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Zukunft der Musik / Klappe halten und zuhören — Sofar Sounds bringen Konzerte nach Hause

von Lars Gaede
Das globale Netzwerk Sofar Sounds bringt Konzerte zurück auf die ganz kleine Bühne: in Wohnzimmer, Teeküchen und Büros. Auf einen Platz im Publikum muss man sich bewerben, wer spielt, ist bis zuletzt geheim.

Durch zwei dunkle Hofeingänge, den Aufzug hoch, lange Gänge entlang, am obligatorischen Kreativenkicker vorbei und an Bürotüren, hinter denen tagsüber sicher schrecklich fleißig gearbeitet wird: Die Klebezettel-Wegweiser führen in eine kleinen Teeküche, die sich gerade mit Menschen füllt, die alle auf eine ähnlich sanfte Art alternativ aussehen, als fände hier gleich ein Casting für den nächsten Miranda-July-Film statt. Stattdessen aber soll es hier an diesem Abend um die Zukunft der Musik gehen, wenn man den Erfindern von Sofar Sounds glauben darf. Oder zumindest um die Zukunft des Musikhörens

Sie besteht aus einem Teppich, einem alten Tisch mit einer noch älteren Stehlampe darauf und zwei Stühlen, auf denen jetzt ein Gitarrist und eine Sängerin Platz nehmen: Kileza aus Südafrika, die über ein Pad erst mal ein paar Beats durch die aufgestellten Boxen schickt — und dann eine Stimme, mit der sie es locker mit Whitney Houston hätte aufnehmen können. Das Publikum sitzt derweil auf dem Boden und macht das, was ein Konzertpublikum eigentlich schon lange nicht mehr macht: Klappe halten und zuhören. Niemand kommt gerade noch oder geht schon wieder, niemand hält sein Handy in die Luft (oder die eigene Nase), niemand holt sich noch kurz ein Bier an der Bar (gibt ja keine), niemand quatscht laut über die blöde SMS von Dingsda oder lässt sich von irgendeiner Lightshow hypnotisieren.

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Das einzige, was hier in diesem Raum gerade passiert, sind Kileza und ihr Partner. Und genau darum ging es Rocky Start und Rafe Offer, zwei Freunden aus London, als sie 2009 begannen, für und mit Freunden regelmäßig Konzerte in Wohnzimmern, Küchen und anderen kleinen, intimen Orten zu veranstalten: Sie vermissten Konzerte, in denen es tatsächlich um die Musik ging und begannen deshalb, diese selbst zu organisieren. Seitdem gibt es die Sofar-Sounds-Mailing-Liste. Wer sich einträgt (und Glück hat, ausgewählt zu werden), erfährt kurz vorher, wo und wann das Konzert stattfinden wird. Bezahlt wird per Spende. Und wer spielt? Das ist eine Überraschung.

Lokale Teams entscheiden, wer spielen darf.

Beim ersten Konzert spielte ein Künstler fünf Songs vor acht Menschen in einem Londoner Wohnzimmer. Heute finden in mehr als 100 Städten auf der ganzen Welt monatlich Sofar-Sounds-Konzerte statt, bei denen bis zu vier Acts auftreten. In Städten wie London oder New York sind es mittlerweile bis zu zwanzig Konzerte im Monat und immer zehnmal mehr Menschen, die gerne zum Konzert kommen würden, als in die kleinen Räume passen. „Die Idee von Sofar Sounds entsprach offensichtlich einem Zeitgeist“, sagt Tom Lovett, Commercial Director und einer von sechs (bezahlten) Vollzeitmitarbeitern im heutigen Londoner Hauptquartier von Sofar Sounds. „Es meldeten sich immer mehr Menschen aus der ganzen Welt, die die Idee so toll fanden, dass sie in ihrer Stadt ein Sofar-Sound-Team gründen wollten.“

Mittlerweile gibt es 600 Freiwillige — von Kairo über Mumbai bis New York — die die Konzerte organisieren, Orte und Bands auswählen (man kann sich als Gastgeber und als Musiker über die Sofar-Sounds-Seite der jeweiligen Städte bewerben). Wer spielen darf, wird immer im Team entschieden. „Damit nicht einer seine Lieblingsbands durchsetzt, wie es Booker in herkömmlichen Venues oft machen“, sagt Lovett. Stattdessen sollen es idealerweise tolle, talentierte Musiker sein, „die schon sehr sehr gut sind, aber noch nicht bekannt“.

95 Prozent der Bands nehmen keine Gage.

An dem Abend in Berlin folgt auf Kileza eine sehr junge und sehr aufgeregte Sängerin am Keyboard, die gemeinsam mit ihrem Gitarristen erst gegen Ende ihres Zwanzig-Minuten-Slots richtig ihren Groove findet — und danach begeistert bejubelt wird. Dann besingt noch ein cooler Singer/-Songwriter, was coole Singer/-Songwriter eben so besingen — die Liebe — und ein reizendes Hippiepaar aus Washington State mit Saxophon und Gitarre beweist zum Abschluss endgültig, dass das Team für diesen Abend wirklich tolle Leute aufgespürt hat. Alle Sofar-Sounds-Konzerte werden aufwändig aufgenommen und gefilmt. „Für viele Bands sind das die ersten richtig guten Aufnahmen und Videos, die sie von sich bekommen“, sagt Tom Lovett. Weshalb sich 95 Prozent der Bands auch gegen eine Gage und lieber für diese Aufnahmen entscheiden (sie können dazwischen wählen). Der YouTube-Kanal von Sofar Sounds bietet außerdem globale Aufmerksamkeit — auch von Musiklabels.

Auch die Macher von Sofar Sounds selbst können sich über fehlende Aufmerksamkeit nicht beklagen. Sie haben gerade eine erfolgreiche dritte Funding-Runde hinter sich und arbeiten an verschiedenen Konzepten, ihr Projekt möglichst behutsam in ein Unternehmen zu überführen, das Geld verdient — ohne dabei die Community zu verschrecken. Schon jetzt gibt es in einigen Städten Kooperationen mit Equipment-Herstellern wie Sure und Agc, die dafür zahlen, dass auf den Konzerten ihre Mikros zum Einsatz kommen — und mit einer Biermarke, die dafür zahlt, dass Sofar Sounds den Zuschauern ihr Bier verkauft.

Zukünftig soll auch ein Premium-Abo getestet werden, mit dem man sich die Möglichkeit sichert, ein Ticket direkt zu kaufen. „Doch wir wollen nie mehr als zehn Prozent der Plätze so vetreiben“, sagt Tom Lovett, „und auch nur dann, wenn die lokalen Teams dem zustimmen. Es solle in jedem Fall die Idee erhalten bleiben: Ein paar Musikliebhaber kommen in kleinem Rahmen zusammen, um Musik zu spielen und um Musik zu hören. Sonst nichts.

Welche Sounds werden unsere Zukunft bestimmen? Wer wird sie für uns erschaffen? Und womit? Das erfahrt ihr den ganzen Februar lang in unserem Themen-Special „Zukunft der Musik“ auf WIRED.de. 

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