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Die Software-Revolutionäre aus Karlsruhe

von Karsten Lemm
Achtung, Google, Microsoft und SAP, hier kommt CAS: Mit SmartWeWorld startet der Mittelständler aus Karlsruhe einen Frontalangriff auf all jene Software-Plattformen, die Rekordgewinne und Quasi-Monopole anstreben. Das Geheimnis: die freiwillige Beschränkung der eigenen Profite.

Wenn Martin Hubschneider das Konzept seiner neuen Software-Plattform beschreiben will, greift er zum Bild eines Ärztehauses: „Es gibt eine Basis-Infrastruktur, aber auch Spezialisten für jeden Patienten“, sagt der Mitgründer der Karlsruher CAS Software AG. So soll auch die SmartWeWorld-Plattform funktionieren, die am Mittwoch an den Start geht und sich vornehmlich an kleine und mittelständische Firmen wendet: Kunden bekommen Zugriff auf eine Reihe von Anwendungen, die allgemeine Grundbedürfnisse abdecken, können sich aber auch Lösungen für ihre eigenen Zwecke einkaufen.

So weit, so konventionell. Um einiges ungewöhnlicher ist das Bezahlmodell, das sich Hubschneider und sein Mitgründer Ludwig Neer für ihren Cloud-Service ausgedacht haben: Je mehr Kunden sich finden, um so billiger soll die Software werden, ganz automatisch. Kostet das Monatsabo zu Beginn noch – abhängig von der Funktionalität – zwischen 10 und 30 Euro pro Nutzer, wollen die SmartWeWorld-Betreiber den Preis immer weiter senken, je mehr ihre Einnahmen steigen. „Wir werden den Gewinn auf maximal zehn Prozent begrenzen“, verspricht Hubschneider.

Wir werden den Gewinn auf maximal zehn Prozent begrenzen

Martin Hubschneider, Mitgründer der CAS Software AG

Dass ein solches Konzept überhaupt denkbar ist, liegt an einer Besonderheit des Softwaregeschäfts: Während Autobauer, Bäcker oder Handy-Produzenten bei jedem Produkt, das sie herstellen, zusätzliche Kosten haben, weil sie Metall, Mehl oder Chips einkaufen müssen, bringt jede weitere Softwarelizenz vorwiegend Gewinn ein, sobald die Entwicklung finanziert ist.

Braucht ein Anbieter also 10.000 Kunden, um die Kosten zu decken, bedeuten die nächsten 10.000 oder 100.000 Kunden puren Profit, weil der Aufwand, größere Datenmengen durch die Welt zu schicken, minimal ist: Die Kosten für die extra verkauften Lizenzen gehen gegen Null, deshalb fließen die Einnahmen an diesem Punkt fast vollständig als Gewinn aufs Konto.

Dieser Mechanismus ist einer der wesentlichen Gründe dafür, dass viele Software-Giganten finanziell so gut dastehen: Bei SAP blieben 2016 gut fünf Milliarden Euro Überschuss, der US-Konkurrent Oracle kam auf fast neun Milliarden, und Microsoft meldete für das vorige Geschäftsjahr sogar einen Reingewinn von fast 17 Milliarden Dollar. Nicht schlecht für ein Unternehmen, das gern als Sorgenkind der Branche porträtiert wird – denn in früheren Jahren lag der Gewinn schon deutlich höher.

Die große Gefahr ist, dass wir überall Plattform-Monopole bekommen

Martin Hubschneider, Mitgründer der CAS Software AG

Martin Hubschneider wird angesichts solcher Zahlen eher unwohl. Er sieht in den überbordenden Einnahmen der Gewinner ein Zeichen dafür, dass die Digitalwelt aus der Balance gerät – dass eine Handvoll Unternehmen das große Geschäft machen und viele Verlierer hinter sich zurücklassen.

„Im Moment ist die große Gefahr, dass wir überall Plattform-Monopole bekommen“, sagt Hubschneider. „Im ersten Schritt zeigen die sich ganz freundlich, im zweiten versuchen sie natürlich, das massiv zu kapitalisieren.“ Ob Uber, Facebook, Google oder Airbnb, überall sieht der süddeutsche Unternehmer das gleiche Prinzip: Erst Kunden gewinnen, sie an sich binden, dann das meiste aus ihnen (und ihren Daten) herausholen. „Das führt zu einer unglaublichen Abhängigkeit von ganz, ganz Wenigen, die abkassieren können und häufig auch gar nicht europäischem Recht unterliegen“, argumentiert Hubschneider. 

Der 58-Jährige sagt das bedächtig, mit Empörung in der Sache, aber ohne laut zu werden. Ganz der studierte Wirtschaftsingenieur, der seit über 30 Jahren in der Softwarebranche unterwegs ist, viel gesehen hat, das ihm nicht gefällt, und nun versucht, dem Problem mit einer rationalen, technischen Lösung zu begegnen.

Mit ihrer CAS Software AG haben Hubschneider und Neer ein erfolgreiches Unternehmen aufgebaut, das als Mittelständler Software für andere Mittelständler produziert: gut 500 Mitarbeiter, mehr als 20.000 Kunden, über 50 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Solide, ohne Schlagzeilen zu machen. Mit der nun eigens gegründeten SmartWeWorld AG haben die heimlichen Revolutionäre aus Karlsruhe mehr im Sinn: „SmartWe ist für den Weltmarkt ausgelegt und nimmt auf nichts Rücksicht“, sagt Hubschneider. Weder auf die Konkurrenz noch auf das eigene Geschäft.

Von Beginn an mehrsprachig, soll die Plattform Kleinbetriebe und Mittelständler für sich gewinnen, die nach einer günstigen Cloud-Softwarelösung für Buchhaltung, Vertrieb und andere Firmenanwendungen suchen. Fällt der Preis wie geplant in den nächsten Jahren immer weiter, greift die SmartWeWorld automatisch auch CAS an. Sobald die Cloud-Plattform bei ähnlicher Leistung billiger wird als die Angebote der eigenen Mutter, „werden wahrscheinlich viele rüberwechseln“, räumt Hubschneider ein. Ein internationaler Erfolg von SmartWeWorld könnte aber deutlich wertvoller sein als das bestehende Geschäft von CAS, das sich stark auf Deutschland, Österreich und die Schweiz konzentriert, hoffen die Gründer.

Wir wollen dem Markt klarmachen: Die SmartWeWorld kann nicht weggekauft werden

Martin Hubschneider, Mitgründer der CAS Software AG

Die zweite Kampfansage der Karlsruher Underdogs an die Riesen aus dem Silicon Valley steckt in der Eigentümer-Struktur ihrer neuen Firma: Je mehr Nutzer die Plattform gewinnt, umso stärker soll sich die Macht auf die Community verlagern. Jeder Kunde bekommt die Chance, auch Teilhaber zu werden – zum Nennbetrag von einem Euro pro Aktie. „Wir positionieren das sehr stark auf dem Wir-Gedanken“, sagt Hubschneider. „Und plötzlich entsteht eine Gegenbewegung zu ,America First‘. Was wir hier machen, ist das genaue Gegenteil: Nicht einer allein ist vorn, sondern alle bringen gemeinsam etwas voran.“

Um zu verhindern, dass Großkunden am Ende auch Großaktionäre werden, die der Gemeinschaft ihren Willen aufzwingen, gilt ein Limit von einem Prozent je Anteilseigner. Die Verteilung auf viele Inhaber soll die neue Firma auch vor Übernahme-Angeboten durch reiche Konkurrenten schützen. „Wir wollen dem Markt klarmachen: Die SmartWeWorld kann nicht weggekauft werden“, sagt Hubschneider. „Wir sind ähnlich aufgestellt wie eine Genossenschaft.“

Geht die Rechnung auf, könnte am Ende eine sozial-demokratisch geprägte Alternative zu den übermächtigen Plattformen aus dem Silicon Valley entstehen, spekulieren die SmartWeWorld-Gründer. „Wir brauche eine Antwort auf diese Monopole“, sagt Hubschneider. Er sieht „eine Riesenchance, dass das Ganze generell ein Vorbild wird“ – in allen Bereichen der Digitalwirtschaft, in denen erfolgreiche Firmen die absolute Mehrheit der Marktanteile anstreben.

Sollten die CAS-Gründer mit ihrem neuen Geschäftsmodell Erfolg haben, könnte im Softwaregeschäft ganz allgemein ein Druck entstehen, Gewinne zu beschränken und Preise zu senken, je erfolgreicher ein Produkt wird. Eine rebellische Idee, die die aktuellen Sieger, von Microsoft bis SAP, Milliarden kosten könnte. „Es ist sehr disruptiv, was wir machen“, gibt Hubschneider zu. „Wir rechnen damit, dass unsere Marktbegleiter uns beobachten und versuchen zu reagieren.“ Aber Angst? Nein. „Sonst hätten wir gar nicht erst angefangen.“

Um die anderen in Bedrängnis zu bringen, muss allerdings zunächst das Produkt genügend Kunden finden. Neben Grundfunktionen wie Kontaktmanagement und Leadgenerierung für Sales-Manager biete die SmartWeWorld-Platfform dazu einige Besonderheiten, erklärt Hubschneider – etwa die automatische Aktualisierung von Kontaktinformationen: „Wir erhalten tagesaktuell von der Schufa Veränderungen auf Geschäftsführer-Ebene mitgeteilt.“ So seien Nutzer immer auf dem neuesten Stand. Generell versuche die Plattform, alle Informationen zu sammeln, „die öffentlich zugänglich sind“.

Es kann sein, dass Leute sagen, das hat erhebliche Veränderungen in unsere Marktwirtschaft gebracht

Martin Hubschneider, Mitgründer der CAS Software AG

Als Ziel haben sich die Gründer gesetzt, in den nächsten zehn Jahren 100 Millionen Nutzer zu gewinnen. Ein solcher Erfolg würde automatisch bedeuten, dass die CAS ihre anfängliche Mehrheit an der SmartWeWorld verliert und die Preise fallen. Zugleich aber könnte die Plattform so viel Geld verdienen, dass ihre Eigentümer am Ende finanziell besser dastünden als im Augenblick. „Wir glauben, dass die Firma dann so groß ist, dass unsere Anteile auch mehr wert sind“, sagt Hubschneider.

Schon mit 100.000 Nutzern, die 30 Euro im Monat zahlen, wäre die Schwelle erreicht, an der die Preise fallen könnten, rechnet der CAS-Chef vor. Bisher habe sein Unternehmen 50 Millionen Euro in den Aufbau der Plattform gesteckt, die Weiterentwicklung koste deutlich weniger. „Wir investieren in Innovation und in Preissenkungen“, sagt Hubschneider, „aber wir wollen auch dauerhaft die beste Leistung bieten“.

Die einzige Beschränkung, die sich die Karlsruher setzen, ist das selbst gewählte Limit von maximal zehn Prozent Gewinn. Ihre Ambitionen, die Welt zu erobern und dem Dominator-Kapitalismus ein Stoppschild entgegenzustrecken, kennen dagegen keine Grenzen. „Im Nachhinein kann es vielleicht als Revolution gelten“, überlegt Hubschneider mit Blick auf sein Wir-Projekt. „Es kann sein, dass Leute sagen, das hat erhebliche Veränderungen in unsere Marktwirtschaft gebracht.“ Er sieht sich da in der Tradition anderer Widerstandskämpfer – Nelson Mandela etwa, von dem er ein Poster immer griffbereit hat. Es zeigt einen Wahlspruch, den der südafrikanische Menschenrechtler seinen Anhängern mit auf den Weg gab: „Gemeinsam können wir die Welt verbesssern. Es liegt in euren Händen, einen Unterschied zu machen.“

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