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Die App ist der Chef: Ein Foodora-Fahrer erzählt von seinem Arbeitsalltag

von Gründerszene
Fahrradkuriere bevölkern die deutschen Städte und liefern in pinken Boxen Essen aus. Sind ihre Arbeitsbedingungen wirklich so schlecht, wie behauptet wird? Ein Foodora-Fahrer hat Gründerszene erzählt, wie sein Arbeitsalltag aussieht.

Sie gehören mittlerweile zum Berliner Stadtbild: Fahrradfahrer mit den pinken Boxen und ihre Konkurrenz, die einen Rucksack mit grünem Känguru auf dem Rücken trägt. Die beiden Startups Foodora und Deliveroo liefern Essen von Restaurants aus, die früher ihre Gerichte nicht ausgefahren haben. An manchem Sonntag stehen die Fahrradkurriere vor den Burger-Läden in Prenzlauer Berg und Friedrichshain Schlange. Insgesamt mehr als 1.000 Fahrer in 14 deutschen Städten liefern Gerichte für Foodora aus.

Es ist eine Armee von Kurieren, die erst einmal nicht mehr brauchen als Smartphone und Fahrrad. Was treibt diese Fahrer um? In den vergangenen Wochen berichteten mehrere Medien über die schlechten Arbeitsbedingungen bei den Lieferstartups. Doch ist es wirklich so schlimm?

Drei Monate lang hat Alex, der anonym bleiben will, für Foodora Essen ausgeliefert. Seit er den Job wieder aufgegeben hat, sind ein paar Monate vergangen. Trotzdem zeichnet er ein gutes Bild von seinem Alltag als Kurier.

Alex, was ist dir durch den Kopf gegangen, als du mit einer pinken Box durch Berlin geradelt bist?
Ich habe ständig durchgerechnet, ob Foodora mit mir einen Gewinn oder Verlust macht. (lacht)

Und?
Meistens war es ein Verlust. Ich habe neun Euro pro Stunde verdient und höchstens drei Bestellungen ausgeliefert. Und das kam selten vor. Es gab sehr viele Stunden, in denen ich gar keine Bestellungen hatte. Foodora bekommt 2,50 Euro Liefergebühr von den Kunden und etwa 30 Prozent vom Umsatz. Immer wenn ich das für eine Schicht durchgerechnet habe, hat Foodora mit mir einen Verlust gemacht. Ich habe mich auch gefragt, warum manche Schichten so busy und chaotisch waren – und andere nicht.

Marketing, das nicht sonderlich nachhaltig scheint

Was was deine Erklärung?
Ich bin darauf gekommen, dass immer, wenn Foodora in einer Gegend Gutscheine verteilt hat – in den Briefkästen oder an Haltestellen –, es dann richtig losging mit den Bestellungen. Und ein paar Tage danach wurde es wieder weniger. Alle waren heiß auf den 8-Euro-Gutschein. Marketing, das nicht sonderlich nachhaltig scheint.

Durch deinen Job hast du ständig direktes Kundenfeedback bekommen. Glaubst du, das Modell von Foodora funktioniert langfristig?
In der Nische durchaus. Es gibt einen bestimmten Kundentyp, Mitte 30. Er hat es nicht unbedingt auf ein Gourmet-Essen abgesehen, aber es sollte ein bisschen cooler und hipper sein. Sonst hätte er ja bei Lieferando bestellt. Dieser Kunde will eine Pizza von einem spanischen Restaurant, die etwas anders ist, mit einer etwas anderen Zutat. Das Essen soll schnell kommen und mit einem Fahrrad, das passt zum Lifestyle. In Berliner Stadtteilen wie Prenzlauer Berg und Friedrichshain gibt es diese Zielgruppe. Aber ob es dann in Charlottenburg funktioniert, da bin ich mir nicht so sicher.

Wie sah dein Arbeitsalltag aus?
Fünf Minuten vor Schichtbeginn habe ich mir meine Fahrrad-Klamotten angezogen, hab mich in die App eingeloggt, das GPS angeschaltet und auf die erste Bestellung gewartet. Dann klingelt das Handy, es war ein furchtbares Geräusch, sehr, sehr laut. Ich habe es auch auf dem Fahrrad gehört. Man klickt in der App auf das Restaurant und bekommt eine Route auf Google Maps angezeigt. Ich habe immer nur den nächsten Schritt gesehen, erst zu welchem Restaurant ich muss und dann wo ich das Essen hinliefern soll.

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Die App war also dein Vorgesetzter?
Ja, ich hatte keine Ahnung von dem Gesamtablauf meiner Routen. Eigentlich ist das nicht schlimm, aber ich habe mich als Fahrer dadurch weniger geschätzt gefühlt. Mein Arbeitgeber hat meinen Fähigkeiten nicht getraut. Erst, wenn ich die aktuelle Bestellung abgehakt hatte, konnte ich nach dem Weg zum nächsten Restaurant oder Besteller schauen. Ich wusste also nie, wo ich als nächstes hinfahren muss – vielleicht ist es ja direkt das Haus daneben? Was übrigens oft vorkam. Oder muss ich gleich zwei Kilometer bergauf radeln? Das hat zusätzlich Zeit gekostet.

Was hast du als Kurier an den Berliner Wohnungstüren so erlebt?
Viele haben die Tür sofort hinter sich zugeschlagen, manche waren neugierig und haben mich ausgefragt. Einmal bin ich für eine Gruppe Kiffer aus dem 5. Stock extra zum Späti und habe noch eine Flasche Cola gekauft. Das fanden sie total witzig, haben gelacht und mir applaudiert. Trinkgeld gab es trotzdem nicht. Ein anderer Typ, Engländer, etwas älter, hatte so einen kleinen Paris-Hilton-Hund auf dem Arm und war richtig sauer, dass er auf sein Essen 40 oder 50 Minuten warten musste. Das war ein Sonntagabend und es war extrem viel los. Ich habe ihm gesagt, dass es nicht meine Schuld ist, ich die Bestellung bekommen und sofort ausgeliefert habe, und, dass es mir leid tut. Aber er hat einfach nicht zugehört.

Wir als Fahrer haben uns oft als Angestellte zweiter Klasse gefühlt

Ist das ein grundsätzliches Problem?
Das war machmal ein Teufelskreis: Als Fahrer will man ja Trinkgeld haben, aber die Leute wollen keins geben, wenn etwas schief geht. Auch, wenn es fast nie die Schuld des Fahrers ist. Oder sie sind total sauer, wenn etwas kalt ist oder zu spät kommt. Dabei ist der Fahrer nur der Ausführer. Die App sagt mir, wo ich Essen abholen und hinbringen soll. Im Headquarter haben sie uns immer gesagt: „Ihr seid das Gesicht von Foodora.“ Doch das konnte frustrierend sein, denn wir mussten immer den Ärger ausbaden.

War es komisch, so wenig menschlichen Kontakt zu haben, nicht in einem Team zu arbeiten?
Ein bisschen. Es ist immer schöner, sich als Teil eines Teams zu fühlen. Bei vielen Startups gibt es diesen Gründer-Mythos. Der heißt: Du musst an das Produkt glauben, damit du es verkaufen kannst, du musst die Vision toll finden. Alle Mitarbeiter bei Foodora in den Büros finden das sicherlich sehr toll und bestellen gerne über Foodora. Doch wir als Fahrer haben uns oft als Angestellte zweiter Klasse gefühlt, die sich fragen: Was bringt es mir, wenn der Kunde glücklich ist? Ich fahre sowieso nur in der Stadt herum. Höchstens das Trinkgeld bringt mich dazu, nett zu sein. Und du bekommst kein Feedback, ob du jetzt eine gute Schicht gemacht hast oder nicht. Ich mache normalerweise nichts in meinem Leben halbherzig, aber am Ende habe ich mich gefragt: Warum machst du das überhaupt?

Was hat dich genau gestört?
Die Kommunikation, wenn wir Probleme hatten, war unglaublich schlecht. Der Ton in den Rundmails herablassend. Oft gab es auf meine Mails mit Fragen erst sehr viel später eine Antwort. Die Foodora-Mitarbeiter waren überfordert.

[Anmerkung der Redaktion: Das Startup hat sich zu den Kritikpunkten aus dem ganzen Gespräch bereits öffentlich geäußert, die Reaktionen stehen unter dem Interview.]

Warum hast du bei Foodora angefangen?
Ich war mit dem Studium fertig und brauchte einen Job. Ein Kumpel von mir hat bei Foodora gearbeitet und sagte zu mir: „Das ist sehr einfach, die suchen immer Leute.“ Und tatsächlich ging es sehr schnell, ein paar Stunden nach meiner Online-Bewerbung haben sie angerufen und gefragt: „Hast du ein Smartphone und ein Fahrrad?“

Wie waren die Konditionen?
Ich hatte einen Vertrag über 22 Stunden, 850 Euro stand in dem Papier, mit Sozialversicherung. Das war mir wichtig und ist der große Unterschied zu den Bedingungen bei Deliveroo.

[Anm. d. Red.: Deliveroo hat sich zu den Arbeitskonditionen geäußert, das Statement steht am Ende des Textes.]

Bist du immer 22 Stunden pro Woche gefahren?
Nein, kein einziges Mal. Ich habe mich immer um mehr Schichten beworben, meistens 26 bis 30 Stunden, damit Foodora mir die volle Anzahl geben konnte. Viele Fahrer haben sich beschwert, weil sie nicht genügende Stunden bekommen haben. Auch für mich gab es keine Woche, in der ich auf die vollständige Anzahl an Stunden gekommen bin. Das heißt, ich habe immer weniger gearbeitet, als bei mir im Vertrag stand.

Trinkgeld gab es aber doch noch zusätzlich?
Das war sehr unterschiedlich. Während mancher Schichten habe ich zehn Euro insgesamt bekommen, manchmal gar nichts. Pro Person waren es immer zwischen ein und zwei Euro. Ich habe das Geld immer in einen Briefumschlag getan, das war mein Biergeld. Denn die Einnahmen waren unberechenbar. Die Leute mit den Gutscheinen waren immer ziemlich knauserig oder hatten eh nicht soviel Geld. Neuköllner geben am wenigsten Trinkgeld.

Konntest du denn von deinem Job leben?
Er hat meine Miete gezahlt und die Krankenversicherung. Und der Lohn war 50 Cent höher als der Mindestlohn. Ich hatte in der Lebenssituation keine andere Option.

Was hat Foodora über die Konkurrenz von Deliveroo gesagt?
Wie gesagt, die Konditionen dort sind schlechter. Ansonsten war es kein großes Thema. In der Präsentation bei unserer Einführung war einmal das Känguru von Deliveroo durchgestrichen. Alle haben gelacht. Außerdem stand dort, dass wir nicht die Tüten der Konkurrenz verwenden sollen, das macht einen schlechten Eindruck bei den Kunden. Dieser Punkt war wichtig, weil fast alle Restaurant mit beiden Startups zusammenarbeiten.

Du hast drei Monate für Foodora Essen ausgeliefert. Gab es Druck besonders schnell auszuliefern?
Nein. Und das hat mich selbst sehr überrascht. Wichtig war, dass wir sorgfältig liefern und alles präsentabel aussieht. Die Schnelligkeit war egal. Auch wenn Foodora unsere Geschwindigkeit gemessen hat, wurde ich nie bestraft, wenn ich etwas langsamer gefahren bin.

Und die anderen Kollegen – haben die von einen Druck erzählt?
Nein, keiner von ihnen. Ich bin ja am Ende auch extra langsamer gefahren. Und für Foodora ist das auch nicht schlimm, sie glauben an den Algorithmus, der alles ausrechnen und planen kann. Ich habe dadurch kürzere Strecken bekommen und insgesamt haben die genug Fahrer.

Das musst du erklären…
Am Anfang bin ich besonders schnell gefahren. Bis zu 20 Stundenkilometer im Durchschnitt. Und die App hat mir daraufhin die sehr langen Strecken zugewiesen. Als ich das erkannt habe, wurde ich zum nettesten Fahrradfahrer der Welt: Ich habe alle Leute vorgelassen, an jeder Ampel gewartet. Mein Ziel war es, die Geschwindigkeit immer unter 10 Stundenkilometer zu halten, weil ich dann viel kürzere Strecken bekommen habe, das war nicht so anstrengend und brachte mehr Trinkgeld.

Wie Busfahrer haben wir uns manchmal auf der Straße gegrüßt

Wie war der Umgang mit den Restaurants?
Ich fand es immer sehr interessant, wie die verschiedenen Restaurants die Fahrer behandelt haben. Ein veganes Restaurant in Kreuzberg war immer total nett zu mir, sie haben mir einen Tee gemacht, auch wenn ich keine Bestellung hatte. Aber andere Restaurants wollten, dass ich zügig gehe. Es sollten keine Lieferanten im Restaurant rumsitzen. Das fand ich nicht so nett. Eine Sache hat mich immer genervt: Ich musste Gerichte liefern, die man unmöglich liefern kann. Zum Beispiel Suppen oder Mangolassi. Dafür sind die Berliner Straßen einfach zu kaputt.

Hattest du Kontakt zu den anderen Kurieren?
Nur in den Restaurants. Man sagt sich Hallo oder fragt, wie’s geht und wir haben uns ein bisschen unterhalten. Wie Busfahrer haben wir uns manchmal auf der Straße gegrüßt. Die Kuriere kamen aus aller Welt. Die Deutschen darunter waren sehr jung, manche erst 18 Jahre alt und die internationalen Leute waren oft gerade erst nach Berlin gezogen und etwas älter. Es schien für viele eine Zwischenstation zu sein, weil sie nicht wissen, was sie machen wollen und wie lange sie bleiben. Manche hatten so klapperige Fahrräder, da habe ich mir gedacht, die halten keine neun Monate. Für viele war es eine Gelegenheit, easy an Geld zu kommen.

Hat es dir Spaß gemacht?
Am Anfang, ja. Es gibt unglaublich viele beschissene Jobs. Am Schreibtisch zu sitzen, kann viel deprimierender sein. Ich war viel draußen, habe viel Sport gemacht. Aber die Schichtplanung war einfach schlecht. Manchmal hatte ich zwei oder drei Schichten am Tag, war dann sieben bis zehn Stunden auf dem Fahrrad unterwegs. In anderen Wochen habe ich dann fast keine Schichten bekommen. Das hat keinen Spaß gemacht. Immer, wenn ich viel zu tun hatte, verging die Zeit schnell, aber die Wartezeiten waren blöd.

Anm. d Red.: Die Kritik von dem Fahrradkurier Alex ist auch in anderen Medien-Berichten bereits angeklungen. Das Startup hat sich dazu gegenüber dem Online-Magazin Krautreporter geäußert: „Von einem Mangel an Schichten kann nicht die Rede sein“, heißt es dort. Auch die Kommunikation soll sich verbessern. So genannte „Rider Captains“, Fahrer aus der Kurierflotte, sind dafür zuständig die Probleme aufzunehmen. Bereits im Mai kündigten Foodora an, dass Mitarbeiter aus der Zentrale aufs Rad gestiegen seien, um die Schwierigkeiten nachvollziehen zu können, heißt es bei Krautreporter.

In Berlin gab es allerdings auch eine Verschlechterung, der Lohn wurde auf 8,50 Euro gesenkt. „Wir möchten unser junges Unternehmen nachhaltig aufbauen und vor allem nachhaltige Arbeitsplätze schaffen“, teilt das Unternehmen gegenüber Krautreporter mit. Gleichzeit wolle man aber auch profitabel arbeiten.

Deliveroo hat auf die Aussage des Foodora-Fahrers reagiert: „Über 50 Prozent unserer Fahrer in Deutschland sind fest angestellt und damit selbstverständlich durch Deliveroo versichert.“ Die selbstständigen Fahrer seien gesetzlich verpflichtet, der Berufsgenossenschaft Verkehr als Fahrradkuriere beizutreten, wenn sie ihr Gewerbe anmelden und hätten dadurch eine Unfallversicherung. „Gegenüber unseren selbstständigen Fahrern sind wir nicht weisungsbefugt und dürfen ihnen damit nicht vorschreiben, sich zu versichern“, heißt es von Deliveroo gegenüber Gründerszene. Sie würden ihren Fahrern allerdings dazu raten.

Dieser Text erschien zuerst bei Gründerszene

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