbedingt gewinnen will. Falls er zu dem Schluss kommt, dass er sein Verhalten ändern muss, um zu gewinnen, dann kann es gut sein, dass er das tut. Aber ich wage keine Einschätzung, wie wahrscheinlich das ist.

WIRED: Wie ist Uber – trotz aller Kontroversen – so rasend schnell gewachsen und beinahe über Nacht zum Synonym für Ridesharing geworden?
Lashinsky: Angefangen hat Uber eigentlich als Limo-Service angefangen, nicht mit Ridesharing. Die App war sehr leicht zu bedienen und wurde schnell sehr populär in großen US-Städten wie San Francisco und New York. Die Idee für das Ridesharing mit Privatautos kam ursprünglich von Lyft, und es war ein besseres Konzept als das von Uber.

WIRED: Warum sprechen wir dann nicht alle von Lyft, sondern von Uber?
Lashinsky: Travis Kalanick erkannte schnell, wie gut die Ridesharing-Idee war und nutzte das Netzwerk, das Uber schon für seinen Limo-Service aufgebaut hatte, um auch Ridesharing anzubieten. Das gab Uber einen Vorsprung, während Lyft gerade erst anfing. Dazu kommt: Ob man Kalanick nun mag oder nicht – er verstand sich darauf, Investoren-Geld einzusammeln, mit dem Uber im Eiltempo weltweit expandieren konnte.

WIRED: Mittlerweile hat die Firma fast neun Milliarden Dollar an Kapital erhalten. Woher kommt Kalanicks Talent, Risiko-Investoren für sich zu gewinnen?
Lashinsky: Als Uber an den Start ging, hatte Kalanick schon zwei Firmen mitgegründet. Die erste, ein Filesharing-Dienst namens Scour, floppte; die zweite, Red Swoosh, war mäßig erfolgreich. Über die Jahre traf Kalanick immer wieder Investoren, um Geld für Firmen aufzutreiben, die nicht besonders vielversprechend klangen – und als er ihnen dann eine Idee präsentieren konnte, die wirklich gut war, floß das Kapital sehr schnell.

Was Uber machte, war ziemlich radikal. Es hatte etwas vom Wilden Westen

Adam Lashinsky

WIRED: Ob seine Firma als privater Taxidienst gegen irgendwelche Vorschriften verstieß, schien Kalanick wenig zu kümmern.
Lashinsky: Am Anfang nicht. Was Uber machte, war ziemlich radikal: Die Firma fragte nicht lange um Erlaubnis, sondern fing einfach an, in verschiedenen Städten zu operieren und kümmerte sich später erst um mögliche Beschwerden der Behörden. Es hatte etwas vom Wilden Westen, wo zwielichtige Charaktere ihre Geschäfte aufbauen und sich neue Grenzen erschließen. Allerdings fing Uber bald an, mit Behörden zu kooperieren und ganz traditionell Lobbyarbeit zu betreiben, um Gesetzgeber von sich zu überzeugen.

WIRED: Dennoch gibt es in vielen Ländern weiterhin Klagen und Diskussionen, ob Uber legal ist und unter welchen Bedingungen die Firma arbeiten kann.
Lashinsky: Ich vermute, es wird keine allgemeine Lösung geben, sondern nur regional angepasste. Deutschland etwa scheint Uber schlichtweg nicht zu wollen. Diese Haltung findet man auch anderswo, obwohl sich manches gerade ändert. Es gibt auch Fälle wie in Austin, Texas. Da stimmten Bürger in einem Volksentscheid gegen Uber und Lyft. Stattdessen gibt es nun lokale Ridesharing-Dienste, die so arbeiten, wie es sich die Menschen dort wünschen.

WIRED: Ein immer wiederkehrender Streitpunkt ist die Frage, ob Plattformen wie Uber reine Vermittler sind – oder doch eher Arbeitgeber, die auch soziale Verantwortung tragen sollten.
Lashinsky: Für Uber ist es ganz entscheidend, kein traditioneller Arbeitgeber zu sein. Das Geschäftsmodell basiert darauf, lediglich eine Plattform zu sein, die Fahrgelegenheiten vermittelt. Ganz ähnlich, wie eBay nie vor hatte, Verkäufer anzustellen, sondern lediglich, ihnen eine Plattform zur Verfügung zu stellen. Allerdings hat eBay es sehr gut verstanden, seine Händler zu unterstützen, während Uber nicht besonders gut darin ist, seine Fahrer zu unterstützen – jedenfalls nach den vielen Beschwerden zu schließen, die man immer wieder hört.

Die Arbeit ist mühsam und langweilig. Aber die meisten Fahrer wissen die Flexibilität zu schätzen

Adam Lashinsky

WIRED: Sie haben sich für Ihr Buch selbst eine Weile als Uber-Fahrer vesucht. Hat es Ihnen gefallen?
Lashinsky: Anfangs dachte ich, es könnte aufregend und interessant sein. Aber ich habe schnell gemerkt: Die Arbeit ist mühsam und langweilig. Von den meisten Leuten, die hinten sitzen, wird man ignoriert. Und zugegeben, als Passagier mache ich das genauso – ich sehe es nicht als meine Pflicht an, mich mit dem Fahrer zu unterhalten. Aber wenn man derjenige ist, der am Lenkrad sitzt, kann es schon einsam werden. Dennoch: Für Menschen, die einen Zusatzverdienst brauchen, ist Uber sicher hilfreich. Und bei allen Klagen, die Fahrer sonst haben mögen, wissen es die meisten sehr zu schätzen, dass sie zeitlich flexibel arbeiten können. Aber es ist kein leichter Weg, sich ein Auskommen zu sichern.

WIRED: Haben Sie Travis Kalanick von Ihren Erfahrungen berichtet?
Lashinsky: Nein. Aber ich habe sie in meinem Buch beschrieben, damit er es nachlesen kann.

Ich muss gestehen, dass ich gelernt habe, Travis Kalanick zu mögen

Adam Lashinsky

WIRED: Sie beschreiben eine Szene, in der Kalanick laut darüber nachdenkt, ob er – seine Wortwahl – „ein Arschloch“ ist. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich keines bin“, sagt er schließlich. Wie lautet Ihr eigenes Fazit nach vier Jahren Recherche?
Lashinsky: Menschen sind komplizierte Wesen, und wir alle haben verschiedene Seiten. Ich muss gestehen, dass ich gelernt habe, Travis Kalanick zu mögen. So sehr ich versuche, als Autor Abstand zu wahren und ihn analytisch zu betrachten – als Person ist er hoch interessant, und es macht Spaß, Zeit mit ihm zu verbringen.

WIRED: Wenn Sie in San Francisco ein Taxi brauchen, greifen Sie dann weiterhin zur Uber-App?
Lashinsky: Ja. Und ich glaube, mein Verhalten spiegelt wider, wie es vielen Menschen geht: Die App ist schnell zur Hand, ich kenne mich mit der Bedienung aus, meine Kreditkarten-Informationen sind bei Uber hinterlegt, und ich kann in der Regel sicher sein, dass ein Auto in der Nähe ist. Weiter denke ich dabei nicht – auch wenn andere mich dafür verurteilen mögen.

WIRED: Die vielen Skandale haben daran nichts geändert?
Lashinsky: Ich versuche, mich bei diesen Dingen nicht zu emotional gefangennehmen zu lassen. Das mag kaltblütig klingen, aber in San Francisco oder auch New York gibt es die Tendenz, solche Themen sehr hitzig zu diskutieren. Das ist anderswo nicht unbedingt der Fall, und ich hoffe, dass ich mit meinem Buch auch Leser ansprechen kann, die einfach nur sagen: „Uber klingt nach einer interessanten Story, darüber würde ich gern mehr erfahren.“ Mein Buch ist nicht als Moralgeschichte gedacht. Die zu schreiben, überlasse ich anderen.

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