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Diese fünf KI-Prototypen könnten bald unsere Steuern übernehmen

von Karsten Lemm
Unsexy, aber unvermeidlich: Wenn der Staat die Hand aufhält, müssen Privatleute und Unternehmen ihre Finanzen in Ordnung bringen. Künstliche Intelligenz kann nun bei der Steuererklärung zumindest lästige Routinejobs übernehmen und Fragen beantworten. Fünf Prototypen zeigen, wie die KI zum Steuerberater wird – und was das für die Menschen bedeutet, die bisher mit dieser Arbeit ihr Geld verdienen.

Wäre es nicht schön, einen Social-Media-Star aus dem Silicon Valley einzufliegen, damit er von seinem Blick auf die Zukunft berichten kann? „Ich möchte Mark Zuckerberg als Gastredner engagieren, weil der Ahnung von Digitalisierung hat“, sagt Andreas Homrighausen von der Steuerberatung WTS. Die Unterhaltung, die folgt, könnte auch gut mit einem Sachbearbeiter stattfinden – nur spricht Homrighausen ins Mikrofon seines Smartphones, und die Antworten kommen von einem Chatbot, der auf Steuerfragen spezialisiert ist.

Wie hoch die Gage sein soll, will das Computersystem wissen, welche Reise- und Verpflegungskosten anfallen, was der Personenschutz kosten würde und schließlich noch: Wer übernimmt die Steuer für das Honorar? „Die Steuer zahlen natürlich wir“, antwortet Homrighausen. Sekunden später erfährt er den Betrag dafür, eine Quellensteuer von 25.000 Euro und 75 Cents – zum Tageskurs automatisch umgerechnet, weil der WTS-Manager dem Chatbot immer Dollarbeträge genannt hat, seine Firma aber in München beheimatet ist.

Die Vorführung in Berlin soll zeigen, wie weit Künstliche Intelligenz den Menschen bei Fragen rund um Abgaben, Zölle und Gebühren künftig unterstützen kann. Gleich fünf Prototypen für den Einsatz von KI bei der Steuerbearbeitung hat WTS zusammen mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) entwickelt. Präsentiert werden die Ergebnisse der Arbeit am Freitag im Haus der Deutschen Wirtschaft vor einem Fachpublikum aus Professoren, Sachverständigen und Steuerexperten, die angereist sind, um sich selbst ein Bild davon zu machen, wie viel Intelligenz in Algorithmen tatsächlich steckt.

Das Ergebnis dürfte für den Augenblick noch viele beruhigen: Vom allwissenden Robo-Steuerberater, der jede Frage versteht und auf alles eine Antwort kennt, sind selbst die jüngsten Systeme bisher weit entfernt. Zu oft bewegt sich die menschliche Welt in Grauzonen, die keine präzise Berechnung zulässt, als dass Maschinen, die nur Einsen und Nullen verstehen, damit in jeder Situation umgehen könnten. „Das Allerschwerste ist Begründen und Argumentieren“, erklärt DFKI-Präsident Wolfgang Wahlster in seiner Auftaktrede. „Da ist der Mensch noch klar überlegen.“

Für viele Aufgaben allerdings, die Steuerberater routinemäßig erledigen, sind Computer wie geschaffen. Das gilt zum Beispiel für die tägliche Pfadfinderarbeit im Dschungel der Paragrafen: Wer kann schon aus dem Stegreif sagen, wie hoch die Einfuhrsteuer ist, die für Leinsamen aus Kasachstan fällig wird? Oder völlig sicher sein, dass bei Tausenden von Zollerklärungen für Exporte in alle Welt nichts übersehen wurde?

Kein Wunder, dass der „Detection“-Prototyp beim Publikum auf besonders viel Interesse stößt: Das System wertet automatisch alle Daten in einem Unternehmen aus, die für Steuer- und Zollfragen relevant sind, und erkennt, was ungewöhnlich ist – etwa, ob bei einer Lieferung von Frankreich in die Ukraine die Möglichkeiten des Freihandelsabkommens nicht genutzt wurden. Auch wenn der Computer relativ stumpfsinnig vorgeht und nicht beantworten könnte, warum etwas anders lief als gewohnt: Allein die Möglichkeit, Abweichungen zu erkennen, lässt die KI zu einem wertvollen Helfer werden.

Ähnlich geht der Prototyp „Argumentum“ vor, der Gerichtsentscheidungen zu Steuerfragen nach bestimmten Schlagwörtern und Argumentationsmustern untersucht, um Nutzern zu zeigen, wie Richter in vergleichbaren Fällen früher bereits entschieden haben. „Das ist Kärrnerarbeit, die sonst mit relativ hohem Personaleinsatz geleistet werden muss“, sagt WTS-Berater Swen Bäuml. Davon befreit, könne der Mensch sich künftig darauf konzentrieren, „Mehrwert zu schaffen“, argumentiert Bäuml. Er glaube „deshalb auch nicht, dass Stellen wegfallen“, sondern erwarte eine Verschiebung zu höherwertiger Arbeit.

Dass KI bisher vorwiegend für Hilfsaufgaben taugt, zeigen auch die beiden übrigen Prototypen: Das „Prediction“-System kann – trotz seines vielversprechenden Namens – wenig mehr als vorsortieren. Es analysiert Fragen, die bei der Steuerabteilung einer Firma eingehen, nach Themengebieten und findet den besten Sachbearbeiter dafür, indem es die Mitarbeiterprofile und ihre Wissensgebiete mit den Anfragen abgleicht. „NeuMU“ schließlich erinnert an Google Translate und DeepL: Der automatische Übersetzer wurde mit so vielen Spezialbegriffen aus der Steuerwelt gefüttert, dass er auch Wort-Ungetüme wie „Hinzurechnungsbesteuerung“ ins Englische übertragen kann. Aber bisher nur in diese eine Richtung, Deutsch-Englisch, und auch nur in einer Sprache. Ein Prototyp eben, der den Aufbruch in ein neues Zeitalter signalisiert. Mehr nicht.

Trotz solcher Einschränkungen sehen Unternehmen wie Audi, Bosch und Henkel, die bei der Entwicklung der Prototypen halfen, großes Potenzial in solchen KI-Systemen. Sie könnten zum Beispiel helfen, „Warenströme zu optimieren“, sagt Robert Risse, Leiter der Steuerabteilung bei Henkel, indem die Datenanalyse zeigt, welche Rohmaterialien tatsächlich die günstigsten sind – wenn man nicht nur auf den Einkaufspreis schaut, sondern auf alle Zölle und Abgaben, die sonst noch anfallen.

Alle, die privat mit Formularen fürs Finanzamt kämpfen, dürfen darauf hoffen, dass viele lästige Details zunehmend von automatischen Systemen übernommen werden. Während populäre Programme zur Steuererklärung noch immer viel Handarbeit verlangen, könnte KI-Software künftig den Großteil allein erledigen – etwa durch Mustererkennung und automatisches Prüfen der Paragrafen. „Eine Standard-Steuererklärung von Privatpersonen, ich glaube, dass man das in den nächsten fünf Jahren schaffen kann“, sagt Wolfgang Wahlster im Gespräch mit WIRED.

Für knifflige Fälle blieben dann immer noch menschliche Experten – zum Discount-Tarif: „Ohne Rückfragen wird es nicht gehen“, sagt Wahlster, aber „auch Steuerberater werden solche Systeme nutzen.“ Gut möglich, spekuliert der DFKI-Chef, dass Kanzleien die mitlernenden Algorithmen einsetzen werden, um ihre Dienste billiger anzubieten als bisher.

Die größten Verlierer mögen am Ende Trickser sein, die bisher erfolgreich darauf spekulieren, dass der Staat unmöglich alle erwischen kann, die sich illegale Steuerschlupflöcher suchen. Doch mit ihrem Talent, in eigentlich unüberschaubar großen Datenbergen das Ungewöhnliche zu finden, könnten KI-Systeme auch Steuerfahnder künftig schneller auf die Spur von Schwindlern bringen. „Auch die Behören beschäftigen sich mit diesen Themen“, sagt Wahlster. „Die Beamten schlafen nicht.“

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