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Chips in Jeans: Wie Intel versucht, beim Internet der Dinge nicht den Anschluss zu verlieren

von Karsten Lemm
Mit der PC-Revolution groß geworden, aber den Umstieg aufs Smartphone verpasst: Nun setzt Intel alles auf das Internet der Dinge. Erfolg versprechen die Prozessor-Pioniere sich aber nicht von Chips allein, sondern wollen die Zukunft mit einem Rundum-Paket für alle Fälle erobern.

Gibt es diese Jeans noch in meiner Größe? Ja, eigentlich schon, aber wo liegt sie gerade? Der Laden ist groß, und alles ist immer in Bewegung: Hosen werden anprobiert, wieder abgelegt, falsch einsortiert. Probleme, mit denen Händler seit Jahrzehnten kämpfen. Muss nicht sein, argumentiert der Chip-Hersteller Intel, der im traditionellen Kleiderladen-Chaos die perfekte Chance sieht, sich mit seiner „Internet der Dinge“-Technologie zu profilieren. Seit kurzem arbeiten die Kalifornier mit dem Jeans-Giganten Levi's zusammen, um zu zeigen, dass es auch anders geht.

In einem Pilotprojekt hat Levi's in drei Läden, darunter einer in der Firmenzentrale in San Francisco, jedes Kleidungsstück mit RFID-Chips ausgestattet. Diese signalisieren Sensoren, was gerade wo liegt, wie oft Kunden sich dafür interessieren und wann etwas anprobiert wird. Intels Analyse-Software wertet die Daten in Echzeit aus und führt Levi's-Mitarbeitern jederzeit vor Augen, wo sich noch eine 501 in Größe 34x32 finden lässt, welche Modelle eher verschmäht werden und wovon schleunigst Nachschub bestellt werden sollte. Das System kann sogar sagen, ob Kleidung, die in die Ankleidekabine mitkommt, auch tatsächlich angezogen wird.

Das System weiß sogar, ob Kleidung in der Kabine auch anprobiert wird.

All dieses neue Wissen mache sich „direkt in der Bilanz bemerkbar“, erklärt Intel-Chef Brian Krzanich. Natürlich darf er nicht offenlegen, wieviel Levi's spart, weil Jeans, die keiner will, nicht länger auf Lager liegen müssen — und wieviel die Firma umgekehrt an Umsatz zulegt, wenn Bestseller seltener vergriffen sind. Doch das Potenzial für Wachstum sei enorm: „Wir stehen am Anfang eines neuen Zeitalters, in dem die Welt schlau und vernetzt sein wird“, sagt Krzanich. „Häuser und Läden, Fabriken und Bauernhöfe bekommen dadurch das Potenzial, mitzudenken, zu verstehen, zu interagieren und auf unsere Bedürfnisse einzugehen.“

Es ist Mittwochmorgen, als der Intel-Chef seine kleine Ansprache hält, eine Begrüßungsrede für Journalisten und Analysten, die in San Francisco zusammengekommen sind, um zu hören, wie der einstige Dominator der Prozessorwelt wieder Anschluss finden will an die Zukunft. Denn Intel, einer der Pioniere der PC-Revolution, hat ein großes Problem: Seit Rechenpower nicht mehr gleichbedeutend ist mit grauen Kisten, die auf Schreibtischen stehen, seit wir lieber zum Smartphone greifen, wenn wir bei Facebook oder YouTube vorbeischauen wollen, seitdem tritt der Konzern auf der Stelle. In den meisten Mobilgeräten stecken Chips, die einem anderen Designprinzip folgen: nicht maximale Leistung um jeden Preis, wie bei Intels x86-Prozessoren üblich, sondern ordentliche Leistung bei minimalem Energieverbrauch und so billig wie möglich.

Während Konkurrenten wie Qualcomm und Samsung, die sich frühzeitig auf diese sogenannte ARM-Architektur spezialisiert haben, vom Mobil-Boom profitieren, kämpft Intel mit schrumpfenden Einnahmen und schlechten Aussichten für sein Kerngeschäft: In den nächsten drei Jahren, erwartet der Marktforscher Gartner, werden die weltweiten PC-Verkäufe konstant unter den 314 Millionen verkauften Geräten von 2014 bleiben.

All die Sensoren, Router, Prozessoren und Gateways müssen winzig sein und hart im Nehmen.

Um so entschiedener setzt Intel nun auf das Internet der Dinge (englisch: Internet of Things, IoT). Gleich mehrfach betonen Topmanager am Mittwoch bei ihren Präsentationen, dass ihr Unternehmen inzwischen aufgeholt habe und keinesfalls „das nächste große Ding verpassen“ wolle. Dass die Vernetzung der Welt ein gigantisches Geschäft zu werden verspricht, ist unbestritten: Studien rechnen mit mindestens 20 Milliarden Geräten, die bis 2020 Anschluss ans Internet finden — manche, wie der Netzwerkspezialist Cisco, erwarten (nicht ganz uneigennützig) sogar bis zu 50 Milliarden. All diese Sensoren, Prozessoren, Router und Gateways müssen winzig sein und hart im Nehmen, sollen bei Minusgraden genauso funktionieren wie im Hochsommer, nicht zuviel Energie verschlingen und gut geschützt sein vor möglichen Hacker-Angriffen.

Komplex ist sie, diese neue Welt, und darin sieht Intel seine Chance: Statt sich wie früher darauf zu beschränken, Bauteile zu produzieren, wollen die Kalifornier Komplettlösungen anbieten. Eine neue Serie von Quark-Chips — speziell entwickelt für das Internet der Dinge — besitzt die Fähigkeit, in Sensordaten Abweichungen vom Normalzustand zu erkennen. So müssen Geräte nicht immerzu blind Daten weiterreichen, sondern können gezielt Bescheid sagen, wenn sich etwas ändert. Das Zusammenspiel zahlreicher Geräte und diverser Sensoren will Intel mit der hauseigenen IoT-Plattform erleichtern. Partner wie Bosch, SAP, Hitachi und General Electric sollen ein ganzes Ökosystem schaffen, in dem alles zusammenpasst. Dank solcher Kooperationen, verspricht Intel-Chef Krzanich, „können unsere Kunden IoT-Lösungen weit schneller, weit einfacher implementieren“ als bisher möglich.

Intel Inside — das soll nicht wie von gestern klingen.

Wie das aussehen kann, zeigt das Beispiel „Connected Worker“: Gemeinsam mit dem Industriekonzern Honeywell hat Intel ein Wearable entwickelt, das Arbeitern, die von Berufs wegen Risiken eingehen müssen, dabei helfen soll, Gefahren zu minimieren. Bei einem Feuerwehreinsatz etwa können die Geräte messen, wie hoch der CO2-Anteil in der Luft ist, ob die Feuerbekämpfer normal atmen, wie ihr Puls schlägt und wo jeder Einzelne gerade ist. All diese Informationen laufen bei der Cloud-Software ein, die Intels Tochter Wind River entwickelt hat, damit Einsatzleiter in Echtzeit den Überblick behalten und Entscheidungen fällen können, die womöglich Leben retten. „Die gesamte Lösung wurde in nicht mal zwei Wochen entwickelt und einsatzbereit gemacht“, erklärt Diane Bryant, Intels Vizepräsidentin für Datencenter.

Für Bastler mit IoT-Ideen strotzen, die auch gern mitmischen würden, bereitet Intel derweil den Genuino 101-Bausatz vor: eine Platine mit energiesparendem Curie-Prozessor, Quark-Chip, Beschleunigungsmesser und eingebautem Bluetooth, die Anfang nächsten Jahres für 27 Euro auch in Deutschland erhältlich sein soll. Insgesamt plant Intel, den Bausatz in 166 Ländern auf den Markt zu bringen, nicht zuletzt mit Blick auf Schulklassen, in denen aufstrebende IoT-Entwickler sitzen könnten. Schließlich soll der Werbespruch „Intel Inside“ in der Welt von übermorgen nicht wie von gestern wirken. 

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