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Zukunft der Musik / Nick Panama erfindet mit Cantora das Konzerterlebnis neu

von Jan Wehn
Die Musik in den eigenen vier Wänden bis zum Anschlag aufdrehen? Macht jeder gerne mal. In der Disko bis morgens zu bollernden Beats abtanzen? Vollkommen legitim. Aber für die meisten ist wohl ein Live-Konzert das Musikerlebnis schlechthin. Das New Yorker Startup Cantora will dieses Happening nun noch intensiver gestalten.

Die überdimensionale Pyramide, in der Daft Punk 2007 ihre größten Hits spielten, die Wiederauferstehung von 2Pac als Hologramm beim Coachella-Festival 2012 oder die gleichermaßen imposante wie irritierende Superbowl-Halftime-Show von Katy Perry in der letzten Woche — in den letzten Jahren setzt die Unterhaltungsindustrie alles daran, Live-Konzerte zu einer immer intensiveren Erfahrung zu machen.

Der Cantora-Gründer hält nicht viel von Gimmicks.

Nick Panama hält nicht allzu viel von diesen Gimmicks. „Katy Perry ist eine schlechte Performerin. Wenn wir ehrlich sind, war die Halftime-Show doch nur wegen dem ganzen Drumherum interessant“, sagt der 27-Jährige. „Dabei sollte Technik doch so weit in den Hintergrund rücken wie nötig — und dennoch so hilfreich wie möglich sein. Was das anbelangt, gehen Live-Entertainment und digitale Technologie leider noch lange nicht Hand in Hand.“ Panama will das ändern, mit seinem Startup Cantora entwickelt er das Konzerterlebnis 2.0.

Die Firma aus New York hieß früher mal Cantora Records. Das war 2005, als Will Griggs, Jesse Israel und Nick Panama auf MySpace eine Band entdeckten, deren psychedelischer Indie-Rock sie dermaßen begeisterte, dass die drei Freunde jeweils 600 Euro zusammenschmissen, eine Plattenfirma gründeten und die Gruppe unter Vertrag nahmen. Der Name der Band: MGMT.

Auch wenn deren Mitglieder schnell zu Weltstars avancierten und 2008 bei Columbia Records unterschrieben: Griggs, Isreal und Panama arbeiteten weiter am Aufbau ihres Labels und signten Indierock-Bands wie Francis and the Lights, Rumspringa oder Bear Hands. Zur Arbeit mit den Künstlern kam irgendwann das Organisieren von Partys in New York, L.A., Miami und London hinzu, auf denen Snoop Doog und Kanye West genauso auftraten wie James Murphy von LCD Soundsystem oder A-Trak.

Ab 2011 war Cantora dann nicht mehr nur ein Label und Live-Event-Organisator, sondern beriet auch Firmen, die in musikbezogene Startups investieren. „Das war zu einer Zeit, in der niemand genau wusste, wo es mit der Musikindustrie hingehen würde“, erinnert sich Panama. „Aber irgendwie haben wir gespürt, dass da etwas passiert.“ Aus einem diffusen Gefühl heraus entstand die Idee, das, was man bisher mit Künstlern getan hat, auch auf Startups für Live-Entertainment übertragen könnte. „Wir wollten kleine und vielversprechende Firmen signen und ihnen dabei helfen zu wachsen.“ Ein Label für Musik-Startups quasi.

Oberste Prämisse: Weg mit den Smartphones bei Konzerten!

Seit Ende 2014 ruht das ursprüngliche Labelgeschäft deswegen gänzlich. Stattdessen arbeitet Cantora mit Hochdruck am Konzerterlebnis der Zukunft. Oberste Prämisse dabei: Weg mit den Smartphones! „Ein Konzert ist eine sehr einnehmende Erfahrung. Du triffst dich mit Freunden, trinkst ein Bier, siehst dir eine Show an. Du lässt dich gehen und entkommst deinem Computer“, sagt Panama. „Deshalb solltest du als User nicht die ganze Zeit mit deinem Smartphone oder sonstigen Technologien herumhantieren müssen.“

Das erste Signing bei Cantora war Sonic Notify, ein Programm, das Frequenzen sendet und empfängt, die für das menschliche Ohr nicht hörbar sind — und das auch nur an Geräte, die sich in der unmittelbaren Umgebung befinden und die zugehörige App installiert haben. „Das ermöglicht es einer Band, während oder kurz nach ihrem Konzert Push-Nachrichten an ihre Fans zu senden und ihnen zum Beispiel einen Gratis-Song oder Infos über die eben das erste Mal gespielte Single mit auf den Heimweg zu geben“, erklärt Panama. 

Außerdem im Portfolio von Cantora: BioBeats. Die Idee der Firma ist es, den Biorythmus eines Menschen als Medium zu nutzen. „Jeder von uns reagiert auf Musik und gleicht zum Beispiel seinen Atem dem Rhythmus der Musik an“, erklärt Panama. Legt man seinen Zeigefinger auf Kamera und Blitzlicht seines Smartphones, kann die BioBeats-API jeden biometrischen Input, etwa den Herzschlag, messen und basierend darauf zum Beispiel eine beruhigende Playlist zusammenstellen. Obwohl BioBeats derzeit vor allem mit einer großen Krankenversicherung in England kooperiert und an der Verwendung für Bluthochdruckpatienten arbeitet, sei auch der Einsatz im Unterhaltungsbereich denkbar, sagt Panama. „Die Biorhythmen aller beim Konzert anwesenden Zuschauer könnten zum Beispiel gebündelt werden und als Produktionsinput für den Künstler auf der Bühne dienen.“

Zusammen mit Nada hat Cantora hingegen eine smarte Eintrittskarte entwickelt. „Ticketverkäufer wissen über uns nur, welche Konzerte wir gerne wann und wo sehen würden, weil wir eine Karte für bestimmte Veranstaltungen gekauft haben“, erklärt Panama. „Aber in dem Moment, in dem ich mich vor die Bühne stelle, weiß der Veranstalter eigentlich nicht mehr, was ich tue oder wie mir das Konzert gefällt.“ Das soll Nada ändern. Das Ticket wandert als Armband ans Handgelenk und wird so zu einer Plattform, die von Veranstaltern, Sponsoren oder Künstlern — je nach Aufenthaltsort des Besuchers auf dem Gelände oder in der Location — bespielt werden kann.

Wir wollen Festivals, die individuell auf Besucher und ihre Bedürfnisse reagieren.

Nick Panama

Das könnte besonders für Musikfestivals interessant sein. Treibt man sich zum Beispiel gerade ahnungslos an der kleinen Newcomer-Bühne herum, kann einen das Nada-Wearable auf das gerade beginnende Konzert des neuesten Geheimtipps hinweisen oder anzeigen, wo es Merchandise zu kaufen gibt. Interessant dürfte Nada auch für Künstler selbst sein. „Kanye West könnte sich nach seinem Konzert ganz leicht einen Überblick darüber verschaffen, wer die Tausenden von Menschen waren, die sich gerade eben seinen Auftritt angesehen haben“, sagt Nada. „Und wenn er will, kann er auch herausfinden, wer in den ersten beiden Reihen gestanden hat und diesen Einsatz seiner Fans mit exklusivem Content belohnen.“ Insofern sei Nada in seiner Genauigkeit fast so etwas wie die mächtigste Mailingliste der Welt.

Über „The Vegas 100 Venue“, das neueste Projekt von Cantora, will Panama hingegen noch nicht allzu viel verraten. Nur soviel: „Wir wollen ein Konzerterlebnis kreieren, das einen komplett in der Zeit zurückwirft — und zwar an den Punkt, an dem ein weltberühmter und bekannter Musiker in den 50er Jahren seinen großen Durchbruch hatte.“ Dabei handele es sich aber um mehr als nur eine schnöde Hologramm-Show, verspricht Panama.

„The Vegas 100 Venue“ soll laut Panama viel mehr an interaktive Theaterstücke wie „Sleep No More“ erinnern, die es den Besuchern ermöglichen, sich in riesigen Arealen frei zu bewegen. „Wir wollen nicht, dass die Leute aus der Show herausgehen und die Platte des Künstlers kaufen“, erklärt der Cantora-Mitgründer. „Sie sollen viel mehr eine gänzlich neue Erfahrung machen, indem sie eben nicht mehr nur Beobachter sind, sondern zu einem Teil der Geschichte werden. Etwa dann, wenn ein Barkeeper die Besucher beim Namen nennt oder ihre Lieblingsdrinks kennt.“ 

Auf lange Sicht geht es Cantora aber vor allem um Musikfestivals. Hier sollen alle Cantora-Produkte gebündelt zum Einsatz kommen. „Festivals folgen letzten Endes immer noch dem Konzept von Woodstock. Die Bands spielen ihren Slot runter und außer den Erinnerungen in deinem Kopf und ein paar Fotos oder wackeligen Videos bleibt nicht viel davon“, sagt Panama: „Wir wollen Festivals veranstalten, die individuell auf die Besucher und ihre Bedürfnisse reagieren können und einzigartige Erlebnisse kreieren.“

Welche Sounds werden unsere Zukunft bestimmen? Wer wird sie für uns erschaffen? Und womit? Das erfahrt ihr den ganzen Februar lang in unserem Themen-Special „Zukunft der Musik“ auf WIRED.de. 

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