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Risiko Gig Economy: Warum die Online-Arbeit vielen schadet

von Rowland Manthorpe
Klingt erstmal gut: Online zu arbeiten ermöglicht es Menschen in Gegenden, wo es an traditionellen Stellenangeboten mangelt, Geld zu verdienen. Doch es gibt einen Haken: Die sogenannte Gig Economy wird überschwemmt von zu vielen Arbeitswilligen. Das drückt laut einer neuen Studie auf die Löhne und höhlt Arbeitnehmerrechte aus.

Die Gig Economy wird zu einem weltweiten Phänomen. Klassische Beschäftigungsverhältnisse werden durch flexiblere Formen ersetzt. Gig-Jobber sind Freiberufler, die flexibel sind in ihrer Wahl von Arbeitgeber, Arbeitszeit und Arbeitsplatz. Über Internetplattformen wird zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer vermittelt, dabei gibt es Services wie Uber, die Fahrdienste vermitteln, Essenslieferanten wie Foodora, aber auch Freelancer-Plattformen, die Verfasser für Werbetexte vermitteln.

Der Begriff der Gig Economy greift das auf, was es im Musikbusiness schon lange gibt. Dort geben Künstler oft kleine Konzerte ohne längerfristige Verpflichtungen, Gigs eben. Sie bleiben unabhängig, müssen sich aber um jeden Auftritt neu bemühen.

Eine aktuelle Studie des Oxford Internet Institute zeigt, dass die Verbreitung von Gig-Arbeitsverhältnissen zwar Vorteile mit sich bringt, vor allem aber auch Gefahren für den Einzelnen. Überstunden, Diskriminierung und mangelnde soziale Kontakte gehören dazu. Die Studie wurde über einen Zeitraum von drei Jahren durchgeführt. Das Ergebnis gibt Einblick, wie das Wachstum des Internets den Charakter von Arbeit verändert hat. Gig Worker können im Prinzip überall auf der Welt arbeiten: in Nairobi übersetzen, in Vietnam transkribieren, auf den Philippinen SEO-texten.

Befürworter sehen in dieser „virtuellen Migration“ deutliche Vorteile, besonders in Schwellenländern. Wenn jeder von jedem Ort aus arbeiten kann, können Jobs auch in den Weltregionen entstehen, in denen Jobangebote sonst rar sind. Allerdings vermitteln die Ergebnisse aus 125 Interviews und einer Online-Umfrage unter 456 Arbeitern aus der Sub-Sahara-Region in Afrika und aus Südost-Asien ein deutlich komplexeres Bild. Verantwortlich dafür sind die globalen digitalen Plattformen.

Gig-Arbeiter fühlen sich wie kleine Einzelteilchen

Mark Graham, Oxford Internet Institute

Sie machen Gig-Arbeit zu einer anderen Art von Arbeit als herkömmliches Outsourcing und haben das Konzept des Business Process Outsourcing (BPO) abgeschafft. BPO bezeichnet die Auslagerung von Geschäftsprozessen an externe Dienstleister, beispielsweise im Finanz- und Rechnungswesen oder in der IT. Innerhalb des Gig-Economy-Prinzips können Unternehmen über Plattformen wie Twago, Upwork oder Freelance Arbeiter auf der ganzen Welt beauftragen.

Solche Plattformen können eine wichtige Einkommensquelle für die Auftragnehmer sein: 68 Prozent der Studien-Teilnehmer bestätigten, dass die Gig Economy einen signifikanten Teil ihres Einkommens ausmacht. Die Funktionsweise der Plattformen trägt jedoch dazu bei, dass Arbeiter zunehmend isoliert sind, ob sozial oder in Bezug auf Arbeitnehmerrechte und Arbeitsschutz.

Viele der Gig-Arbeiter haben keine andere Wahl als von zu Hause aus zu arbeiten. Das nährt das Gefühl, nicht dazuzugehören: 74 Prozent sagten in der Studie, dass sie „selten oder nie“ direkt mit anderen kommunizieren, die die Plattformen nutzen. 94 Prozent gaben an, nicht Mitglied einer Gewerkschaft oder eines Arbeitervereins zu sein.

Viele in den Randregionen der Welt fühlen sich diskriminiert – manchmal unterschwellig, manchmal offensichtlich

Studie des Oxford Internet Institute

„Momentan fühlen sich viele Arbeiter wie kleine Einzelteilchen“, sagt Mark Graham, Professor für Internet Geography am Oxford Internet Institute und Hauptautor der Studie. Das sei bewusst so angelegt: „Ihnen soll das Gefühl vermittelt werden, dass viele andere Jobwillige von überall her ihre Arbeit übernehmen könnten, sollten sie die Bedingungen nicht akzeptieren.“

Eine Folge der isolierten Situation einzelner Arbeitnehmer ist Diskriminierung. „Grundsätzlich sind die Jobplattformen offen für alle Qualifizierten, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder anderen Merkmalen“, schreiben die Forscher. „In der Praxis fühlen sich viele in den Randregionen der Welt aufgrund ihrer Herkunft dennoch diskriminiert – manchmal unterschwellig, manchmal offensichtlich.“

Die Analyse von anonymen Daten, die eine der großen Plattformen zur Verfügung stellte – 61.447 durchgeführte Projekte eines Monats – ergab eine „statistische Diskriminierung“: Auftraggeber (zumeist aus wohlhabenden Ländern) unterstellten Arbeitern (die meist aus einkommensschwächeren Ländern kommen), dass sie weniger hochwertige Arbeit verrichten als solche aus reicheren Ländern.

Alle diese Arbeitsvermittlungs-Plattformen haben ein Feedback-System, das Arbeitsergebnisse bewertet. Doch was auf den ersten Blick wie eine Garantie dafür wirkt, gute Arbeit lohnend zu machen, wird in der Realität ausgehöhlt: Gut bewertete Gig-Arbeiter nutzen ihren Platz in der Hierarchie und engagieren ihrerseits Jobsuchende, die dann die Arbeit übernehmen.

Die Forscher nennen als Beispiel die Geschichte der 26-jährigen Malaysierin Maya. Sie studiert in einem Master-Studiengang und hat dort den Schwerpunkt aufs Schreiben gelegt. „Sie hat sich für einen SEO-Auftrag beworben und einen Preis von 25 Dollar statt der empfohlenen 50 Dollar vorgeschlagen. Den Auftrag hat jedoch jemand anders bekommen, obwohl er 75 Dollar verlangte – er hatte ein besseres Feedback-Rating. Er bot wiederum Maja an, sie könne den Job für 7,50 Dollar machen, ein Beitrag unterhalb ihres Mindestlohns.“ Maya fühlte sich ungerecht behandelt, sah sich letztlich aber gezwungen, den Job anzunehmen. Die Situation ließ ihr keine Wahl.

Was diese Art von Zwischenhandel möglich macht, ist das Überangebot an potenziellen Arbeitnehmern. Die Forscher fanden bei nur einer Plattform 1.576.600 Jobwillige, für die es nicht unmittelbar etwas zu tun gab. Kurz gesagt: Es gibt mehr Arbeiter als Aufträge, und Studienleiter Graham geht davon aus, dass sich die Situation noch verschlimmert.

Was, wenn weitere Milliarden Menschen online gehen?

Mark Graham, Oxford Internet Institute

„Meine größte Sorge gilt dem Moment, wenn weitere Milliarden Menschen online gehen“, sagt Graham im Gespräch mit WIRED. „Die meisten von ihnen werden aus Niedriglohnländern kommen, und viele werden nach Online-Arbeit suchen. Sollte das Angebot an solchen Jobs nicht massiv ausgebaut werden, werden wir einen riesengroßen Überhang an Menschen haben, die wollen, aber nicht können. Das wird sich negativ auf das Lohnniveau auswirken.“

Was können Regierungen, Plattformen, Arbeitnehmer und Konsumenten tun, um digitale Arbeit fairer zu gestalten? Die Forscher schlagen eine Reihe von Lösungen vor. Eine ist der Datenaustausch der Plattformen untereinander, damit Auftragnehmer einfacher zwischen den einzelnen Anbietern hin- und herwechseln können. Zudem fordern die Forscher bessere Regulierung des Marktes durch Regierungen, um Monopolstellungen einzelner Gig-Economy-Profiteure zu unterbinden. Auch wäre eine Organisation sinnvoll, die analog zur Fairtrade Foundation „Fairwork Foundation“ heißen und für faire Bedingungen sorgen könnte.

„Fairtrade hat gezeigt, dass es gelingen kann, Menschen für die Arbeitsbedingungen zu sensibilisieren, unter denen ihr Kaffee oder ihre Schokolade produziert werden“, sagt Graham. „Es gibt keinen Grund, warum man dieses Model nicht übernehmen sollte.“

WIRED.uk

Dieser Artikel erschien zuerst bei WIRED.uk
Das Original lest ihr hier.

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