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Zukunft der Arbeit / Linda Kozlowski von Evernote möchte 9-to-5-Jobs, Meetings und Büros abschaffen

von Silvia Weber
Arbeiten wann und wo man möchte: So sieht das Startup Evernote die Zukunft. Der Notizdienst Evernote Business soll Unternehmen die Mittel dazu zur Verfügung stellen. Vorständin Linda Kozlowski erklärt, wie das gehen soll.

Wie kann man den Arbeitsalltag in Unternehmen so digitalisieren, dass möglichst effektive Ergebnisse herauskommen? Das kalifornische Startup Evernote will diese Frage mit dem digitalen Notizdienst Evernote Business beantworten. Wie der Vorgänger für den privaten Gebrauch, speichert die firmenorientierte Software als virtuelles Gedächtnis Texte, Fotos und andere Daten in der Cloud. Die Inhalte sind für mehrere Teilnehmer von mehreren Geräten aus abrufbar, können geteilt und bearbeitet werden.

Meetings, E-Mails und die persönliche Anwesenheit im Büro sind damit nach Meinung der Evernote-Gründer überflüssig. Stattdessen wird Arbeiten jederzeit und überall möglich. Evernote realisiert dieses Konzept bereits mit 400 Mitarbeitern in zehn Ländern. Wir haben mit Linda Kozlowski, Vorstandsmitglied bei Evernote, über den Abschied vom 9-to-5-Job, erweiterte Intelligenz, Prokrastination und das Misstrauen gegenüber Maschinen gesprochen.

WIRED: Wie arbeiten die Menschen in zehn oder 20 Jahren, wenn es nach Ihnen geht?
Linda Kozlowski: Jeder kann arbeiten, wann und wo er will, niemand muss zu bestimmten Zeiten im Büro sein. Der Wert der Mitarbeiter hängt nicht mehr davon ab, wie viele Stunden sie im Büro verbringen, sondern von ihren Ergebnissen. Freelancer arbeiten jetzt schon nach diesem Prinzip. In den USA werden im Jahr 2020 bestimmt 50 Prozent aller Arbeitenden selbstständig sein. Es wird noch immer die Möglichkeit geben, Informationen für sich zu behalten. Aber wenn es die Effektivität steigert, werden aber auch mehr Inhalte geteilt.

Wenn Sie morgens um neun lieber eine Fahrradtour machen als zu arbeiten, sollen Sie das tun.

WIRED: Welche Vorteile hätte diese neue Arbeitsweise?
Kozlowski: Wenn man Menschen die Freiheit gibt, unter den Bedingungen zu arbeiten, die ihnen am meisten liegen, steigert das die Qualität. Wenn Sie morgens um neun lieber eine Fahrradtour machen als zu arbeiten, sollen Sie das tun. Wenn jemand in meinem Team seine Arbeit in drei Stunden erledigt hat, darf er gerne nach Hause gehen. Mich interessiert nur, ob er einen guten Job macht.

WIRED: Gibt es bei Evernote im Silicon Valley überhaupt noch Papier?Kozlowski: Ja, manche Menschen schreiben lieber mit der Hand, das ist okay. Wir haben das Evernote-Feature eingeführt, damit man Fotos von handgeschriebenen Dokumenten machen und diese teilen kann. Wir wollen den Menschen die Möglichkeit geben, zu arbeiten, wie es für sie am besten ist.

WIRED: Aus welchem Land kommt der Großteil Ihrer Nutzer?
Kozlowski: Die meisten Nutzer von Evernote Business kommen aus den USA. In Deutschland, Großbritannien, China und Brasilien gibt es aber auch immer mehr Interessenten.

WIRED: Woran liegt es, dass viele Unternehmen der Digitalisierung des Arbeitsalltages mit Misstrauen begegnen?
Kozlowski: Viele Menschen sind erst einmal misstrauisch, wenn sich was ändern soll. Dazu kommt das Thema Datensicherheit. Evernote fungiert ja teilweise als Cloud-Notizblock. Aber die Online-Festplatten werden immer sicherer. Vor allem größere Firmen zögern auch, weil sie Angst vor der Umstellung des Workflows haben.

Große Firmen wollen attraktiver für kreative Talente werden. Sie verwenden innovative Tools, um eine Startup-Atmosphäre zu schaffen.

WIRED: Was hat das mit der Größe der Firma zu tun?
Kozlowski: Kleinere und mittelgroße Unternehmen sind erfahrungsgemäß experimentierfreudiger als größere. Unter anderem, weil der Entscheidungsprozess länger dauert, je mehr Mitarbeiter man hat. Das ändert sich aber allmählich, denn größere Firmen wollen attraktiver für kreative Talente werden. Sie verwenden mehr innovative Tools und Softwares, um eine Startup-Atmosphäre zu schaffen.

WIRED: Was hat Evernote mit Augmented Intelligence, also sogenannter Erweiterter Intelligenz zu tun?
Kozlowski: Wir wollen Technologien anbieten, die den Nutzern Informationen zugänglich machen, bevor sie überhaupt wissen, dass sie diese benötigen. Ein Beispiel: Ein Evernote-Nutzer hat jeden Mittwoch ein Meeting. Die Software erinnert ihn rechtzeitig daran und zeigt ihm die Notizen von letzter Woche. Wir verwenden das Konzept der Erweiterten Intelligenz, um den User smarter zu machen. Stellen Sie sich vor, Sie laufen mit einer Smartwatch am Handgelenk durchs Treppenhaus und treffen dort jemanden, mit dem sie demnächst ein Meeting haben. Ihre Uhr könnte Sie darauf hinweisen und Ihnen Gesprächsmöglichkeiten anbieten — was es jetzt schon gibt, ist unsere App Context. Während man einen Artikel schreibt, bietet sie Zusatzinformationen an, nach denen Sie dann nicht mehr selbst suchen müssen. Wir sind dafür unter anderem mit dem „Wall Street Journal“ eine Kooperation eingegangen.

WIRED: Besteht nicht die Gefahr, dass uns Augmented-Intelligence-Tools viel mehr steuern statt uns zu unterstützen?
Kozlowski: Man kann die Angebote ja auch ignorieren. Sie sind einfach nur ein zweites Gehirn, das man nutzen kann, wenn man möchte. Die Zusatzinformationen in der Context-App sind stark im Hintergrund gehalten.

Wenn sich Mensch und Maschine zusammentun, kommen bessere Ergebnisse heraus, als wenn eine Maschine allein arbeitet.

WIRED: Wie werden Roboter uns zukünftig bei der Arbeit unterstützen? Und: Wann werden sie uns ersetzen?
Kozlowski: Diese Frage ist uns sehr wichtig. Wir sprechen bewusst nicht von künstlicher Intelligenz, sondern von Erweiterter Intelligenz. Wir glauben nicht daran, dass Maschinen Menschen ersetzen können. Nehmen wir als Beispiel das Schachspiel zwischen Garri Kasparow und dem Computer Deep Blue im Jahr 1997. Der Computer gewann zwar gegen Kasparow. Dann aber spielten der Schachprofi und der Computer gegen einen anderen Menschen und einen anderen Computer, und es war ein viel besseres Spiel. Die Erkenntnis ist folgende: Wenn sich ein Mensch und eine Maschine zusammentun, kommen dabei bessere Ergebnisse heraus, als wenn eine Maschine allein eingesetzt wird.

WIRED: Wird Prokrastination unmöglich, wenn wir bald immer und überall arbeiten können?
Kozlowski: Ja und nein. Ich denke, ein wichtiger Grund, warum Menschen prokrastinieren, ist der, dass sie nicht wissen, wie sie anfangen sollen. In diesem Punkt kann Evernote mit seiner Notizbuchfunktion weiterhelfen. Man kann überall und immer Gedanken und Ideen aufschreiben. Diese Notizen können als Inspiration dienen, um einen Anfang zu finden. Wer Dinge aufschieben will, kann das aber weiterhin tun.

WIRED: Arbeit und Leben verschmelzen also. Besteht nicht die Gefahr, dass Firmen die ständige Erreichbarkeit ihrer Mitarbeiter ausnutzen oder die Mitarbeiter selbst sich keine Freizeit mehr gönnen?
Kozlowski: Es ist ein Lernprozess. Man muss sich antrainieren, an einem bestimmten Punkt Schluss zu machen. Ich selbst musste das auch lernen. Früher habe ich ständig auf meinem Smartphone meine Mails gecheckt. Heute weiß ich: Wenn etwas wirklich Wichtiges anliegt, werde ich angerufen. Die Mails checke ich nur noch zu bestimmten Zeiten. Daraus lernen andere, dass ich nicht immer erreichbar bin. Die modernen Technologien stellten keine Gefahr für uns dar, sondern unser Umgang mit ihnen. Man sollte Technologie nicht als Feind sehen, sondern als Unterstützer.

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