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Mit Firefox Quantum will Mozilla Chrome-Nutzer zurückholen

von Matthew Reynolds / WIRED UK
Mozilla hat mit Firefox Quantum endlich eine umfassende Neufassung seines Browsers geliefert – und will damit Google vom Browser-Thron stoßen. Aber kann ein gemeinnütziges Unternehmen, das Wert auf ethisch verantwortungsvolles Handeln legt, hier gewinnen?

Wer sich Mitte der Nuller-Jahre als Firefox-Nutzer zu erkennen gab, outete sich als Nerd. Immerhin einer, der schlaue Technologie-Entscheidungen traf. Man konnte sich zurücklehnen und über Registerkarten-Browsing und Sofortsuche plaudern, während der Rest der Welt däumchendrehend darauf wartete, dass der Internet Explorer eine einzige Seite lud. Anfang 2010 benutzen dann fast ein Drittel der User Firefox als ihren Hauptbrowser.

Aber dann kam Chrome. Im September 2008 war Googles Browser veröffentlicht worden, wurde aber erst populär, als Mitte Chrome 5.0 herauskam, der erstmals auf Mac-, Windows- und Linux-Geräten funktionierte. Innerhalb von wenigen Jahren wurde es der meistbenutzte Browser der Welt und schwächte den Marktanteil von Firefox und Internet Explorer extrem. Heute hat Firefox nur ungefähr 13 Prozent Marktanteil bei Desktopnutzung und viel weniger mobil. Chrome ist bei 64 Prozent allein bei Desktopnutzung.

Firefox Quantum soll Chrome jetzt wieder Konkurrenz machen. „Das ist bis jetzt der größte Neustart, den wir je gemacht haben“, sagt Mark Mayo, Vize-Präsident bei Mozilla. Die neueste Version des Browsers ist laut Firmenangaben doppelt so schnell wie die Firefox-Version von vor sechs Monaten und verwendet 30 Prozent weniger Speicher als Chrome. Der Vorteil: weniger Abstürze und weniger Wartezeit.

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„Viele der Chrome-Nutzer waren früher Firefox-Nutzer, also war eines unserer ausdrücklichen Ziele, diese User von Chrome zurückzuerobern“, sagt Mayo. „Aus technischer Sicht hat Firefox einige Jahre lang zu wenig getan – da gibt es nichts zu beschönigen.“

Die gemeinnützige Organisation Mozilla hat sich also zum Ziel gesetzt, die zweitgrößte Tech-Firma der Welt auf deren Territorium anzugreifen. Aber für Google ist Chrome viel mehr als nur ein Browser. Mayo sieht es so: „Grundsätzlich gibt es Chrome, um Googles Werbegeschäft zu schützen – Chrome existiert aus unternehmensstrategischen Gründen.“ Googles Webangebote, inklusive Gmail und Docs, sind so optimiert, dass sie mit Chrome am besten funktionieren. So sollen Nutzer bei Google-Produkten bleiben und die Firma weiter mit Daten versorgen, die Google für sein Anzeigengeschäft nutzt.

Wer eine der größten und meistbesuchten Webseiten der Welt besitzt, hat einen enormen Vorteil beim Marketing

Mark Mayo

„Google hat den Browser richtigerweise als sehr wichtige Software identifiziert, also haben sie entsprechend investiert, um einen großen Marktanteil abzubekommen, und sie waren unglaublich erfolgreich“, sagt Mayo. „Wer eine der größten und meistbesuchten Webseiten der Welt besitzt, hat einen enormen Vorteil beim Marketing.“

Seit fast zehn Jahren hat Google im Prinzip zwei große Trümpfe, die es im Browserkrieg ausspielen kann: Das beste Produkt und viele Gelegenheiten, um es den Usern zu präsentieren. Aber Mayo glaubt, dass der langanhaltende Erfolg der Firma nur ein Beleg dafür ist, dass da etwas zum Stillstand gekommen sei. „Es fühlt sich so an, als seien Browser zuletzt vor fünf Jahren etwa weiterentwickelt worden.“ Mayo setzt darauf, dass sich Qualität durchsetzen werde, Firefox also Chrome also durchaus mit den eigenen Waffen schlagen könne. Dann könne Mozilla auch Marktanteile zurückerobern.

Auch wenn es sein „Bester Browser“-Label vor Jahren verloren hat, hat sich Firefox immer mit der Weigerung gepunktet, bei Privatsphäre und Sicherheit der User Kompromisse einzugehen – darüber definiert sich auch das Unternehmen Mozilla, das sich selbst als Verteidiger eines offenen und innovativen Internets präsentiert. Diese Philosophie wirkt sich auch auf Firefox aus, aber Mayo sagt, dass Moral allein kaum als Argument ausreiche, Leute davon zu überzeugen, den Browser zu wechseln. „Von den vielen Nutzern, die sich uns zugewandt haben, haben es viele sicherlich auch deshalb getan, weil wir als ‘die Guten‘ gelten“, sagt Mayo. Das habe sich immer ein bisschen „wie ein Kompromiss angefühlt“.

Die „handle-jetzt-denke-später“-Mentalität des Valleys

Das Gespräch mit Mayo findet im Keller der Temporary Art Gallery in London statt. Direkt darüber ist derzeit der Glass Room zu finden, eine Ausstellung von Tactical Tech und Mozilla, die zeigt, wie sehr Tech-Konzerne bereits unseren Alltag beeinflussen und kontrollieren. In einer Ecke etwa hängt eine große Übersicht all der Firmen, in die Googles Mutterkonzern Alphabet investiert hat. Daneben steht ein Modell von Mark Zuckerbergs Anwesen in Palo Alto und den umliegenden Grundstücken, die er alle aufkaufte, um seine Privatsphäre schützen zu können.

Mozilla sitzt noch immer im Silicon Valley – das alte Büro lag gleich neben Googles großer Firmenzentrale – aber es sieht sich selbst als Gegenentwurf zur „handle jetzt, denke später“-Mentalität des Valleys. Die meisten Firefox-User finden sich in Europa, wo vielen der Schutz der Privatsphäre tendenziell wichtiger ist, und die Popularität des Browsers (immer noch mehr als 90 Millionen Nutzer weltweit) verleiht Mozillas Einsatz für ein offeneres Internet noch mehr Gewicht. Ohne Firefox würde Mozilla seinen Einfluss auf Organisationen wie dem W3C verlieren, das Web-Standards setzt.

Ein Kompromiss an anderer Stelle

Aber einen Browser zu entwickeln, den die Menschen wirklich benutzen wollen, bedeutet normalerweise, einen Kompromiss an anderer Stelle eingehen zu müssen. Zu Beginn des Jahres war der W3C bei einer leidenschaftlichen Debatte über Encrypted Media Extensions (EME) gespalten – ein Tool mit dem Browser urheberrechtlich geschützte Videos abspielen können wie etwa Netflix-Filme, die nur in bestimmten Ländern verfügbar sind. Netflix, Amazon und die großen Studios, mit denen sie zusammenarbeiten, drängten sehr auf diesen Standard, denn er würde ihnen erlauben, hart gegen Online-Piraterie vorzugehen.

Aber Sicherheitsforscher und zahlreiche Onlineaktivisten waren gegen EME, weil es zu Sicherheitslücken in Browsers führen könnte und weil es für Nutzer viel schwieriger wäre, eigene Browser zu entwickeln oder zu verändern.

Obwohl es gegen einige seiner Grundüberzeugungen ging, hat Mozilla EME schließlich akzeptiert und in seinen Browser eingebaut. Es gibt aber für die Benutzer immer noch die Möglichkeit, EME zu deaktivieren. Obwohl er nach wie vor an die Offenheit und Unabhängigkeit des Netzes glaubt, bleibt Mayo realistisch bei der Frage, wie weit Firefox die Agenda vorantreiben und gleichzeitig für die Nutzer relevant bleiben kann. „Wir haben einen Browser mit breiter Nutzergruppe und die Leute lieben nun mal Video“, sagt er. Um Mozilla noch mal neu zu positionieren, stehen manche Grundsätze zur Disposition.

Auch mit diesen Kompromissen bleibt es für Firefox ein mühsamer Kampf gegen Chrome. Mayo ist zuversichtlich, dass die Leute den Browser benutzen werden, der am besten ist – so wie sie es schon 2011 getan haben, als viele Millionen zu Chrome wechselten. Diesmal bitteschön andersherum. Aber das Internet hat sich mittlerweile verändert, und mit dem Erfolg von Android und all den anderen Google-Programmen, steht Firefox vor einer sehr schwierigen Aufgabe, User aus der Chrome-Welt zu locken.

Mayo betont jedoch, dass eine Softwarefirma, die ethisch verantwortungsvoll agiere, ihren Platz auf den Desktops der Nutzer zurückerobern könne. „Es ist möglich, mit den größten, mächtigsten Softwarefirmen auf der Welt zu konkurrieren – wenn nicht mit den größten Firmen überhaupt, quer durch alle Branchen. Es ist durchaus möglich, sie zu schlagen.“

Dieser Artikel erschien zuerst bei WIRED UK.

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