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Mobil bezahlen: Wann kommt der Tag ohne Bargeld?

von Karsten Lemm
Mit viel Aufmerksamkeit gestartet, tun sich Apple Pay und seine Konkurrenten weiter schwer, Fans zu finden. Cash und Plastikgeld sind vertraut und gewohnt – was muss passieren, damit wir beides beiseite legen und das Handy zur Geldbörse machen?

An der Kasse zum Smartphone zu greifen kann sich lohnen. Wer in den USA per Handy zahlt, darf alle paar Wochen auf eine neue Promotion hoffen: Aktuell bietet Samsung allen Android-Nutzern, die Samsung Pay ausprobieren, Geschenkkarten an. Von Google gab es vor einer Weile Chromecast-Empfänger, während Apple im Zusammenspiel mit dem Kreditkarten-Anbieter Discover schlicht auf „Geld zurück“ setzte: Zehn Prozent des Kaufpreises bekamen Apple-Pay-Nutzer erstattet, wenn auch nur für kurze Zeit.

Was zeigt: Die Zukunft braucht noch Anschubhilfe. So sehr sich Silicon Valley und Bankenwelt auch bemühen, das Smartphone zum Portemonnaie zu machen – ihre Kunden zeigen bisher nur wenig Interesse. Bargeld bleibt mit Abstand das populärste Zahlungsmittel. Weltweit, schätzt Mastercard, greifen Menschen in 85 Prozent der Fälle immer noch zu Münzen und Scheinen.

Wie beliebt Bargeld weiterhin ist, schwankt je nach Land, Kultur und Dichte des Geldautomaten-Netzes. Doch selbst in Ländern wie Singapur oder den Niederlanden, in denen bereits mehr als die Hälfte der Zahlungen elektronisch beglichen werden, spielt das Smartphone selten eine Rolle: Plastikgeld – ob ec- oder Kreditkarte – ist längst da und lässt sich nur schwer verdrängen. Nennenswerte Erfolge feiern mobile Bezahlsysteme nur dort, wo kaum Banken zu finden sind, etwa in Kenia, wo Safaricoms „M-Pesa“ drei Viertel der Erwachsenen erreicht.

Anderswo gilt: „Viele Kundenbedürfnisse werden heute bereits durch bestehende Technik abgedeckt“, sagt Marc Niederkorn, Finanzexperte bei McKinsey. „Und es ist schwer, die Menschen umzustimmen.“ Beispiel: Apple Pay. Am „Black Friday“ Ende November, dem umsatzstärksten Tag für den amerikanischen Einzelhandel, ignorierten 97 Prozent aller iPhone-Besitzer die Portemonnaie-Funktion in ihrem Smartphone. Nur 2,7 Prozent aller Zahlungen, die möglich gewesen wären, wurden laut Marktforscher Infoscout tatsächlich über Apples schlagzeilenträchtigen Bezahldienst abgewickelt.

Android Pay und Samsung Pay geht es nicht besser. Alle sind weit davon entfernt, Cash und Karten Geschichte werden zu lassen. Fürs Erste konzentrieren sich die drei Smartphone-Riesen ohnehin auf einige wenige, englischsprachige Länder wie die USA, Australien und Großbritannien. Grundbedingung für ihre Systeme ist eine möglichst hohe Verbreitung von Kreditkarten, denn hinter den Kulissen werden auch Smartphone-Zahlungen über Kreditkarten-Konten abgewickelt.

Schon deshalb ist Deutschland für die Newcomer nicht der attraktivste Markt. Hinzu kommt die traditionelle Zurückhaltung beim Ausprobieren neuer Dinge, verbunden mit mangelnder Infrastruktur: Bisher beherrschen erst 60.000 Terminals zwischen Kiel und Konstanz das kontaktlose Bezahlen per NFC-Technik („Near Field Communication“), das Apple Pay & Co. voraussetzen. Selbst wenn Supermarktketten wie Aldi und Lidl ihre Kassen derzeit im großen Stil umrüsten: „Allein die Terminals hinzustellen wird nicht ausreichen“, sagt Nikolaus Beutin, Partner bei der Unternehmensberatung PwC und Experte für Mobile Payments. „Der Kunde muss einen Vorteil haben.“

Beim Bezahlen in Apps ergibt sich dieser Vorteil von allein: Wer per Smartphone ein Uber-Taxi bucht, kommt sekundenschnell ans Ziel und muss sich über Belege keine Gedanken machen. An der Ladenkasse dagegen kämpft die Handy-Geldbörse mit alten Gewohnheiten und neuen Sorgen: Warum zum Smartphone greifen, wenn die ec-Karte ähnlich nah liegt und Bargeld garantiert nicht gehackt werden kann? Angst vor Datendieben und Sorge um persönliche Informationen, die in falsche Hände geraten könnten, führen für Deutsche die Liste von Gründen an, die gegen Mobile Payments sprechen, wie eine PwC-Umfrage ergab.

Durchsetzen werden sich nur Lösungen, die über das reine Bezahlen hinausgehen

Jörn Leogrande, Wirecard

Deshalb sind viele Beobachter sicher, dass die Handy-Geldbörse mehr bieten muss als Bargeld und Plastik ohnehin schon. „Durchsetzen werden sich nur Lösungen, die über das reine Bezahlen hinausgehen“, sagt Jörn Leogrande, Vizepräsident für Mobilservices beim Finanzdienstleister Wirecard. Bei „Orange Cash“ in Frankreich etwa kassieren Kunden Bonuspunkte, wenn sie per Handy zahlen, und bekommen Sonderangebote bei Händlern in der Nähe angezeigt.
Wie lange es dauern wird, bis das Bezahlen sich digital in Luft auflöst – niemand weiß es. Klar ist nur: Der Tag wird kommen. Denn Bargeld ist teuer. 50 bis 60 Milliarden Euro müssen Jahr für Jahr allein die Banken aufbringen, um es zu sortieren, zu lagern, zu transportieren.

Schön, wenn einem der Umstieg zumindest so schmackhaft gemacht wird wie bei Starbucks: In den USA können Kaffee-Fans ihre Lieblingsdrinks schon jetzt per Mobilapp bestellen und auch vorab bezahlen. Im Laden führt der Weg dann direkt zum frisch gebrühten Mocha Frappucino, vorbei an jeder Warteschlange. „Diesen Service würden wir gern auch in Deutschland anbieten“, sagt Starbucks-Euro­pa­chef Frank Wubben. „Unser Ziel ist immer, das Er­lebnis zu erhöhen.“ Angereichert um Social-Media-Elemente, Bonuspunkte und den Faktor Bequemlichkeit, ist die Starbucks-App mittlerweile so populär geworden, dass 22 Prozent aller Kunden ihre Kaffee-Kreationen mit dem Smartphone bezahlen. Na bitte, es geht doch.

Die Konferenz WIRED Money 2016 findet am 28. April in Berlin statt. Hier gibt es Tickets. Und hier findet ihr mehr zum Thema „Zukunft des Geldes“. 

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