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Die echte Sharing Economy hat eine Chance, sie braucht nur Zeit!

von Max Biederbeck
Time is Money. Eine neue Plattform nimmt diese Weisheit beim Wort. Mit Zeit als Zahlungsmittel will sie eine wirklich soziale Sharing Economy erschaffen. Weltweit. Das Unternehmen gehört zu einer neuen Welle an Sharing-Startups, die den Ruf einer ramponierten Wirtschaftsform aufpeppeln wollen. Aber geht das?

Für Gabriele Donati könnten Namen nicht gleichgültiger sein. Bill Gates, Elon Musk, Travis Kalanick oder sonst wer. Dem 41-Jährigen ist es egal, wie viel Geld sie horten, wie kompliziert ihr Job ist, oder welchen Posten sie ergattert haben. „Wir alle haben 24 Stunden am Tag. Es spielt keine Rolle, ob ich nun Hunde ausführe oder Software-Ingenieur bin“, sagt er. An diese simple Wahrheit glaubt Donati so fest, dass er sein Business darauf aufbaut. Ein Sharing-Business, das ganz anders funktionieren soll als die Ubers und AirBnBs dieser Welt.

Der gebürtige Schweizer ist einer der Gründer von TimeRepublik. Seine Plattform ist vor einer Woche in den USA gestartet, hat schon 40.000 Nutzer in mehreren Ländern und wächst stetig. Das Unternehmen kopiert den Ansatz des Time Bankings und führt ihn ins Web 2.0: Menschen tauschen ihre Güter und Leistungen nicht mehr gegen eine Währung, sondern schieben sich Zeit hin und her.

Donati selbst hörte schon vor Jahren von dieser Idee. „In einem italienischen Zeitungsartikel mähte ein Schüler den Rasen einer alten Frau, die bedankte sich mit einem Kuchen, woraufhin der Vater des Schülers ihrem Enkel aushalf und so weiter“, erinnert er sich. Geht es nach ihm, könnte die ganze Welt auf diese Weise funktionieren.

Bei TimeRepublik angemeldet, erstellt der User ein Zeitkonto. Übernimmt er einen Auftrag, wird er mit Zeit bezahlt. Sein Aufwand wird ihm gutgeschrieben. Für diese Zeit kann er dann wiederum andere Aufträge für sich ausführen lassen. Die Plattform fungiert als Treuhänder für die Stunden der User. Geld fließt zu keinem Zeitpunkt. Ähnliche Ansätze gibt es auch in Deutschland, zum Beispiel das Talente-Tausch-Portal Exchange-me. Der Unterschied liegt im globalen Anspruch von TimeRepublik.

Doch viele sehen das Unternehmen kritisch. Das Ganze sei ein utopischer Blick auf die Funktionsweisen der Wirtschaft insgesamt und der Sharing Economy im Besonderen, schreibt etwa das Time Magazine. „Die Leute behaupten immer, es gebe einen riesen Unterschied in der Qualität der Zeit“, faucht Donati und wird in seinem New Yorker Büro richtig aufbrausend, wenn man ihn auf die Kritik anspricht. Seine Idee funktioniere anders: „Meistens denken Leute nur ans Geld, weil sie es nicht anders kennen“, ist er überzeugt. Das habe sich auch mit dem Aufkommen der Sharing Economy nicht geändert. „Aber das ist doch nichts, was man nicht wieder hinbiegen kann“, sagt Donati.

2013 war der Begriff „Shareconomy“ noch Leitthema auf der Cebit. Unternehmen wie AirBnB, Uber, DriveNow oder Moovit machten vor, wie es geht. Aber Konflikte ließen nicht lange auf sich warten: alte Wirtschaft gegen neue, Taxifahrer gegen Uber, Gewerkschaften gegen „Races to the Bottom“ um das günstigste Angebot. Dazu kommen immer neue Skandalmeldungen über Firmen wie Uber, die den Ruf der Sharing Economy Stück für Stück kaputt machten. Jüngstes Beispiel: In dieser Woche veröffentlichte das Unternehmen versehentlich die Daten von hunderten seiner Fahrer. Sozialversicherungsnummern, Autoregistrierungen, Führerscheine — all das landete im Netz.

Der Vorfall zeigte erneut, wie das eigentlich auf einer Community basierende „Sharing“ in Wirklichkeit in den Händen einiger weniger Großunternehmen liegt. Welch kleine Rolle der Nutzer nur noch spielt. Im Fall von Uber kommen zahlreiche Gerichtsprozesse, Zwischenfälle mit Fahrern und Verbalausfälle des CEOs dazu. Netzexperte Sascha Lobo bemerkte schon im vergangenen Jahr passend: „Einen Vorteil hat Ubers Aggressivität: Sie offenbart ungeschminkt das wahre Ziel der Unternehmen, die sich als Teil der sogenannten Sharing-Ökonomie betrachten — Macht.“

Denn Uber wird in der Diskussion schnell zu allem, was nicht stimmt mit der Sharing Economy. Auch Gabriele Donati kann nicht ruhig sitzen bleiben, wenn er über den Fahrdienst spricht. „Wir könnten hier jetzt Stunden darüber reden, warum solche Firmen die Idee der Sharing Economy kaputtmachen“, sagt er.

Wie kann richtiges Sharing erreicht werden?

Sharing, so definiert es die Harvard Business Review, ist „ein sozialer Austausch, der zwischen Menschen stattfindet, die sich kennen, ohne Profit dabei zu machen“. Das klingt weder nach AirBnB noch nach Uber. Vieles, was als „teilende Wirtschaft“ verkauft wird, ist in Wahrheit längst zum „Plattform-Kapitalismus“ geworden, wie Lobo schreibt. Weder seien die User die Gewinner, noch werde ein entfesselter Kapitalismus gezügelt, sagt auch Business-Insider-Autor Rob Killick: „Die echten Gewinner sind Piraten-Kapitalisten, die mit neuer Technik alte Märkte aufmischen.“

Aber ist das schon der Zerfall des Prinzips „Teilen statt besitzen“? Und handelt es sich bei Sharing-Firmen wirklich nur noch um Raubtierkapitalisten im Kommunismus.com-Pelz? David Weingartner vom Sozialen Thinktank Ouishare sieht es anders. Die Sharing Economy sei erst gehyped worden und dann wieder gefallen. Sie habe aber bis heute eine wichtige Signalwirkung auf die Wirtschaft. „Unternehmen haben gelernt, dass es ohne ihre Nutzer nicht geht, und sind deshalb wesentlich vorsichtiger geworden“, erklärt er.

Es hänge jetzt an den neuen Firmen, zu beweisen, dass nicht jeder das Uber-Prinzip verfolge. „Technik macht das möglich“, sagt Weingartner. „Firmen können ohne Probleme Daten sammeln und überprüfen, in welche Richtung sich ihr Netzwerk entwickelt.“ 94 Prozent der Initiativen streben zwar Nachhaltigkeit an, aber nur 25 versuchen, auch sie zu messen. Meistens bleiben sie auf Profit folussiert.

Aber woran lässt sich messen, ob ein Sharing-Unternehmen wirklich hehre Ziele verfolgt? „Es ist sinnvoll, sich die Ownership-Strukturen eines Unternehmens anzusehen und die Möglichkeiten für User, mitzubestimmen“, erklärt Weingartner. Stehe etwa ein Sozial-Unternehmer dahinter, sei die Wahrscheinlichkeit naturgemäß größer, dass es sich um echtes Sharing handele.

Genau als solcher sieht sich auch Gabriele Donati von TimeRepublik. Auch für ihn ist Sharing keine Utopie, sondern eine Frage der Technik. Damals, als er den Zeitungsartikel über den Apfelkuchen las, gab es noch keine sozialen Medien, kein Web 2.0 keinen global zugänglichen Pool an Expertise. Das ist jetzt anders.

Für seine Firma sieht es gut aus: Investoren kommen nur aus dem persönlichen Umkreis und die soziale Ausrichtung seines Startups wirkt glaubwürdig. „Zeit soll auch nur vorrübergehend als Währung verstanden werden“, sagt Donati. Auf lange Sicht gehe es um Vertrauen, wer einmal einander geholfen habe, würde es immer wieder tun. Wie lange sich TimeRepublik mit diesem echten Sharing-Ansatz am Markt hält, kann aber im wahrsten Sinne des Wortes nur die Zeit zeigen. 

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