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Startup? Nein, danke: Junge Deutsche haben keine Lust auf eigene IT-Projekte

von Karsten Lemm
Die Welt erobern, Millionen verdienen, das nächste Facebook werden? Lieber nicht. Junge Deutsche winken beim Thema Startups und Digitalwirtschaft eher ab. 70 Prozent der Studenten und Berufstätigen zwischen 18 und 30 Jahren können sich nicht vorstellen, für ein junges Unternehmen zu arbeiten, nur 13 Prozent steuern überhaupt eine Karriere in der IT-Branche an.

Ganz anders in Italien oder Spanien: In diesen Ländern würde jeder zweite gern auf eigene Faust sein Glück versuchen, um selbstständig seine Verdienstchancen zu verbessern. Das zeigt eine repräsentative YouGov-Umfrage im Auftrag des Vodafone Instituts für Gesellschaft und Kommunikation. Die Antworten der 6000 jungen Erwachsenen, die im Oktober in sechs europäischen Ländern befragt wurden, zeigten ein klares Nord-Süd-Gefälle: Während sich Deutsche, Engländer und Niederländer eher selten für einen Berufsweg im Digitalen interessieren, sehen junge Tschechen, Italiener und Spanier ihre Chancen auf eine bessere Zukunft gerade im Wandel, den neuen Technologien mit sich bringen.

In Deutschland bleibt der Gründergeist in der Flasche.

David Deissner, Vodafone Institute

Diese Ergebnisse haben viel damit zu tun, wie gut es der Wirtschaft im jeweiligen Land derzeit geht. „35 Prozent der gründungswilligen Italiener geben die schlechte Arbeitsmarktsituation als Motiv an“, erklärt David Deissner, Leiter für Strategie und Programme beim Vodafone-Institut. Junge Deutsche dagegen seien optimistisch, einen Job zu finden und würden „im Vergleich mit Altersgenossen aus anderen europäischen Ländern wenig Begeisterung für Unternehmertum“ zeigen, sagt Deissner. „Der Gründergeist bleibt in der Flasche.“

Als Hauptgrund, nichts Eigenes zu wagen, nannten 46 Prozent der deutschen Befragten die Aussicht auf zuviel Arbeit. 43 Prozent fürchten, wenn sie sich selbstständig machen würden, könnte das die Balance zwischen Job und Privatleben gefährden. Und 76 Prozent der deutschen „Generation Y“ fühlen sich durch zuviel Digitales in ihrem Alltag gestresst.

29 Prozent der jungen Deutschen fühlen sich nicht kompetent genug für eine Karriere im Technologiesektor.

Außer Frage steht für viele junge Europäer jedoch, dass die Digitalisierung die Arbeitswelt grundlegend verändert. Eine Minderheit sieht das positiv und erwartet, dass so mehr Jobs entstehen als wegfallen werden. Die Skeptiker hingegen — je nach Land zwischen 27 und 41 Prozent — sehen in der Digitalisierung eine Bedrohung für den Arbeitsmarkt. Das hält aber zumindest die deutschen Befragten nicht davon ab, positiv in die Zukunft zu schauen: 69 Prozent sehen im digitalen Wandel vor allem Vorteile und 43 Prozent erwarten, dass es ihrer Generation wirtschaftlich besser gehen wird als ihren Eltern.

Gut möglich allerdings, „dass sich die deutschen jungen Menschen ein bisschen zu wohl fühlen“, glaubt Deissner. Wenn sie einerseits erkennen, dass die Wirtschaft künftig mehr Digitalkundige braucht, andererseits aber wenig Interesse zeigen, selbst in der IT-Industrie zu arbeiten. Vielen fehlt außerdem das Wissen: Digital Natives mögen zwar in der Lage sein, im Sekundentakt Kurznachrichten ins Handy zu hacken — doch das Innenleben der Geräte in ihren Händen bleibt den meisten ein Rätsel. 29 Prozent der jungen Deutschen geben an, sich für eine Karriere im Technologiesektor nicht kompetent genug zu fühlen, selbst wenn sie sich dafür begeistern könnten.

Die Gefahr: Ein Land ohne Informatiker in einer Welt voller Rechenmaschinen.

Aus Expertensicht ist das fatal: „Wir brauchen gerade die Menschen mit IT-Kenntnissen“, sagt Jochen Kluve, Ökonom an der Berliner Humboldt-Universität. Denn die Wirtschaft stehe vor ähnlichen Umbrüchen wie bei der industriellen Revolution vor hundert Jahren: „Tätigkeiten, die traditionell von Menschen ausgeführt wurden, werden stärker automatisiert.“ Wenn der Computer künftig mehr und mehr Aufgaben auch von Rechtsanwälten, Steuerberatern oder Ärzten übernimmt, fallen Jobs weg, die bisher sicher schienen — während bei der Entwicklung der Expertensysteme, wie überhaupt in der Digitalwirtschaft, neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Daher seien Programmier- und Technikkenntnisse notwenig für die neuen Jobs, die entstehen würden, wenn andere wegfallen, sagt Kluve.

Es geht nicht darum, an den Schulen Programmierer auszubilden — es geht um Allgemeinwissen.

Ein Land ohne Informatiker in einer Welt voller Rechenmaschinen — um diese Gefahr abzuwenden, müssten sich vor allem Schulen dem digitalen Wandel öffnen, verlangt Julia Manske, Forscherin bei der Stiftung Neue Verantwortung, einem gemeinnützigen Think Tank in Berlin. „Derzeit ist es immer noch so, dass die jungen Leute in Deutschland wie in zwei Welten leben“, erklärt Manske: Außerhalb der Schule dominieren Google, Facebook und Snapchat — im Unterricht dagegen „wird das Handy eher ausgestellt und das Internet wenig genutzt.“

Nur drei Bundesländer — Bayern, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern — kennen Informatik als Pflichtfach, Hamburg hat Computerkunde im vorigen Jahr als Pflichtfach gestrichen. „Mit Blick auf die digitale Revolution ist das alarmierend“, sagt Manske. Es gehe nicht darum, an der Schule Programmierer auszubilden, sondern um das Vermitteln von Allgemeinwissen. „Wir sollten Interesse wecken und den Schülern helfen, ein mündiger Bürger in einer digitalen Welt zu werden“, fordert Manske.

Doch können Schulen und Universitäten auch helfen, den Unternehmergeist zu wecken? Woher nimmt Deutschland in einer Zukunft, die vom ständigen Wandel lebt, genügend Startups, um Millionen neuer Jobs zu produzieren, die anderswo wegfallen? „Deutschland ist traditionell kein Gründerland“, sagt Humboldt-Professor Jochen Kluve. Und eine boomende Wirtschaft komme dieser „kulturellen Behäbigkeit“ eher noch zugute. Ähnlich sieht das Mark Speich, Geschäftsführer des Vodafone Instituts: In Amerika, erklärt er , „beflügelt ein gesteigerter Zukunfts-Optimismus eher den Gründerwillen“ — die Deutschen dagegen würden eher immer vorsichtiger, je besser es ihnen gehe: Sicherheit geht vor Wagemut. „Das ist ein kultureller Unterschied, den man auch mit Schulfächern zum Entrepreneurship nicht so ohne weiteres wird beheben können“, sagt Speich. Zumindest solange die Konjunktur brummt.

Die wichtigsten Ergebnisse der Vodafone-Umfrage können hier heruntergeladen werden. 

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