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Das Ende von DVB-T kommt – ist Internet-TV eine Alternative?

von Dominik Schönleben
Am 29. März wird das Gratis-Fernsehen weitgehend  abgeschaltet – zumindest für alle, die es noch über eine DVB-T-Antenne empfangen. Der Wechsel zum neuen DVB-T2-Standard kostet Geld. Internet-TV-Anbieter wittern die Chance, neue Kunden zu gewinnen. Ganz vorne mit dabei ist ein deutsches Startup.

Der Berliner Kurfürstendamm, Heimat von Kanzleien, Hotels und Edelboutiquen: Zwischen Prada und Zegna hat unvermittelt ein Fernsehlabor aufgemacht. So nennt die Exaring AG ihr Apartment im zweiten Stock, in dem die junge Firma aus München den vor kurzem gestarteten Service Waipu.TV präsentiert. Unter hohen Decken, an denen alte Kronleuchter hängen, zeigt sich das Fernsehen von seiner modernsten Seite. Das Programm kommt aus dem Netz und wird über Apps gesteuert. Jede Sendung lässt sich nach Belieben anhalten, aufnehmen, an andere Bildschirme weiterreichen.

„Man muss das Fernsehen aus dem Dampfmaschinen-Zeitalter herausholen“, sagt Exaring-Chef Christoph Bellmer. Soll heißen: Antenne, Kabel und Satellit waren gestern – die Zukunft gehört dem Internet-TV. Die Umstellung auf DVB-T2 beginnt am 29. März und kommt Diensten wie Waipu sehr gelegen. Denn wer weiterhin per Antenne fernsehen will, braucht eine Settop-Box, die Signale in der neuen Norm empfangen kann. Dazu kommen die Kosten für eine neue Antenne und 69 Euro im Jahr für die Freischaltung von Privatsendern wie RTL, Sat.1 und ProSieben. Gratis lassen sich künftig nur noch die Programme der Öffentlich-Rechtlichen empfangen, samt ihren Spartenkanälen wie Arte und Phoenix.

Es ist der Fernseher, der zum Second Screen wird

Christoph Bellmer, Exaring

Bei so viel Aufwand und Kosten dürften viele Menschen bereit sein, direkt von Antenne auf das Fernsehen aus dem Internet umzusteigen – das hoffen zumindest Waipu und Konkurrenten wie Zattoo oder Magine. Alle arbeiten nach demselben Prinzip: Sie schicken das TV-Programm als Datenstrom durchs Netz und führen Teile ihrer Einnahmen als Lizenzgebühr an die Sender ab. Sendungen in SD-Qualität bieten die Dienste teilweise noch kostenlos an – in den Augen vieler Zuschauer eher eine Notlösung. HDTV und zusätzliche Funktionen kosten Geld. Je nach Paket und Sender-Umfang können dabei bis zu 15 Euro im Monat zusammenkommen.

Nicht gerade ein Schnäppchenpreis, aber im Gegenzug beherrscht das Internet-TV Tricks, bei dem das Antennenfernsehen arg zurückgeblieben wirkt: Live-Shows haben eine Pause-Funktion und Aufnahmen können per Mobil-App gestartet und in der Cloud gespeichert werden. (Etwas, das sonst bei DVB-T über einen Smart-TV oder eine zusätzliche Software nachgerüstet werden muss.) Später weiterschauen auf einem anderen Gerät? Auch kein Problem. „Jeder organisiert sein Leben heute auf dem Smartphone“, sagt Bellmer. „Es ist der Fernseher, der zum Second Screen wird.“

Fünf Fernseher haben der Exaring-Chef und seine Kollegen aufgebaut, um vorzuführen, was Waipu.TV besonders macht. Sendungen beginnen auf dem Smartphone und springen nahtlos auf den Großbildschirm über, während auf dem Handy parallel ein anderes Programm läuft – oder Nutzer anderswo im Internet unterwegs sind. Bis zu vier Streams gleichzeitig erlaubt Waipu auf unterschiedlichen Geräten und wer Amazons FireTV nutzt, kann Sendungen auch per Sprachsteuerung finden oder aufnehmen.

Was Waipu von seinen Mitbewerbern unterscheidet, ist vor allem das eigene Datennetz: Mehr als 12.000 Kilometer Glasfaser hat Exaring nach eigenen Angaben in Deutschland verlegt. Eine wichtige Voraussetzung für flüssige Videostreams in Höchstqualität.

Um ins Wohnzimmer zu kommen, braucht das Münchner Startup zwar Partner wie Vodafone und die Telekom, weil Exaring keine direkte Verbindung zu Häusern und Wohnungen besitzt. Doch die kurze Wegstrecke zwischen dem Zuhause der Nutzer und den Servern von Exaring bringt sichtlich Vorteile: Das Bild ruckelt nicht und das Umschalten zwischen Kanälen funktioniert bei der Vorführung in Berlin genauso flüssig wie das Zappen im herkömmlichen Fernsehen. „Die Kapazität unserer Infrastruktur ist praktisch unerschöpflich“, brüstet sich Bellmer. „Wenn wir 25 Millionen Haushalte versorgen würden, wären wir noch längst nicht ausgelastet.“

Betroffen von der Umstellung auf DVB-T2 sind jedoch weitaus weniger Menschen. Von den 38 Millionen Fernsehhaushalten in Deutschland müssen nur knapp 3,4 Millionen Geld in die Hand nehmen, um auf den neuen Standard zu wechseln. Die meisten Menschen schauen längst über Kabel oder Satellit. Trotzdem bestehe eine Chance für die neuen Anbieter, sagt Klaus Böhm, Berater für Medien und Kommunikation bei Deloitte: „Es wird sicher Menschen geben, die diesen Wechsel nicht mitmachen, sondern sich nach einer Alternative in Form von Kabel, Satellit oder Internet-TV umschauen.“ Entscheidend sei vor allem, welche zusätzlichen Angebote die Dienste machen können.

Böhm rät Fernsehanbietern in Streaming oder On-Demand-Video zu investieren. Die Prime-Time sei eben längst nicht mehr so wichtig wie noch vor zehn Jahren. „Früher wäre niemand auf die Idee gekommen, DVDs oder VHS-Kassetten als Alternative zum Fernsehen zu bezeichnen, aber Video-On-Demand ist für viele Menschen eine Konkurrenz zum linearen TV geworden“, sagt er.

Video-On-Demand ist für viele Menschen eine Konkurrenz zum linearen TV

Klaus Böhm, Deloitte

Nicht nur die zusätzlichen Features, sondern auch der Preis könnte zum Argument werden. Weil DVB-T im Gegensatz zu Kabel oder Satellit günstig in der Anschaffung war und keine laufenden Kosten hatte, galt es als die perfekte Alternative für Zweit- oder Drittgeräte. Doch mit DVB-T2 muss man für jedes Endgerät bezahlen. „Verbraucher sollten sich daher informieren, ob sich die Umstellung auf DVB-T2 für sie lohnt oder sie nicht gleich auf Video-Streaming-Angebote oder IPTV umsteigen“, sagt Timm Lutter, der bei, beim Branchenverband Bitkom für Unterhaltungselektronik und Digitalmedien zuständig ist. Am 29. März könnten also einige Menschen das lineare Fernsehen ganz hinter sich lassen und direkt zu Diensten wie Netflix oder Amazon Prime Video wechseln.

Weil der Bildschirm im Wohnzimmer aber noch immer die meisten Blicke auf sich lenkt – fast vier Stunden sitzen die Deutschen im Durchschnitt täglich vor dem TV-Apparat – träumen weiterhin viele Inhalteanbieter davon, ins Fernsehen zu kommen. Waipu bietet an, ihnen zu helfen: Zusätzlich zu knapp 60 traditionellen TV-Sendern, von ARD und ZDF bis hin zu Comedy Central, BBC News und Vox, sollen Waipu-Abonnenten demnächst auch Spartenkanäle in ihrem Fernsehprogramm finden, die bisher auf den Browser beschränkt waren. Den Anfang machen die YouTuber von den Rocket Beans und Fußballberichte aus der bayerischen Regionalliga. „Wir bringen digitale Inhalte ins TV und machen den Fernseher auf für Special Content“, sagt Bellmer. „Man kann jetzt mit ganz geringen Kosten etwas ausprobieren.“

Internet-TV bietet jedoch oft noch eine zu geringe Auswahl von Kanälen, das Bekannte und Gewohnte fehlt. Bei Waipu erlaubt etwa ProSiebenSat.1 Media nicht, dass Inhalte gespeichert werden. Die Sender des Unternehmens gibt es deswegen nur live. Wer sich schon ans Anschauen ganzer Serienstaffeln am Stück auf Netflix gewohnt hat, wird beim Internet-TV ebenfalls enttäuscht werden. Hier muss das Aufnehmen einer Serie erst über Wochen programmiert werden, damit sie irgendwann in einem Rutsch konsumiert werden kann.

Dazu kommen die technischen Herausforderungen: Wer überlegt, auf Internet-TV umzusteigen, sollte genau prüfen, welche Standards der Service seiner Wahl unterstützt: Googles Chromecast, Apple TV und Amazon FireTV ringen um die Vormacht, während fast jeder TV-Hersteller mit einer eigenen Software-Plattform dagegenhält. Waipu legt sich dabei quer: „Wir haben keine App für Smart-TVs“, sagt Bellmer – mit der Begründung, dass es zu aufwändig sei, für jeden Hersteller eine Anwendung zu entwickeln.

Lieber investiert das 30-Mann-Team aus München seine Zeit in den nächsten Schritt der Fernseh-Evolution: Bilder in höherer Auflösung, die HDTV um ein Vielfaches übertreffen. „Natürlich können wir auch 4K oder 8K“, sagt Bellmer. „Wir sind fertig, müssen eigentlich nur noch auf einen Knopf drücken.“ Allerdings sei das Netz dem Fernseher dabei längst davongeeilt. Bisher gebe es schlicht zu wenige Geräte, die Programme in so hoher Auflösung empfangen könnten.

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