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„Ich will ein Imperium errichten, das die Welt verändert“, sagt der CEO der Mobilitäts-App Moovit

von Max Biederbeck
Moovit hat knapp 30 Millionen Nutzer und ist die weltweit erfolgreichste App für den öffentlichen Nahverkehr. Spätestens seit Anfang des Jahres ist das Unternehmen auf dem Weg, ein Unicorn zu werden — ein mit einer Milliarde Dollar bewertetes Startup. Nir Erez, dem CEO von Moovit, reicht das aber nicht: Er will mehr als Geld, wie er WIRED beim Treffen in Berlin erzählt hat.

Nir Erez kommt gerade von der Strecke des Berlin Marathons. Früh am Morgen ist er mit dem Flugzeug aus Tel Aviv gelandet, hielt es aber nicht lange aus: Kaum im Hotel rannte der CEO des Startups Moovit wieder los. Auch die Idee zu seiner Firma hatte Erez, während er rannte — beim Training zum Iron Man in Frankfurt. Das war 2012.

Anfang des Jahres hat Moovit bei einer Investment-Runde 50 Millionen Dollar eingesammelt. Mittlerweile ist das Unternehmen 450 Millionen schwer und seit vergangener Woche gibt es die App offiziell auch in Deutschland — wo sie auf etablierte Konkurrenten trifft. Denn ihre Grundfrage stellten sich schon viele: Wie komme ich am schnellsten und besten von A nach B? Dabei scheint Moovit sich gegen die Mitspieler durchzusetzen. Knapp 30 Millionen User setzen mittlerweile auf das Unternehmen, das damit die Spitzenposition von Google Maps übernommen hat.

Für Erez geht es längst um etwas anderes. Sein Unternehmen soll mehr sein als eine digitale Verkehrsanzeige. WIRED hat ihn in Berlin getroffen und über die Vision hinter Moovit geredet, über autonomes Fahren und über Smart Cities. Schnell wurde klar: Auch im Geschäftsleben rennt Erez.

WIRED: Ich bin mit der U8 gekommen, um Sie zu treffen. Zur Rush-Hour. Die Waggons der U-Bahn waren völlig überfüllt. Hätte Ihre App mir da einen Ausweg zeigen können?
Nir Erez: Ja, und Sie wären überrascht, wie viele. Ich gebe mal ein extremes Beispiel. In London steigen die meisten Menschen in die Metro. Die wissen gar nicht, wie man Busse nutzen könnte, dabei können die viel bequemer sein. Ebenso viele Menschen passen in Busse wie in die U-Bahn. Verteilung wäre der beste Weg, aber niemand weiß das und deshalb gilt: Information is king. Das hat man im vergangenen Monat bei den Metro-Streiks gesehen. Auf einmal explodierten die Moovit-Klicks um das vierfache — und alle nahmen den Bus.

WIRED: Ich glaube nicht, dass mir ein Bus heute morgen viel gebracht hätte. Berliner wissen genau, warum sie ihre Busse möglichst meiden sollten.
Erez: Klar, je weitläufiger eine Stadt ist, desto schwieriger wird es für einen Verkehrsbetrieb. Er muss alles covern und das noch mit unterschiedlichen Optionen im Angebot. Aber umso wichtiger werden wir, weil wir genau wissen, wann was wie fährt.

WIRED: Aber das weiß meine BVG-App auch, oder das in Deutschland beliebte Öffi. Sie kommen dagegen mit Ihrem Produkt gerade erst dazu. Es gibt viel Konkurrenz.
Erez: Ich schätze Konkurrenz, sei sie groß oder klein. Ich respektiere Google als Gegenspieler und auch die anderen.

WIRED: Aber Google ist der Hauptgegner?
Erez: Nicht unbedingt, jede westliche Stadt hat eine lokale App. Sie kann besser oder schlechter sein, aber am Ende bieten wir im Vergleich einfach mehr. Wir sind die einzigen, die wirklich Crowd-Daten ausnutzen. Unser globaler Ansatz gibt uns außerdem die Möglichkeit, eine wesentlich ausgefeiltere und durchdachtere Infrastruktur zu entwickeln. Menschen haben keine Loyalitäten, sie nehmen den Dienst, der am besten funktioniert.

WIRED: Und Ihrer funktioniert am besten mit Crowdsourcing?
Erez: Ja, zum Beispiel wenn die BVG-App in Berlin einen Stau oder Defekt der U-Bahn nicht meldet. Unsere Community kann jeden Zwischenfall fast in Echtzeit in unser System eintragen. Zusätzlich haben mittlerweile 20.000 Editors noch mehr Rechte, das funktioniert ähnlich wie bei Wikipedia. Ob ein Verkehrsbetrieb in einer Stadt mitmacht oder nicht ist letzten Endes egal, wir wissen über den aktuellen Verkehr immer Bescheid.

WIRED: Dennoch scheinen die Leute das bisher nicht anzunehmen. Heute morgen gab es genau fünf Bewertungen im deutschen AppStore. Eine davon beschwerte sich bitter, dass es Moovit nicht in Köln gebe.
Erez: Wir sind gerade erst auf dem deutschen Markt angekommen, so etwas braucht Zeit. Wir haben schon rund 180.000 User in der kurzen Zeit. Die Community wird wachsen und Städte Stück für Stück mit uns erschließen. Alle 24 Stunden kommt im Moment eine gesamte Stadt in unserem System dazu.

WIRED: Sie machen es für den Profit und die Leute machen es für Ihre Stadt?
Erez: Wir machen im Moment keinen Profit. Wir werden niemals eine Gebühr für unseren Service berechnen und wir werden die Community auch nicht bezahlen. Wir haben durch unsere Finanzierungsrunden soviel Geld gesammelt, dass es für die nächsten Jahre reicht.

Wir werden niemals mit den Daten unserer User handeln.

WIRED: Aber irgendwann müssen Sie ja Geld einnehmen. Seit Facebook wissen wir, kein Dienst ist wirklich kostenlos und Verkehrsdaten sind wertvoll.
Erez: Wir werden niemals mit den Daten unserer User handeln. Moovit ist komplett anonym. Natürlich können wir Bewegungs-Profile nachvollziehen, aber wir behalten diese Muster nicht. Wir wollen gar nicht erst von Geheimdiensten und Behörden angerufen werden, die Nutzerdaten von uns haben wollen.

WIRED: Und wie wollen Sie Geld verdienen?
Erez: Wir haben schon Verträge mit vier großen Taxi-Anbietern auf der ganzen Welt unterschrieben. In Tel Aviv verdienen wir schon Anteile an 10.000 Taxi-Fahrten monatlich. In Polen, Brasilien und Israel testen wir außerdem den mobilen Ticketverkauf. In Zukunft könnten Sie zum Beispiel in Moovit schon Ihren Kaffee für den Zielort vorbestellen und bezahlen. Dazu kommen Kooperationen mit Carsharing und Carpooling.

WIRED: Passenderweise hat BMW i Ventures im Frühjahr ordentlich investiert. Heißt das, dessen Carsharing-Dienst Drive Now wird bald in Moovit integriert?
Erez: Ich will nicht zu viel dazu sagen, aber ja, wir arbeiten gerade daran. Wir experimentieren zurzeit damit, verschiedene Mobilitätsangebote zu integrieren.

Bei BMW versteht man, dass die Welt der Mobilität in 20 bis 30 Jahren eine andere sein wird.

WIRED: Ist es nicht paradox, dass ein Autohersteller in eine App für den öffentlichen Nahverkehr investiert?
Erez: Ich kann nicht für BMW sprechen, aber das Unternehmen scheint eine Vision zu haben. Dort versteht man, dass die Welt der Mobilität in 20 bis 30 Jahren eine andere sein wird. Dass die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Verkehr völlig verschwimmen werden. Es wird einen Meltdown geben.

WIRED: Das müssen Sie erklären.
Erez: Fahrerlose Autos sind ein perfektes Beispiel für ein privates Fortbewegungsmittel, das nicht unbedingt den Menschen selbst gehört. Das gilt auch für Carsharing. BMW ist sicher nicht bei uns an Bord, weil sie die Leute davon überzeugen den neuen 750iger zu kaufen. Man weiß dort, dass der Verkehr bald einfach völlig anders aussehen wird.

WIRED: Aber was hat diese Entwicklung mit Ihnen zu tun?
Erez: Auch ich habe eine Vision. Ich will, dass Menschen eine aktuelle Live-Liste an Möglichkeiten haben, wenn sie das Haus verlassen. Sie sollen ihre Schritte in der Öffentlichkeit mit uns planen. Und wenn in 20 Jahren eine dieser Optionen ein selbstfahrendes Auto ist, das vor Ihrer Tür wartet, dann passt das auch für uns.

Als Tesla anfing, hat das Unternehmen auch nicht daran gedacht, dass sie mal mit SpaceX Raketen in den Orbit schießen würden.

WIRED: Vielleicht sogar noch ein Schritt weiter: Moovit als der Fortbewegungsdienst für die Smart-City?
Erez: Warum nicht, wir könnten der Besitzer eines ganzen Systems an autonomen Wagen sein, das von BMW gebaut wurde. Als Tesla anfing, hat das Unternehmen auch nicht daran gedacht, dass sie mal mit SpaceX Raketen in den Orbit schießen würden. Oder Google, dass sie irgendwann mit Ballons und Satelliten das Internet auf der ganzen Welt verteilen.

WIRED: Große Vorbilder.
Erez: Ich mache das hier nicht für Geld, ich habe in meinen früheren Startups genug Geld verdient. Schon in der zweiten Finanzierungsrunde habe ich Moovit nur den Top-Investoren im Silicon Valley vorgestellt. Nicht, weil sie so viel Geld haben, sondern weil sie weit nach vorne schauen und die Welt verändern wollen. Ich denke nicht: Wow, jetzt habe ich ein 200-Millionen-Unternehmen, ich sollte verkaufen. Nein, ich denke: Ich will ein Imperium gründen.

WIRED: Das ist der Plan? Ein Imperium gründen?
Erez: Das war die Idee von Tag eins an. Ich lehne es ab, Geld von kleineren Venture-Kapitalisten zu nehmen, die auch klein denken. Glücklicherweise hat Sequoia Capital in uns investiert. Ich denke, die sind Nummer 1 und investierten auch in Uber und AirBnB.

WIRED: Wenn Sie wirklich die Welt verändern wollen, warum stellen Sie Ihre Software dann nicht Open Source zur Verfügung?
Erez: Der Grund ist, dass wir alle Daten noch einmal aufpolieren und überprüfen. Karten wie bei Open Street Map verändern sich nicht so schnell. So etwas funktioniert unkontrolliert. Aber der Verkehr müssen Sie dauernd überwachen, wenn Service klappen soll. Wir wollen so viel Kontrolle über die Qualität der Daten haben wie möglich. Wenn Sie sich verfahren, können Sie wenden. Wenn der Bus erst einmal weg ist, müssen sie den Weg nach Hause zu Fuß laufen. 

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