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So will die Video-App Musical.ly die sozialen Medien erobern

von Biz Carson
Mithilfe bekannter Popstars will die Musikvideo-App Musical.ly den Social-Media-Riesen Instagram, Facebook und Snapchat an den Kragen. Doch wer steckt hinter dem Hype und wie stehen die Erfolgschancen?

Wer nicht mit einem Teenager zusammenlebt, hat wahrscheinlich noch nie von Musical.ly gehört. Wer mit einem Teenager zusammenlebt, kann diesen mit hoher Wahrscheinlichkeit in der App in einem Musikvideo bestaunen.

Die DIY-Musikvideo-App gibt es seit 2014. Im letzten Sommer schnellte sie plötzlich an die Spitze der App-Store-Charts und ist seitdem nicht mehr unter Platz 40 gesunken, sondern konkurriert mit Snapchat und Instagram um Spitzenplätze.

Um was geht es? In den fünfzehnsekündigen Videos auf Musical.ly tanzen meistens Leute, oder bewegen ihre Lippen zu Top-Hits. Die meisten haben sich selbst aufgenommen und sind vor allem lustig. Aber es gibt auch Stars, die durch die App ihre eigene Musikkarriere gestartet haben. Etablierte Musiker wie der R'n'B-Künstler Jason DeRulo verpflichten sich neuerdings, Musical.ly für ihre Videopremieren zu nutzen. Das kommt einem Sieg der App über YouTube nahe.

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Gründer glaubt, Musical.ly ist das Netzwerk der Zukunft
Zehn Millionen Menschen nutzen die App täglich. Genau so groß ist die Anzahl der an einem einzigen Tag produzierten Videos. Laut Mitgründer und Mitgeschäftsführer Alex Zhu hat Musical.ly 70 Millionen registrierte Nutzer.

Auch wenn es die Musikvideos sind, die die User anziehen, seien sie nicht der Grund, wieso sie der App treu bleiben, sagt Zhu. Er glaubt, Musical.ly ist das Soziale Netzwerk der Zukunft: „Es geht nicht mehr allein um Musikvideos. Es ist eine Community. Die Leute nutzen die App, um mit den anderen Mitgliedern in Kontakt zu bleiben.“

Vorgänger-App war eine Fehlplanung
Die Idee zur Musikvideo-App entstand aus Verzweiflung. Geplant war eine Bildungs-App. Ursprünglich plante Zhu eine App mit Online-Weiterbildungskursen. Die Idee hatte er in seiner Zeit als Projektmanager beim Software-Giganten SAP, wo er als „Education-Futurist“ arbeitete und Bildungstrends erforschte. Er hielt MOOCs (Massive Open Online Courses), kostenlose Onlinekurse auf hohem Bildungsniveau, für großartig. Allerdings schloss sie niemand je ab.

2014 wollte er ein bahnbrechendes Projekt starten: Bildungsvideos im Kurzformat. Zhu und sein Kompagnon Louis Yang sammelten 250.000 Dollar (223.714 Euro) von Risikokapital-Anlegern ein und bauten innerhalb von sechs Monaten eine App, die sie Cicada nannten. In kurzen Videos erklärten Experten etwa Algebra oder die Technik von Autos.

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Aber es hat einen Grund, dass ihr von dieser App noch nie gehört habt: „Als wir die App veröffentlichten wurde uns klar, dass sie niemals Erfolg haben wird. Sie war zum Scheitern verurteilt“, so Zhu.

Sein Team hatte nicht bemerkt, dass die Erstellung der Videos zu lange dauerte. Die Experten hatten Schwierigkeiten, ihre Themen in nur drei Minuten darzustellen. Die App war letzten Endes einfach nicht unterhaltsam. Die Zielgruppe, Teenager, interessierte sich nicht dafür. An diesem Punkt waren nur noch acht Prozent des Startkapitals übrig. Die Gründer wollten aber nicht aufgeben und suchten nach einer neuen Idee.

Die Herausforderung ist, die Nutzer zu binden
Heute ist Musical.ly weit davon entfernt, eine Bildungs-App zu sein. 15 Sekunden reichen aus, um eine Geschichte zu erzählen und jemanden zum Lachen zu bringen. Sei es ein Junge, der im Rhythmus eines Songs auf seinen Brustkorb trommelt, Gymnastikvorführungen zu Musik oder Leuten, die witzige Liedtexte selbst interpretieren – es ist unterhaltsam.

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Eine Gruppe übermütiger Teenager im Zug nach Mountain View, Kalifornien, brachte Zhu auf die Idee. Die Hälfte von ihnen hörte Musik, während die andere Hälfte Selfies oder Videos machte und diese dann mit ihren Freunden teilte. Zhu wurde klar, dass er Musik, Videos und ein Soziales Netzwerk miteinander kombinieren konnte, um seine junge Zielgruppe anzusprechen.

Innerhalb von 30 Tagen programmierte das Team die App und Musical.ly ging im July 2014 auf den Markt. Der Erfolg war durchschlagend. Die App wurde etwa 500 Mal am Tag heruntergeladen. Aber was noch wichtiger war: Die User kamen wieder. „User sind leicht zu gewinnen, aber schwer zu halten“, erklärt Zhu. In den nächsten zehn Monaten wuchs die Zahl der User weiter an. Aber der Zuwachs war zu langsam, um die Firma zu retten.

„Wir wurden nervös. Was sollten wir tun? Wir hatten kaum noch Geld übrig“, erinnert sich Zhu. „Manchmal ist schneller Misserfolg, wie bei der Bildungs-App, gut, weil man sich früh auf andere Ideen verlegen kann. Aber dieses langsame Wachstum ist schlecht. Du weißt nicht, ob der Erfolg sich noch einstellen wird und hast viel Zeit investiert.“

Im April 2015 veränderte die Firma das Design der App leicht. Unter anderem positionierten sie das Firmenlogo neu, damit es auch zu sehen war, wenn die Videos auf Instagram und Twitter geteilt wurden.

Dann explodierten die Userzahlen:

Zwei Monate später, am 6. Juli, war die App auf Position eins bei iTunes. „Im Rückblick war das langsame Wachstum in der Anfangsphase gut für uns. Wir hatten dadurch Zeit, das Produkt marktreif zu machen, jedes Feature auf eine Community auszurichten“, meint Zhu, „Bei sehr schnellem Wachstum hätte die App ein kurzlebiger Hype werden können.“

Die Investoren sind optimistisch
In Zhus Augen ist Musical.ly nicht einfach noch eine Video-App, die das gleiche Schicksal ereilen könnte wie Vine oder Dubsmash. Er und sein Team sind davon überzeugt, gerade das nächste große Soziale Netzwerk zu erschaffen.

Anstelle von Freunden oder Followern gibt es bei Musical.ly BFFs, also „Best Fans Forever“. Mit ihren BFFs können Musical.ly-User (oder „Muser“) zum Beispiel ein Duett singen. Dabei nehmen zwei Leute getrennt voneinander Videos zu dem gleichen Song auf und die App verbindet sie. Genau so funktioniert auch das neue Q&A-Feature. Jemand stellt einem Muser per Video eine Frage und dieser kann mit einem eigenen Video antworten. Musical.ly verschmilzt dann die beiden Videos.

„Besonders im Social-Media Bereich muss man etwas radikal Neues auf den Markt bringen, um eine Chance zu haben,“ sagt Zhu. Viele Änderungen entstehen nicht durch Geistesblitze von ihm, sondern durch den Ideenreichtum der User. Musical.ly hat gigantische Chatgruppen auf Messengern und WhatsApp, in denen sie nach Vorschlägen der Mitglieder aus den USA, Brasilien oder den Philippinen fragen.

​Musical.ly ist auch eine der wenigen chinesischen Apps, die ein Hit in den USA wurden. Der Großteil der Ingenieure sitzt in Shanghai. Nur eine Handvoll arbeitet in San Francisco. „Es ist die erste Firma mit Sitz in China, die in den USA erfolgreich ist,“ sagt Greylock-Investor Josh Elman. „Endlich sehen wir talentierte Leute, die in dieser Welt leben, darüber hinauswachsen und Produkte in den USA herstellen.“

Bisher hat die Firma 16,4 Millionen Dollar (rund 14,7 Millionen Euro) von Investoren wie Greylock und GGV gesammelt. Gerüchten zufolge sollen sie bald weitere 100 Millionen Dollar (89.497.500 Euro) erhalten. Die Investoren sind optimistisch, obwohl die Firma noch keinen Umsatz erwirtschaftet hat.

„Das hier könnte sogar das neue MTV werden“, sagt Elman. „Ich glaube, es wird die Unterhaltungsplattform für eine ganze Generation.“

Deutsches Zwillingspaar hat 2,8 Millionen Follower
Das Musical.ly-Team beobachtet nun eine ganze Generation von Muser Stars bei deren Aufstieg. Ein 13-jähriges, eineiiges Zwillingspaar aus Deutschland, Lisa und Lena, hat schon mehr als 2,8 Millionen Follower auf Musical.ly. Die Mädchen haben ihr eigenes Modelabel und ihr Instagram-Account wächst schneller als die meisten anderen in Europa. (Auf Instagram haben sie schon 1,8 Millionen Follower). Und Baby Ariel, ein 13-jähriger Jugendlicher, der Social Media nie zuvor genutzt hat, ist derzeit der bekannteste Star der App.

Musical.ly erhält immer mehr Anfragen aus der traditionellen Musikindustrie. Dem Geschäftsführer für Nordamerika, Alex Hoffman, zufolge, gibt es bereits einige Verträge mit großen Labels. Das Unternehmen hat viel Energie in die Zusammenarbeit gesteckt, weil es nicht den Fehler anderer Startups wiederholen will, die die komplizierten Regeln für Musiklizenzen ignorieren. Ein Drittanbieter liefert beispielsweise die Musik und achtet darauf, dass alles legal zugeht.

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Dank seiner musikfreundlichen Haltung wird Musical.ly bereits von einigen Stars genutzt. Musical.ly-User nahmen an einem einzigen Tag mehr als 164.000 Videos auf, in denen sie die Lippen zu Lukas Graham's neuem Song bewegten. Selena Gomez promoted gerade ihren neuen Titel „Kill Em with Kindness“ mit einem Wettbewerb. Musical.ly verlinkt iTunes, sodass die Leute wissen, wo sie den Song kaufen können.

Trotz der wertvollen Kooperation mit der Musikindustrie sieht Zhu Musical.lys Aufstieg und Machterhalt noch nicht als gesichert. Es ist schwer, ein soziales Netzwerk oder die neue Generation von MTV aufzubauen, während Riesen wie Snapchat, Instagram, und Facebook den Markt dominieren. Im Juni wird Musical.ly die Großen aufs Neue herausfordern, denn dann wird Live.Ly auf den Markt gebracht. Dabei handelt es sich um ein Konkurrenzprodukt zur Livestreaming-App Periscope.

Zhus Ansicht nach muss seine Firma noch mehr Druck machen. „Wir haben ständig Angst, weil du nie sicher bist. Selbst wenn du zehn Millionen User hast, musst du sie immer weiter bei Laune halten.“ sagt er. „Ich glaube, es ist besser für uns, immer Angst zu haben, als uns zufrieden zurückzulehnen, weil wir ein erfolgreiches Produkt haben.“

Dieser Text ist zuerst bei Business Insider Deutschland erschienen. Hier könnt ihr Business Insider auf Twitter folgen. 

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