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„Europa wird kein zweites Silicon Valley“ – Der European Startup Monitor 2016

von Katharina Nickel
Der Bundesverband Deutsche Startups hat die zweite Ausgabe des European Startup Monitors präsentiert. Auf Grundlage der Ergebnisse fordern die Studienmacher: Der Austausch zwischen Politik, Startups und etablierten Unternehmen müsse gefördert und die Kultur des Scheiterns gesellschaftlich verankert werden. 

Die europäische Startup-Szene ist vielfältig. Der Bundesverband Deutsche Startups e.V. hat deshalb 2015 seinen ersten European Startup Monitor (ESM) entwickelt, eine qualitative Studie, die einen Überblick über das europäische Startup-Ökosystem schafft. Am Dienstag wurden nun die Ergebnisse des ESM 2016 in der Telefónica Digital Lounge in Berlin vorgestellt.

Das Telekommunikationsunternehmen Telefónica förderte das Projekt gemeinsam mit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG und anderen Netzwerkpartnern aus dem wirtschaftlichen und akademischen Umfeld. An der Entwicklung des ESM war auch das European Startup Network beteiligt, eine Gemeinschaft von Startup-Verbänden in Europa, die erst im September dieses Jahres gegründet worden war.


Für den diesjährigen ESM wurden 2515 Startups aus 18 europäischen Ländern befragt, darunter 6340 Gründerinnen und fast 24.000 Startup-Mitarbeiter. Die Ergebnisse zeigen: Gegründet wird nicht gern allein, sondern in Teams von zwei oder mehr Gründern. Im Durchschnitt sind die Unternehmen 2,4 Jahre alt und haben bisher zusammen rund zwei Milliarden Euro Fremdkapital einwerben können. Allein 89,5 Prozent der beteiligten Startups stufen ihr Produkt als Marktneuheit ein, mit der sie nicht nur die digitale Gesellschaft vorantreiben, sondern auch Arbeitsplätze hervorbringen: Laut der Studie schafft ein Gründer im Schnitt zwölf Arbeitsplätze.

Ihre größten Herausforderungen sehen die ESM-Startups in den Bereichen Vertrieb, Kundenakquise, Produktentwicklung und Wachstum. Um diese zu meistern, müsse für den europäischen Binnenmarkt im Bereich der Startups Internationalisierung von Seiten der Gesetzgebung ermöglicht werden – so die Studienmacher. „Besonders bürokratische Hürden gilt es abzubauen“, sagte Prof. Dr. Tobias Kollmann, Wissenschaftlicher Leiter des ESM und Professor für E-Business und E-Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen. „Daneben geht es um Steuerreduktion bzw. Steuervergünstigungen für Startups und eine bessere finanzielle, sachliche und psychologische Unterstützung.“

„Europa ist für Startups keine Kann-Option, sondern eine Muss-Pflicht“

Prof. Dr. Tobias Kollmann

Internationalisierung gilt als ein Muss für das Wachstum von Startups. Die ESM-Startups generieren durchschnittlich 30,9 Prozent ihres Umsatzes im europäischen Ausland. „Europa ist für Startups keine Kann-Option, sondern eine Muss-Pflicht“, sagte Kollmann. Im Vergleich steht Deutschland hier nicht gut da. Während hierzulande die Kapitalausstattung wächst, besteht ein sehr geringer Drang nach der Erschließung ausländischer Märkte. Andere europäische Gründer sehen in der Internationalisierung jedoch einen Lösungsansatz zur Gewinnung neuer Kunden, für den Kooperationen mit etablierten Wirtschaftsunternehmen eingegangen werden.

Die Zahlen der Studien bestätigen diesen Zusammenhang: Während 2015 noch 23 Prozent der Startups ausschließlich im B2C-Segment, also in direkter Beziehung mit ihren Endkonsumenten arbeiteten, sind es 2016 nur noch 4,6 Prozent. Die meisten europäischen Gründer setzen heute auf B2B-Strategien, also Beziehungen mit anderen Unternehmen, 26 Prozent arbeiten ausschließlich in diesem Umfeld.

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Und das aus gutem Grund: Etablierte Industriebetriebe bieten ihnen einen Zugang zu großen Datensätzen, gefestigten Unternehmensstrukturen und wirtschaftlichem Know-how. Im Gegenzug hat die Industrie Anteil an den digitalen Innovationen der Startups, die sie selbst nicht leisten kann. „Es gibt keine digitale DNA in der klassischen Industrie“, so Kollmann. Er fordert deshalb eine größere Offenheit der etablierten Wirtschaftsunternehmen gegenüber den Startups. Letztlich bestehe ein größeres Risiko für die Industrie, die Zusammenarbeit nicht einzugehen.

„Europa wird kein zweites Silicon Valley“, verkündete der Wirtschaftsprofessor. Dafür sorge allein die Einstellung der europäischen Startups, die von Kooperation und Weiterentwicklung geprägt sei, während man in Kalifornien auf Verdrängung setze. Eher seien viele kleine Valleys denkbar, denn auch die etablierte Mittelstandsindustrie sei in Europa großflächig verteilt. „Die B2B-Strategie kann der neue und vor allem eigene europäische Weg zum Erfolg werden.“ Ein lokales Mono-Territorium werde es deshalb seiner Meinung nach nicht geben.

Berlins Startup-Szene wächst derweil beträchtlich. Zu diesem Ergebnis kam auch eine Studie von McKinsey im Jahr 2015. Der ESM legt jedoch eine differenziertere Ausgangslage zu Grunde: „Berlin ist mittlerweile auf Augenhöhe mit London. Besonders die Venture-Capital-Finanzierung ist in der deutschen Hauptstadt besonders groß”, so Kollmann. „London ist jedoch weiterhin ein Vorzeigemodell und vor allem ein ausgereifteres.“ Auf die Auswirkungen des Brexit auf diesen Umstand geht die Studie nicht ein. 

Es gilt, die Kultur des Scheiterns als Qualitätsmerkmal verankern

Prof. Dr. Tobias Kollmann

Die Gründer-Quote in Europa ist im internationalen Vergleich nach wie vor unterdurchschnittlich. Das bestätigte bereits der Global Entrepreneurship Monitor. „Für einen Unternehmergeist nach amerikanischem Vorbild ist es von Nöten, in Schulen und Hochschulen durch Unterrichtseinheiten und Seminare für das Thema zu begeistern“, sagte Kollmann. „Daneben gilt es die Kultur des Scheiterns als Qualitätsmerkmal von Lebensläufen stärker in unserer Gesellschaft zu verankern. Das würde auch das Image von Gründern fördern – weg vom Ausbeuter und hin zum Erschaffer von Arbeitsplätzen.“

Erst am Montag kündigte die Deutsche Börse ein neues Börsensegment an. Es soll kleinen Unternehmen den Zugang erleichtern, indem es sie mit Investoren zusammenbringt und damit eine Wachstumsfinanzierung ermöglicht. „Seit jeher ist es eine Forderung unseres Verbandes, diesen Finanzierungskreislauf zu schließen“, sagte der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutsche Startups, Florian Nöll. „Wir werden in Zukunft mehr Exits und Börsengänge sehen.“ Kollmann wiederum sieht darin die Chance für ein entsprechendes Segment für ganz Europa.

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