Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

Die Tage von eBay sind gezählt

von Marcel Weiß
Als einer der ersten großen Internetkonzerne schuf eBay in den Neunzigerjahren einen völlig neuen Markt mit einem visionären Modell. Doch der Konzern scheiterte daran, sein Potenzial zum Wandel zu nutzen. So sehr, dass manche nun glauben, er stehe kurz vor der Zerschlagung.

Die großen Internetkonzerne sind in Wellen entstanden. Die erste Welle umfasste Firmen wie Amazon, Yahoo und eBay. Zur zweiten gehörten zum Beispiel Google oder Facebook. Die Unternehmen der zweiten Welle unterscheiden sich von ihren Vorgängern dadurch, wie proaktiv (man könnte sagen: aggressiv) sie vorgehen und dass sie sich nicht auf ihren Lorbeeren auszuruhen, um nicht obsolet zu werden. Keine leichte Aufgabe angesichts des massiven Wandels vom Desktop-Web, mit dem sie alle groß geworden sind, hin zum mobilen Internet.

Die erste Welle der Internetriesen ist hingegen über die Jahre ein wenig faul geworden. Yahoo spielt nur noch in den USA eine Rolle — die auch dort immer kleiner wird. Amazon seinerseits ist auch heute noch bereit, sich weiterzuentwickeln und Wege zu gehen. Doch Amazon ist die große Ausnahme. Den bedauerlichsten Weg unter den genannten Unternehmen ist eBay gegangen. Dabei hatte es eigentlich das visionärste Modell von allen als Grundlage.

Wie schafft man auf einem Online-Marktplatz Vertrauen?

eBay war der erste Peer-to-Peer-Marktplatz des Internets. Er setzte auf das vielleicht wichtigste Merkmal des Internets: die ständig wachsende Vernetzung. Zum ersten Mal konnten Privatpersonen ohne großen Aufwand landes- und später auch weltweit Dinge ver- und von anderen Privatpersonen kaufen. eBay schuf damit einen Markt, der vorher schlicht nicht existierte. Etwas, das heute im Rückblick offensichtlich erscheint, es seinerzeit in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts aber keinesfalls war. Die Frage, vor der eBay stand, lautete: Wie schafft man Vertrauen auf einem Online-Marktplatz? Transaktionen finden nur statt, wenn man sicher sein kann, dass das Gegenüber alles bestmöglich abwickelt. Das gilt für Verkäufer und Käufer gleichermaßen. eBay führte dazu die heute allgegenwärtigen gegenseitigen Bewertungen ein. Diese machten es möglich, online einen Ruf, eine Reputation aufzubauen.

Ohne diese vertrauensbildende Maßnahme hätte das Online-Auktionshaus nicht erfolgreich sein können. Dank dieser wurde eBay der erste große Marktplatz im Internet, und das vornehmlich mit der Vernetzung von Privatpersonen. eBay war eigentlich perfekt positioniert, um einer der großen Gewinner des kommenden Siegeszugs des Internets zu werden.

Der Strategie-Irrtum
Doch dann passierte in den Nullerjahren etwas, das sich bis heute fortsetzt. Das Management von eBay, allen voran Noch-CEO John Donahoe, verlor aus den Augen, was eBay besonders machte und die Firma von allen anderen Internetunternehmen unterschied. Die Manager legten fest, dass eBay eine Handelsplattform sein sollte, die man beliebig in fast alle Richtungen entwickeln kann. Man entschied sich für die dem Anschein nach sicherste Option: eBay soll Partner des Handels sein, die Plattform, auf der auch stationäre Händler online Fuß fassen können.

Das Wachstum kommt vor allem von PayPal, der Marktplatz entwickelt sich hingegen nicht weiter.

Viel Sinn ergibt das freilich nicht: Mit dem Handel holt sich eBay einen schwierigen Partner ins Boot, dem das Kerngeschäft wegbricht (durch den Online-Handel von Amazon bis Zalando). Gleichzeitig kann eBay die Besonderheiten der eigenen Plattform nicht wirklich ausspielen. Stattdessen tut die Firma das Uninspirierteste, was man tun kann: eBay nutzt nur die Reichweite des eigenen Angebots und verkauft sie an die offensichtlichsten Kandidaten. An den aktuellen Zahlen und Entwicklungen kann man sehen, wie schlecht das offenbar funktioniert: eBay hat angekündigt, 2400 Stellen abzubauen, sieben Prozent der Belegschaft. Der Umsatz steigt zwar, aber dafür ist vor die eBay-Tochter PayPal verantwortlich, die zuletzt 18 Prozent mehr Umsatz verzeichnen durfte und 2015 ausgegliedert sowie an die Börse gebracht werden soll.

eBays Online-Marktplatz dagegen entwickelt sich nicht weiter. Neben PayPal will der Konzern auch das vor einigen Jahren übernommene Shopsystems Magento und die eBay-Enterprise-Sparte auslagern. Das Branchenblog Exciting Commerce sprach angesichts dessen sogar schon von „Komplettzerschlagung“. Harte, aber zutreffende Worte.

Was eBay hätte werden können
Diese Entwicklung ist umso irritierender, als dass eine erfolgversprechendere Expansionsstrategie eigentlich geradezu offensichtlich war: eBay hätte frühzeitig sein für den Gebrauchtwarensektor erfolgreich etabliertes P2P-Modell auf andere Wirtschaftsbereiche übertragen müssen. Der Konzern hätte sich auch im Rocket-Internet-Stil von jungen amerikanischen P2P- Startups inspirieren lassen oder diese frühzeitig übernehmen können.

Warum hat eBay nicht sein eigenes Uber oder AirBnB aufgebaut?

Warum hat eBay nicht zum Beispiel angesichts des frühen Erfolgs von AirBnB eine eigene Übernachtungsplattform aufgebaut? Beide Plattformen basieren auf dem gleichen Prinzip: Sie bringen Privatpersonen für Transaktionen zusammen. Die eine für Übernachtungen, die andere für gebrauchte Gegenstände. Das gleiche gilt für Uber: UberPop bringt Privatpersonen für eine Transaktion zusammen: den Personentransport. Die Mechanismen sind identisch, nur die Märkte unterscheiden sich.

eBay als P2P-Hub
Sowohl AirBnB als auch Uber setzen wie eBay als vertrauensbildende Maßnahme auf User-Bewertungen. Bei AirBnB geben sich Vermieter und Mieter gegenseitig Noten. Bei Uber bewerten sich Fahrer und Fahrgäste gegenseitig. Unterkünfte und Fahrer, Reisende und Fahrgäste, können so selektiert werden. Doch diese Methode hat ein Problem: Wenn ein Dienst neu ist, gibt es noch keine Nutzerbewertungen auf der Plattform. Die Anbieter stehen vor einem Henne-Ei-Problem: ohne Bewertungen keine Transaktionen, ohne Transaktionen keine Bewertungen. AirBnB versucht das unter anderem dadurch zu umgehen, dass Neuankömmlinge auf der Plattform die Möglichkeit haben, per Programmierschnittstelle Profile von anderen Plattformen mit ihrem AirBnB-Account zu verbinden. Diese Verfizierung soll sicherstellen, ob eine echte, im Zweifel zurückverfolgbare Person hinter einem Profil steckt.

eBay hätte zur Infrastruktur für die Share Economy werden können.

eBay hatte frühzeitig viele User, die schon eine Handvoll Bewertungen hatten. Lange vor Twitter und Facebook hatte die Plattform also die Grundlage, um das Henne-Ei-Problem zu lösen. Man stelle sich folgendes Szenario vor: eBay entscheidet sich Mitte der Nullerjahre, einen Vermittlungsmarktplatz für Übernachtungen als P2P-Plattform zu etablieren. eBay-Nutzer können mit ihrem eBay-Profil einen neuen Account auf „eBayBnB“ anlegen. Wer auf eBay schon 50 oder mehr positive Bewertungen hat, wird auch auf „eBayBnB“ als vertrauenswürdig eingestuft. Die direkte Verknüpfung der Accounts gibt dem neuen Angebot einen Anfangsschub, den kein anderer Anbieter hätte schaffen können. Die Accounts von eBay und „eBayBnB“ hätten auch nicht von außen miteinander in Verbindung gebracht werden müssen. Das heißt, es ist nicht notwendig, dass jeder Nutzer weiß, dass die Userin „Gertrude1967“ nicht nur ihren Toaster und ihre Puppensammlung verkauft, sondern auch als „Gertrude2014“ ein Zimmer im Zentrum von Hamburg-Eimsbüttel vermietet.

Denn die wenigsten Nutzer würden sich so viel Transparenz wünschen. Sie wäre für die Vertrauensbildung auch gar nicht nötig. AirBnB zeigt zum Beispiel nicht an, mit welchem Facebook-Profil ein Account verbunden ist, nur wie viele Freunde der verifizierte Facebook-Account hat. Das bringt keine
hundertprozentige Sicherheit für Vermieter, die entscheiden müssen, ob sie jemanden ins eigene Heim lassen, aber es ist besser als nichts. eBay hätte eine Art „Trustscore“ einführen können, der anonymisiert die Bewertungen über alle eBay-Plattformen hinweg gewichtet. Eine neue eBay-eigene Plattform, auf der Käufer schon als vertrauenserweckend gelten, weil sie hunderte Dinge auf eBay gekauft haben und zu 100 Prozent positiv bewertet wurden, hätte es sehr viel einfacher als ein Portal, das bei diesen Dingen komplett bei Null beginnt. eBay wäre auf diesem Weg nach und nach zu einem P2P-Hub geworden. Zur Infrastruktur für das, was man seit einiger Zeit als Share Economy bezeichnet. Das eine lukrative Position zu nennen, wäre untertrieben.

Verlorene Chancen
Uber wurde nach seiner letzten Finanzierungsrunde mit 40 Milliarden Dollar bewertet. AirBnB brachte es immerhin auf 10 Milliarden Dollar. eBay ist an der Börse aktuell mit 69 Milliarden Dollar wert. Doch diese Bewertungen lassen sich nur bedingt vergleichen. Bei eBay handelt es sich um die Ansammlung von an der Börse gehandelten Anteilen, bei Uber und AirBnB hingegen nur um Spekulationen von Risikokapitalgebern. Aber zumindest grob lassen sich Trends bei den drei Unternehmen ablesen: Das im März 2009 gegründete, also erst viereinhalb Jahre alte Uber ist in den Augen der Investoren schon mehr als halb so viel wert wie eBay. AirBnB ist sechs Jahre alt und kommt in den Augen seiner Geldgeber immerhin schon auf ein Zehntel des Werts von eBay.

eBay feiert im September 2015 sein 20-jähriges Jubiläum. Im Vergleich mit den beiden jüngeren Unternehmen wird deutlich, welche Chancen der Konzern in den letzten Jahren verspielt hat. Transport (Uber) und Übernachtungen (AirBnB) sind nur die offensichtlichsten P2P-Marktplätze, die sich auch als Erweiterungen für eBay angeboten hätten. Selbstgemachtes (Dawanda/Etsy), Second-Hand-Kleidung (Kleiderkreisel), Dienstleistungen wie Wohnungsreinigung (Helpling) — die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Aus eigener Kraft kann eBay nicht mehr relevant werden.

Kann eBay das Ruder noch herumreißen? Das ist eher unwahrscheinlich. Die größten Peer-to-Peer-Anbieter Uber und AirBnB sind längst dabei, börsennotierte Unternehmen zu werden, und breiten sich als Plattformen immer weiter aus. Das Fenster für eBay, ein kommerzieller P2P-Riese zu werden, hat sich längst geschlossen. Das Feld der potenziellen P2P-Märkte ist riesig und der Vorsprung durch einen „Trustscore“ wäre heute nur noch ein Bruchteil dessen wert, was er vor zehn Jahren gebracht hätte. Für eBay ist das der Verlust einer in der Wirtschaftsgeschichte einzigartigen, gigantischen Chance. Für die Online-Märkte ist es gut. Ein P2P-Hub namens eBay hätte aufgrund seiner marktübergreifenden Netzwerkeffekte eine kaum aufzubrechende Monokultur bedeutet. Die wird es nun nicht mehr geben.

2015 werden eBay und PayPal in zwei separate Unternehmen aufgeteilt. Danach wird eBay an der Börse günstig genug sein, um vielleicht sogar zu einem Übernahmekandidaten zu werden. Etwa für Alibaba, einen chinesischen Online-Handelskonzern mit dank Börsengang gefüllter Kriegskasse und dem Willen zur internationalen Expansion. Dann könnte der einstige Internet-Pionier eBay vielleicht das zurückbekommen, was er aus eigener Kraft nicht mehr zu schaffen scheint: Er könnte wieder ein bisschen relevant werden. 

GQ Empfiehlt