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Diese Uni ohne Professoren will die Tech-Elite von Morgen ausbilden

von David Rowan
Die französische Programmier-Schule École 42 von Tech-Milliardär Xavier Niel will das Bildungssystem neu erfinden. WIRED UK hat die „Universität der Zukunft“ besucht.

Es ist 9.30 Uhr an einem grauen Donnerstagmorgen im Mai. Lange Tische mit iMacs stehen verlassen in einem ehemaligen Regierungsgebäude am Boulevard Bessières im Norden von Paris. Dass noch niemand da ist, sei kein Problem, sagt Xavier Niel. Die Rush-Hour beginne erst gegen zwei oder drei Uhr. Xavier Niel ist der französische Milliardär, der die École 42 vor drei Jahren als experimentelle Universität gegründet hat.

„Nachts sind hier etwa 300 oder 400 Studenten“, sagt Niel. „Wir haben 24 Stunden geöffnet – sogar der französische Präsident hat hier schon Mitternachts-Selfies geschossen. Es gibt hier auch keine Lehrer – das ist eine projektbasierte Schule. Niemand bekommt hier ein Diplom“.

Niel, der sein Vermögen in Frankreich mit dem Internetprovider Free und anderen Telekommunikations-Unternehmen gemacht hat, kündigte 2013 an, dass das „Bildungssystem nicht mehr funktioniert“. Also entscheid er, es neu zu erfinden und gründete eine Programmier-Schule ohne Lehrer, Vorlesungsverzeichnis, Zugangsvoraussetzungen und Studiengebühren. Über Erfolg oder Misserfolg entscheidet allein der Wille der Studenten, etwas zu erreichen.

Man fühlt sich, als würde man die Schule der Zukunft betreten.

Evan Spiegel, Snapchat-CEO

Die École 42 heißt so, weil die Zahl 42 in Per Anhalter durch die Galaxis die Antwort auf die Frage „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ heißt. Finanziert wird die Schule laut Niel „von meiner Kreditkarte“: 20 Millionen Euro kostete die initiale Gründung. Ungefähr sieben Millionen Euro pro Jahr wird die Schule im ersten Jahrzehnt an laufende Kosten verursachen. Danach, sagt Niel und zeigt auf drei amerikanische Studenten, „hoffen wir, dass einer von euch der nächste Zuckerberg ist“.

Peter Thiel, Jack Dorsey und Tony Fadell waren schon hier, um sich anzuschauen, wie Neils Schule traditionelle Vorstellungen von höherer Bildung herausfordert. Snapchat-CEO Evan Spiegel ist schon ein Fan: „Man fühlt sich, als würde man die Schule der Zukunft betreten. Es ist eine ganz neue Lernerfahrung.“

Weil das Konzept bei seinen Freunden aus dem Silicon Valley so gut ankam, eröffnete er im Herbst 2016 eine zweite Schule in Fremont, Kalifornien - mit einer Beteiligung von 100 Millionen Dollar. Seine Mission ist es, eine qualitativ hochwertige Ausbildung aufgrund von Talent und Leistung zu garantieren und nicht aufgrund eines großen Geldbeutels.

Die Auswahl der Studenten erfolgt online durch eine Talentsuche. „Wir haben 80.000 Bewerber jedes Jahr, die ein spezielles Online-Game spielen müssen. 25.000 von ihnen schaffen das“, erklärt Niel. „Wir laden die besten 3000 Bewerber ein, einen Monat an unserer Schule zu studieren – das sind 450 Stunden an 15-Stunden-Tagen, inklusive Samstag und Sonntag. Nach fünf oder sechs Tagen bricht ein Drittel von ihnen ab. Und dann nehmen wir die besten Tausend“.

Die „Überlebenden“ – 80 bis 90 Prozent Franzosen aber auch viele Amerikaner – gewinnen eine kostenlose Ausbildung, Hilfe bei der Suche nach einer Unterkunft (Niel baut 900 Studentenwohnungen), einen garantierten Studienkredit von 15.000 Euro und Zugang zu erstklassigen Praktika.

„40 Prozent haben kein Abitur, die Hälfte kommt aus armen Familien, die sich eine solche Ausbildung nicht leisten könnten“, sagt Niel. Eine amerikanische Studentin mit einem Biologie-Abschluss von Yale sagt: „Wir sind die glücklichen Gewinner“. Niel widerspricht: „Das hat nichts mit Glück zu tun.“

Die Schnellsten beenden das Studium nach 18 Monaten, andere brauchen fünf Jahre.

Der projektbasierte Lehrplan besteht aus 21 Modulen, – oder wie Niel sie nennt, „Spiel-Level“ – die von einem Gremium aus sechs Mitarbeitern, genannt „Das Cluster“, konzipiert werden. Nach einem fünfminütigen Einführungsvideo und PDF sollen die Studenten in Gruppen lernen. Nach einem Monat sollten sie fähig sein, in C zu programmieren. Eine Aufgabe ist es, Tetris und Sudoku von Grund auf zu programmieren. Jeder darf sich danach in seinem eigenen Tempo weiterentwickeln. Die Schnellsten beenden das Studium nach 18 Monaten, andere brauchen fünf Jahre.

An vielen Stellen findet man Gamification-Ansätze: Um Projekte von anderen Studenten korrigieren zu lassen, müssen sie „correction points“ einsetzen, die sie nur verdienen, wenn sie selbst Projekte von anderen korrigieren. Als Maßnahme gegen schlechtes Verhalten wurde eine Art „Bestrafungs-Glücksrad“ eingeführt. Strafaufgaben sind „Hole für alle Kaffee am Automat“ oder „Putze die Fenster mit einer Zahnbürste“. Gutes Betragen bringt dagegen „wallet points“, die auch für Vorteile eingesetzt werden können.

Ein paar Bugs gibt es allerdings trotzdem auszubügeln: Weniger als zehn Prozent der Studenten sind Frauen. École 42 versucht das zu ändern, indem Schülerinnen von weiterführenden Schulen eingeladen werden, ihre Ferien am College zu verbringen. Nach dem Abschluss, sagt Niel, verdienen die Studenten gewöhnlich 42.000 Euro bis 45.000 Euro im ersten Jahr, „haben aber bessere Programmierfähigkeiten als US-Absolventen, die 140.000 Dollar verdienen“.

École 42 ist allerdings nicht das erste ambitionierte Lehrexperiment, das von einem Tech-Unternehmer gegründet wurde. Das in Kalifornien und Hong Kong ansässige Bildungs-Unternehmen Age of Learning hat im Mai 150 Millionen Dollar eingesammelt; Chinas 17zuoye sammelte 100 Millionen Dollar ein und Udemy 113 Millionen Dollar. Es gibt außerdem Udacity, Coursera, iTutorGroup, Pluralsight und das Universitäts-Projekt Minerva. In der Tat listet AngelList 11.812 Bildungs-Startups.

In seinem Buch The End of College: Creating the Future of Learning and the University of Everywhere beschreibt Autor Kevin Carey das Zusammenbrechen eines 4,6 Billionen Dollar schweren Marktes. Das muss nichts Schlechtes sein: Im amerikanischen College-System übersteigt die Verschuldung bei Studenten schätzungsweise 1,2 Billionen Dollar.

Aber Niel, der mit 16 auf einem Sinclair ZX81 angefangen hat zu programmieren und dann die Schule abgebrochen hat, um am Minitel, dem französischen Äquivalent zum Bildschirmtext, zu arbeiten, will das Establishment gar nicht angreifen. „Frankreich ist toll“, sagt er. „Ich habe geholfen Eintausend Startups zu finanzieren und baue auf ein gutes Verhältnis zum französischen Establishment. Ich möchte nur Unternehmern helfen“.

WIRED.uk

Dieser Artikel erschien zuerst bei WIRED.uk
Das Original lest ihr hier.

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