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Die Liebe zum Dieselmotor bringt Deutschlands Autobauer um den Fortschritt

von Karsten Lemm
Die Fehler der Vergangenheit holen die deutschen Autohersteller ein. Viel zu lange wollten sie vom Elektroantrieb nichts wissen, jetzt bekommen sie die Quittung. Und während sie mit dem Dieselskandal beschäftigt sind, freuen sich andere: Tesla-Chef Elon Musk und die Konkurrenten aus China. Ein Kommentar.

Angela Merkel lässt am Mittwoch die Autobosse in Berlin vorfahren. Sie sollen sich dafür verantworten, dass ihre Dieselautos in vielen Fällen weit mehr Dreck in die Luft blasen, als eigentlich zulässig ist. Einige der Hersteller – allen voran VW – haben offenbar seit Jahren Abgaswerte manipuliert, um TÜV-Abzeichen für Fahrzeuge zu bekommen, die auch noch als besonders umweltfreundlich ausgelobt wurden. Dadurch haben die Autobauer nicht nur Kunden getäuscht, sie setzen auch ihre eigene technologische Zukunft aufs Spiel und verlieren international den Anschluss.

Nicht nur den SPIEGEL erinnert das Verhalten der Autobauer an ein Kartell – selbst wenn BMW sich alle Mühe gibt, als Saubermann dazustehen. „Verbotene Abschalteinrichtungen waren bei uns nie ein Thema“, versichert der Einkaufsvorstand des Münchner Herstellers der Süddeutschen Zeitung, bestreitet aber gar nicht, dass auch BMW bei seinen europäischen Modellen weit weniger auf Umweltschutz geachtet hat als in den USA. Die „unterschiedlichen Prämissen der Politik haben wir berücksichtigt“.

Ach ja, die Politik: Gern haben die Parteien Millionen-Spenden der Autobauer kassiert und Vorstandsposten übernommen, nur um sich jetzt gebührend über den Dieselgate-Skandal aufzuregen. Selbstverständlich sollen die Hersteller nachbessern, um ihre Fahrzeuge sauberer zu machen: Im Gespräch sind nach Tagesspiegel-Informationen Software-Updates, die den Motoren das übermäßige Verpesten der Luft mit Stickoxid und Kohlenmonoxid abgewöhnen sollen. Mehr dann aber auch nicht, so wie es derzeit aussieht – schließlich ist der Autobau mit über 400 Milliarden Euro Umsatz im Jahr Deutschlands wichtigster Industriezweig. Da möchte niemand großen Schaden riskieren.

Indes: Der heimliche Schaden – jenseits der Umweltverschmutzung – ist längst entstanden. Statt frühzeitig in E-Mobilität zu investieren, klammerten sich alle deutschen Hersteller über viele Jahre hinweg an den Verbrennungsmotor. Schließlich lag dort die Expertise ihrer Ingenieure, und in der Perfektion herkömmlicher Technologie sahen sie ihren Wettbewerbsvorteil, gerade beim Dieselmotor: In Deutschland lag der Diesel-Anteil bei Neuwagen im vorigen Jahr bei 46 Prozent. Zwei Prozent weniger als 2015, aber immerhin noch fast die Hälfte aller Neuzulassungen. Kein Wunder in einem Land, das gern auf den Cent genau ausrechnet, wie teuer jeder Kilometer wird. Und wer nur auf den Status Quo achtet, muss natürlich zu dem Schluss kommen, dass E-Autos noch längst nicht reif sind für den Massenmarkt.

Wenn Topmanager deutscher Autohersteller überhaupt über Alternativen zum Dieselmotor nachdachten, dann sahen sie – fern am Horizont – allenfalls eine Chance für Fahrzeuge mit Wasserstoff-Antrieb. Daimler etwa leistet sich seit vielen Jahren ein Forschungszentrum in Kalifornien für diese Technologie. Elektro-Autos dagegen, so hieß es immer wieder von allen Seiten, seien allenfalls eine Übergangslösung. Schließlich wolle niemand riskieren, mit leerem Akku am Straßenrand liegenzubleiben. Und überhaupt fehle es an der nötigen Infrastruktur.

Man muss bis 2003 zurückgehen, um diese Denke zu verstehen: Damals atmen alle traditionellen Hersteller auf, als Kalifornien – der wichtigste Automarkt der USA – sein ehrgeiziges Zero Emissions Program so weit entschärft, dass die Abgasziele auch ohne E-Autos im Sortiment zu erfüllen sind. General Motors ruft daraufhin sein Elektromobil EV-1 zurück, und lediglich Toyota glaubt noch an eine Zukunft für den E-Antrieb: als Hilfsmotor für den Prius, der als Hybridauto zumindest im Schritttempo fahren kann, ohne Abgase auszustoßen.

Die Renaissance des E-Autos beginnt mit dem zu jener Zeit verrückt scheinenden Plan eines Startups aus dem Silicon Valley: Die Firma Tesla – 2003 gegründet, im selben Jahr also, in dem alle anderen die Technologie für tot halten – nimmt sich vor, Batterietechnik so weit zu perfektionieren, dass E-Autos künftig mehrere hundert Kilometer weit fahren können, ehe sie wieder Strom tanken müssen.

Mehrfach steht Tesla vor dem Aus, ehe 2008 der PayPal-Mitgründer Elon Musk die Firma rettet und gegen alle Widerstände zum Marktführer für Elektromobilität macht. Das ist immer noch eine Nische, gewiss. Aber inzwischen sind Beobachter der Auto-Industrie sich weitgehend einig, dass aus dieser Nische der nächste Massenmarkt entstehen wird, eng verbunden mit dem Trend zum autonomen Fahren.

Vor wenigen Tagen enthüllte Tesla sein erstes Mittelklasse-Fahrzeug, das Model 3. Die größte Herausforderung der Kalifornier besteht nun darin, das begehrte Auto schnell genug zu bauen: Rund 400.000 Kunden haben den Wagen bereits bestellt und 1000 Dollar angezahlt. Viele werden bis 2019 auf ihre erste Fahrt damit warten müssen, denn die Produktion läuft erst langsam an, und Tesla kämpft bei allen Modellen damit, die Autos nicht so schnell bauen zu können, wie Käufer sie gern hätten.

Als Produktionschef hat Musk sich einen Deutschen geholt: den ehemaligen Audi-Manager Peter Hochholdinger. Der schwärmt gegenüber einem Fachjournal: „Die Autos, die wir bauen, sind allem, was es bisher gab, ungefähr sieben Jahre voraus.“ Zum Beispiel dadurch, dass das Design des Model 3 nicht nur Käufern gefallen soll, sondern auch den Robotern entgegenkommt, die die Karosserie zusammenschweißen. So will Tesla die Produktion bis 2018 aus dem Nichts auf 20.000 Autos im Monat hochfahren.

Natürlich sind auch die deutschen Hersteller inzwischen aufgewacht und entwickeln fleißig E-Mobile. Marktführer VW verkündet lautstark: „Die Fahrzeuge, die wir vorgestellt haben, können alles, was Tesla kann, an einigen Stellen auch einiges darüber hinaus.“ In Wahrheit aber tun sich alle Konzerne weiterhin schwer damit, plötzlich in Strom statt Benzin und Diesel zu denken: Die meisten Elektro-Modelle der deutschen Autobauer existieren bisher nur als Konzept oder Produktankündigung. So will Mercedes seine EQ-Stromer erst 2020 auf den Markt bringen, VW hat den Model-3-Rivalen CUVe für 2019 angekündigt, und BMW versucht es erstmal mit dem bedingt alltagstauglichen Kleinwagen i3 und einer Elektrovariante des Mini, gebaut in England.

Selbst dieser verspätete Aufbruch in die Elektromobilität setzt voraus, dass die Ingenieure in Wolfsburg, Ingolstadt, Stuttgart und München nicht allzu sehr mit Schadensbegrenzung beschäftigt sind. Und während die deutschen Hersteller darüber nachdenken, wie sie ihr Dieselgate in den Griff bekommen, können sich Tesla, General Motors, aber auch chinesische Startups wie NIO voll darauf konzentrieren, die Zukunft zu gestalten.

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