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Apples iPhone-Märchen ist zu Ende

von Nils Jacobsen
Eine Ära ist zu Ende: 13 Jahre konnte Apple Quartal für Quartal steigende Umsätze verkünden – bis gestern. Weil die Mac-, iPad- und nun auch iPhone-Verkäufe zweistellig nachgeben, musste der Tech-Konzern deutlich rückläufige Geschäftsergebnisse für das zweite Quartal 2016 eingestehen. Es ist der Beginn einer Trendwende, zumindest bis zum iPhone-7-Launch wird Apple weiter schrumpfen.

Daran muss man sich erst mal gewöhnen: Der Erfolgskonzern Apple befindet sich im Rückwärtsgang. Und das nach jeder Lesart, wie die gestern nach Handelsschluss vorgelegten Quartalszahlen eindringlich offenbarten: Der Umsatz schrumpfte um 13 Prozent auf 50,5 Milliarden Dollar, während der Nettogewinn um 23 Prozent auf 10,5 Milliarden Dollar einbrach.

Sinkende Erlöse und Erträge gab es bei Apple zuletzt im Jahr 2003, als Steve Jobs den Konzern nach gelungener Rettung kräftig umbaute und den Weg für den Triumphzug des iPod und der späteren Erfindungen iPhone und iPad ebnete.

2016 hat sich der Kreis geschlossen: Apples phänomenale Ära hat zumindest nach betriebswirtschaftlichen Maßstäben ihr Ende gefunden – ob vorläufig oder endgültig, muss sich noch zeigen. Im Dreimonatszeitraum von Anfang Januar bis Ende März schrumpften erstmals Apples bis dato drei größten Konzernbereiche.

iPhone, iPad, Mac: Alle wichtigen Konzernbereiche schrumpfen
Die iPad-Sparte brach um weitere 19 Prozent ein, Apple setzte mit 10,3 Millionen verkauften Einheiten so wenig Tablets ab wie seit 2011 nicht mehr. Auch die sonst so solide Macintosh-Sparte muss mit einem Minus von 12 Prozent auf vier Millionen verkaufte Computer und Laptops inzwischen kräftige Einbußen hinnehmen.

Das eigentliche Drama spielt sich aber ausgerechnet im mit Abstand umsatz- und margenstärksten Konzernbereich ab, der iPhone-Sparte. Erstmals seit der Einführung 2007 musste Apple rückläufige Verkäufe seines Smartphones bekanntgeben – und das gleich zweistellig. Die Absätze gaben um 16 Prozent von 61 auf 51 Millionen Einheiten nach.

Die Apple Watch enttäuscht, iTunes macht Hoffnung
Selbst der neue Hoffnungsträger, die vor genau einem Jahr gelaunchte Apple Watch, kann ihren hohen Erwartungen nicht gerecht werden. Weiterhin versteckt Tim Cook sein neustes Apple-Gadget, das 2014 mit viel Bohei noch als „Apples persönlichstes Produkt“ vorgestellt wurde, in der Bilanz unter „Anderen Produkten“ – zusammen mit Ladekabeln, der zugekauften Kopfhörersparte von Beats, der Set-Top-Box Apple TV und dem Auslaufmodell iPod.

Ein Blick auf die Umsatzentwicklung legt nahe, dass die Apple Watch kaum mehr als eine Milliarde Dollar erlöst und damit in den ersten 90 Tagen nur etwa zwei bis drei Millionen Einheiten verkauft hat – das ist das bislang schwächste Quartal seit dem Debüt der Apple-Smartwatch vor einem Jahr.

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Zum einzig echten Lichtblick in der neuen Apple-Bilanz taugt der Konzernbereich iTunes, unter dem Apple inzwischen seine Internetdienste bündelt – also Apple Music, den App Store und alle Erlöse durch Downloads über den iTunes Store. Die Umsätze in dieser Sparte legen immerhin um 20 Prozent auf nunmehr sechs Milliarden Dollar zu.

Das iPhone 7 könnte enttäuschen
Doch die Wachstumsbereiche reichen nicht annähernd aus, um die Umsatzlücken zu schließen, die iPhone, iPad und Mac reißen. Entsprechend steht Apple nun vor einer ungewohnten Durststrecke, wie der überraschend schwache Ausblick auf das laufende Quartal nahelegt: CEO Tim Cook deutet einen noch deutlicheren Umsatzeinbruch von 13 bis 17 Prozent auf 41 bis 43 Milliarden Dollar an.

Eine Trendwende erscheint frühestens mit dem iPhone 7 möglich, das im September erwartet wird. Doch das große Update des Apple Smartphones dürfte kein Selbstläufer werden, glaubt etwa Ming-Chi Kuo von KGI Securities, der als einer der treffsichersten Apple-Analysten der Welt gilt.

Weil das iPhone 7 kaum anders aussehen dürfte als das aktuelle iPhone 6s (erwartet wird das Ende des Klinken-Kopfhöreranschlusses) und „wenig innovative Features“ aufweisen soll, rechnet der KGI-Analyst mit einer Fortsetzung sinkender Verkaufszahlen. Im Gesamtjahr könnte Apple beim iPhone nicht nur unter das Vorjahresniveau, sondern nun sogar unter das Level von 2014 fallen, glaubt Kuo.

Vage Hoffnung auf das iPhone 8
Erst 2017 könnte Apple demnach wieder auf den Wachstumspfad zurückkehren, wenn der Konzern die s-Generation überspringe und direkt ein optisch generalüberholtes iPhone 8 auf den Markt bringe, mutmaßt Kuo.

Doch das iPhone 8 ist mindestens noch eineinhalb Jahre entfernt – eine lange Zeit für den Konzern, der an der Börse seit Längerem unter Druck geraten ist und im vergangenen Jahr 29 Prozent an Wert verloren hat. Apples Absturz an der Wall Street hängt maßgeblich mit dem schwindenden Glauben der Aktionäre an eine Rückkehr des Wachstums zusammen.

Apple braucht ein neues „One more Thing“...
Tatsächlich scheint nicht klar, wie Tim Cook die Erfolge der Steve Jobs-Ära wiederholen will. Der 55-Jährige nährte zwar in der vorletzten Analystenkonferenz im Januar die Hoffnung, dass Apple auch auf dem Zukunftsmarkt VR aktiv werden könnte: „Virtual Reality ist kein Nischenmarkt. Es ist cool und hat einige interessante Anwendungen“, erklärte Cook.

Doch Apple ist wieder einmal spät dran. Samsung launchte im Januar die Virtual-Reality-Brille Gear VR, die Käufer des neuen Smartphone-Flaggschiffs Galaxy S7 in den ersten Wochen sogar als kostenlose Dreingabe erhielten. Mit dem Kampfpreis von 99 Euro mischt der südkoreanische Tech-Konzern gerade den noch jungen VR-Markt auf, auf dem auch Facebook-Tochter Oculus mit der gerade gestarteten Augmented Reality-Brille Oculus Rift große Ambitionen hat.

…aber VR und iCar dauern
Ob Virtual Reality wirklich zum neuen großen Boom-Markt taugt, ist weiter vollkommen unklar. Selbst wenn Apple zum iPhone 8 erste Virtual-Reality-Angebote und eine VR-Brille auf den Markt bringen sollte, ist das Monetarisierungspotenzial völlig offen. Für Samsung ist die Gear VR aktuell vor allem ein Verkaufsargument für das Galaxy S7.

Noch weiter weg erscheinen die großen Hoffnungen auf ein Apple-Auto, für das Tim Cook Gerüchten zufolge inzwischen eine tausend Mann starke Abteilung aufgebaut haben soll. Frühestens 2019 oder 2020 soll das iCar marktreif sein, war immer wieder aus vermeintlich gut unterrichteten Kreisen zu hören.

Doch um in der Apple-Bilanz seine Spuren zu hinterlassen und die Erosion beim iPhone im nächsten Jahrzehnt ausgleichen zu können, müsste sich das Apple-Auto noch weitaus besser verkaufen als Tesla zuletzt für sein erschwinglichstes Elektroauto Model 3 an Vorbestellungen verbucht hat. Das Apple-Auto müsste sofort ein Millionenerfolg werden, um es aus dem Stand mit Platzhirschen wie Volkswagen, Toyota & Co aufnehmen zu können – was noch keinem Neuling in der über hundert Jahre alten Automobilindustrie gelungen ist.

Tim Cooks ewige Verwaltung des Erfolges
So steckt Apple unter Tim Cook auf absehbare Zeit in einer vagen Gegenwart fest, die von der Verteidigung des Status quo und permanenten Abstiegsängsten geprägt ist. In den fünf Jahren unter ihm als CEO hat Apple nicht nur an Schwung und Elan verloren – sondern vor allem den Nimbus der goldenen Steve-Jobs-Ära. Cook hat sich wie ein akribischer Verwalter bemüht, das Erbe des legendären Apple-Gründers zu bewahren, es dabei aber verpasst, den Konzern weiterzuentwickeln und etwas Neues auf den Weg zu bringen.

Die bestehende Produktlinie wurde immer wieder ausgereizt: Das iPad schrumpfte erst (iPad mini, 2012), dann wuchs es wieder (iPad Pro, 2015), der iPhone-Erfolg wurde in neuen Größen mit dem 4,7 Zoll großen iPhone 6/s und 5,5 Zoll großen Phablet iPhone 6/s Plus verlängert – ein eigener großer Wurf aber gelang Cook bislang nicht.

Sein bislang einziges eigenes Produkt, die Apple Watch, ist unausgereift und wirkt nicht nur nach dem Produktnamen wie ein Fremdkörper der iÄra – mit iPhone, iPad und iPod kann sich die bislang arg beschränkte Smartwatch nicht messen.

Alphabet und Facebook sind langfristig kaum aufzuhalten
So steht der Tech-Pionier ausgerechnet zum vierzigjährigen Firmenjubiläum vor einer Zeitenwende – von hier an geht es nun erstmal nach unten. Dass Apples Abstieg von einem turmhohen Niveau erfolgt und mittelfristig nicht mit einem Krisenszenario à la Nokia oder Blackberry zu vergleichen ist, steht außer Frage. Auch bei sinkenden Umsätzen verdient Apple weiter bestens an seinen hochpreisigen Produkten und dürfte auch auf längere Sicht mit einer in der Hardwarebranche konkurrenzlosen Marge Milliarden erwirtschaften.

Doch die Herrschaftsverhältnisse im Silicon Valley dürften sich in den kommenden Jahren erkennbar verschieben – in Richtung von Facebook und des Google-Mutterkonzerns Alphabet. Die Börse hat sich darauf bereits eingestimmt: Im Februar überholte Alphabet Apple für einen Tag als wertvollster Konzern der Welt. Nach den neuen Quartalszahlen, für die Apple von der Wall Street mit einem Kurssturz von acht Prozent bestraft wurde, zeichnet sich ab, dass ein Führungswechsel bald dauerhaft sein könnte. 

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