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Spotify und Audible wollen Podcasts aus der Nische holen

von Dominik Schönleben
Podcasts kommen in Deutschland seit Jahren kaum aus der Nische heraus. Doch jetzt wollen der Streaming-Dienst Spotify und das Hörbuch-Portal Audible Indie-Angebote auf Augenhöhe mit öffentlich-rechtlichen Produktionen bringen. Werden Podcasts so zum Massenphänomen?

Der Astrophysiker Harald Lesch spricht während seinen Vorträgen gerne darüber, wie ihn die Perry-Rhodan-Groschenromane seiner Jugend auf seinen Job vorbereitet haben. Sie erklärten die Wunder des Universums so einfach, dass er sie schon als Kind verstehen konnte. Doch heute hören ihm bei diesem Thema nicht so viele Menschen zu, wie er es gewohnt ist. Der durch die Space Night auf BR-alpha bekannt gewordene Wissenschaftler ist zu Gast in einem Podcast.

In der Sendung Elementarfragen beantwortet Lesch die Fragen von Nicolas Semak, dem Mitgründer von Viertausendhertz, einem der ersten deutschen Indie-Labels für Podcasts. Semak will mit seinen Kollegen hochwertige Audio-Formate produzieren, die per Smartphone jederzeit und überall konsumiert werden können. Doch die Konkurrenz ist groß.

Die Öffentlich-Rechtlichen dominieren seit Jahren mit ihren aufwendig produzierten Formaten den Radiomarkt – und damit auch die Podcast-Nische. Die meisten Sendungen gibt es nach ihrer Ausstrahlung über UKW auch im Netz. Bei iTunes werden deshalb seit Jahren die Top 10 von den Öffentlich-Rechtlichen besetzt. Nur ab und zu schafft es ein Indie-Podcast dazwischen. Semak war mit Elementarfragen einmal unter den Top 20, meist rangiert sein Format jedoch zwischen Platz 50 bis 100. Weit abseits der Startseite von iTunes. So geht es vielen unabhängigen Podcastern

Doch das könnte sich jetzt ändern. Zwei große internationale Unternehmen bringen sich auf dem Deutschen Markt in Stellung: der Musik-Streaming-Dienst Spotify aus Schweden und das Hörbuch-Portal Audible, das seit 2008 zu Amazon gehört. Beide wollen Indie-Podcastern eine neue Plattform abseits von iTunes und RSS-Feeds bieten. Doch dabei verfolgen sie sehr unterschiedliche Strategien.

Damit wir in Deutschland erfolgreich sein können, müssen wir dafür sorgen, dass lokale Inhalte wachsen

Dossie McCraw, Spotify

Spotify startete seine Podcast-Ambitionen in Deutschland mit einem PR-Coup: Der für sein Erdogan-Gedicht ebenso kritisierte wie gefeierte Komiker Jan Böhmermann wechselte zusammen mit Partner Olli Schulz vom öffentlich-rechtlichen Radioeins zum neuen Podcast-Angebot des Dienstes. Warum, erklärte Böhmermann in der ersten Sendung unter neuem Dach: „Dass wir von Spotify abgeworben wurden, ist nichts anderes als eine Legende. Denn Olli Schulz und ich sind Hand in Hand im Januar bei Spotify ins Büro gelaufen und haben gefragt: Hey, gebt ihr uns 150 Euro mehr als die ARD?“ Das habe Spotify dann auch ohne Zögern gemacht.

Dossie McCraw, verantwortlich für Videoshows und Podcasts bei Spotify, sieht eine klare Zielgruppe: „Das Verhalten von jüngeren Nutzern hat sich schon verändert“, sagt McCraw: „Wir wollen öffentlich-Rechtliche-Angebote einem jüngeren Publikum zugänglich machen.“ Es sei laut McCraw nicht das Ziel von Spotify, nach und nach die besten Shows abzuwerben. Der Exklusiv-Deal mit Böhmermann und Schulz sei einfach nur eine gute Gelegenheit gewesen, die er ergriffen habe.

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McCraw hat einen anderen Plan: Möglichst viele bekannte Podcasts sollen auch auf Spotify verfügbar sein. Böhmermanns Sendung Fest und Flauschig (früher Sanft und Sorgfältig) ist als Exklusiv-Show eher die Ausnahme als die Regel. Zu ihr gesellen sich zahlreiche Angebote der Öffentlich-Rechtlichen und auch erste Indie-Podcaster wie Nicolas Semak von Viertausendherz. Nach und nach sollen die besten Podcasts auch auf Spotify zu finden sein. Die Nutzer der Streaming-Plattform sollen möglichst lange in der App bleiben, für Podcasts eben nicht mehr zu iTunes wechseln, wünscht sich McCraw: „Damit wir in Deutschland erfolgreich sein können, müssen wir dafür sorgen, dass lokale Inhalte wachsen.“

Nicht nur Nutzer, sondern auch Produzenten sollen von einer Präsenz auf Spotify profitieren: „iTunes bietet Podcastern fast nichts. Es gibt ihnen nur Distribution“, sagt McCraw. „Wir wollen mehr anbieten: Ein besseres Nutzererlebnis, verschiedene Formate und Monetarisierungsmöglichkeiten.“ Doch konkrete Pläne, vor allem für letzteres, verrät Spotify noch nicht.

Audible hat hier einen umfassenderen Ansatz. Statt einfach nur bestehende Podcasts auf die eigene Plattform zu ziehen, will die Amazon-Tochter neue, qualitativ hochwertige Audio-Shows produzieren lassen. Nach einem Call for Papers im Juni konnten Podcaster und Radiomacher Konzepte einreichen, die exklusiv für Audible aufgenommen werden sollen. „Wir wollen einen Nerv treffen, der zwischen dem sorgfältigen deutschen Journalismus und den Entertainment-Shows in den USA liegt“, sagt Paul Huizing, Chef für Programmplanung von Audible-Deutschland.

Wir wollen Podcasts dazu verhelfen, echte Sendungen zu werden

Paul Huizing, Audible

Er verspricht Podcastern nicht nur Reichweite für ihre Shows, sondern will ihre Ideen zu professionellen Formaten weiterentwickeln, die eine größere Masse erreichen können als bisher. Als Vorbild sieht Huizing amerikanische Formate wie Serial, ein Podcast bei dem die amerikanische Journalistin Sarah Koenig einen über 15 Jahre alten Mordfall nacherzählte und damit so viel Aufmerksamkeit auf sich zog, dass es zur Wiederaufnahme des Verfahrens vor Gericht kam.

„Unsere Programmplanung richtet sich weniger danach, was teuer oder billig ist, sondern was inhaltlich gut ist“, sagt Huizing. Jeder Podcast, der auf Audible läuft, soll bezahlt und in Zusammenarbeit mit dem Hörspielportal produziert werden – dafür dann auch exklusiv sein. „Wir glauben, dass wir mit solchen Produktionen dem Podcast verhelfen können, eine echte Sendung zu werden, ein echtes Serienformat“, sagt Huizing.

Spotify verspricht hingegen, ähnlich wie viele andere Plattformen, vor allem Reichweite. Laut Podcast-Chef McCraw werden nur manche Podcaster für ihre Präsenz auf der Plattform bezahlt. Nicht unüblich im Business, auch der französische Musik-Streaming-Dienst Deezer geht ähnlich vor.

Genau hieran krankt seit Jahren die deutsche Podcasting-Szene. Die wenigsten Podcaster können mit Audio-Shows ihren Lebensunterhalt bestreiten, viele arbeiten gleichzeitig fürs Radio, produzieren Audioformate für Blogs von Unternehmen oder betreiben Podcasting nur als Hobby.

Irgendwann gibt es einen Player, der definiert, was ein akzeptabler Podcast ist

Holger Klein, Radiomoderator

Das Problem stammt aus den Anfängen Szene. Geld wollten damals die wenigsten Podcaster mit ihren Sendungen verdienen. Die meisten hatten einfach ein Mitteilungsbedürfnis: „Früher war das wirklich so: Ein paar Typen setzten sich hin und erzählten sich was“, beschreibt Radiomoderator Holger Klein die ersten Formate. Er leitete damals die Gesprächsrunden bei Chaos Radio, einem der ersten deutschen Podcasts auf iTunes. Eine Formel setzte sich durch: Zwei bis vier Personen unterhalten sich zum Teil stundenlang über die verschiedensten Themen. Abschätzig wird dieses Format auch als „Laberpodcast“ bezeichnet.

Dass jetzt Audible und Spotify übernehmen wollen, begeistert nicht alle in der Szene: „Man bekommt dann den YouTube-Effekt. Und irgendwann gibt es einen Player, der so groß ist, dass der definiert, was ein akzeptabler Podcast ist und was nicht“, sagt Klein. Die eigene Freiheit war schon immer Teil der Identität der deutschen Podcaster-Szene. Und sie könnte jetzt in Gefahr sein, wenn das Medium Teil des Mainstreams werden will.

Auch der erfolgreiche Podcaster Tim Pritlove sieht die Entwicklung kritisch: „Podcasts bilden in ihrer Nischenbespielung eine ganz andere Welt ab. Nämlich die Welt der Debatte, der Diskussion und der inhaltlichen Auseinandersetzung“, sagt er. Als einer der wenigen in Deutschland kann er seinen Lebensunterhalt ausschließlich durch die Produktion von Podcasts bestreiten. Massentauglich sind seine Szene-Shows jedoch nicht. Zu lang, zu technisch und meist nur auf ein Nischenpublikum ausgerichtet. Aber genau so fand er eben auch seine Fans, genau dafür lieben sie ihn.

Podcasts stecken nicht in der Nische fest, sondern kommen in die Nische rein

Tim Pritlove, Podcaster

„Bei mir haben die natürlich auch schon angeklopft“, sagt Podcast-Legende Pritlove auf die Frage, ob er mit Audible und Spotify zusammenarbeiten würde. Doch darin sieht er keine Option, er will seine Unabhängigkeit behalten. Pritlove hat es sich bequem gemacht in seiner Nische und will sie nicht verlassen. Er sagt: „Podcasts stecken nicht in der Nische fest, sondern kommen in die Nische rein.“

Podcasts in Deutschland werden sich verändern, glaubt Paul Huizing von Audible. Ähnlich wie bei YouTube sei am Anfang alles recht amateurhaft gewesen, doch jetzt hätten dort die Profis übernommen: „Eine Sendung aufzunehmen, die qualitativ wertvoll, unterhaltsam, informativ und hörenswert ist, das ist kein einfaches Ding“, sagt er. Gesprächsformate wären eben nur in Ausnahmefällen so interessant, dass die Zuhörer nächste Woche wieder einschalten.

Aufwendig produzierte Formate setzen sich durch, das zeigen vor allem die Öffentlich-Rechtlichen. Seit Mai befindet sich beispielsweise Eine Stunde History von DRadio Wissen nahezu konstant in den Top 10 der iTunes-Charts. Zählt man die Hörer von iTunes und Spotify zusammen, kann das Format mit seiner erfolgreichsten Folge über die Geschichte der Türkei fast 25.000 Zuhörer für sich verbuchen. Aber auch die Podcasts von Indie-Produzent Semak etablieren sich: Sein Format Elementarfragen hat bereits ähnlich hohe Zugriffszahlen, sagt er.

„Audio aus der Konserve hat Potenzial“, sagt Semak. Und die Zahlen geben ihm recht: Nachdem Podcasts 2005 über iTunes erstmals in die bereite Öffentlichkeit traten, dümpelte das Medium in Deutschland jahrelang dahin. Laut der ARD-ZDF-Onlinestudie hören jedoch mittlerweile 13 Prozent der Deutschen gelegentlich Podcasts – Tendenz steigend. Durch seine Professionalisierung, vorangetrieben von internationalen Firmen wie Audible und Spotify, könnte der Podcast sich nun vielleicht wirklich zum Massenphänomen entwickeln.

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