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Daimler-Forscher: „Autos werden Wohnzimmer auf Rädern“

von Lars Gaede
Alexander Mankowsky wünscht sich ein Auto zum Entspannen. Der Zukunftsforscher bei Daimler erzählt im WIRED-Interview, wie man die Phantasie von Ingenieuren anregt und warum das Steuern von Autos zukünftig ein Hobby sein wird wie Pferdereiten. Wir haben ihn auf dem Weg zum SXSW-Tech-Festival in Austin gesprochen.

WIRED: Herr Mankowsky, ihre Aufgabe ist, die Zukunft der Automobilität vorherzusehen. Wie machen sie das – und was erhoffen Sie sich dabei von der SXSW?
Alexander Mankowsky: Um zu verstehen, wie die Zukunft des Autos aussehen kann oder sollte, beschäftige ich mich natürlich viel mit neuen Technologien. Vor allem aber geht es in meiner Arbeit um den Menschen. Wir verändern Technologie – aber Technologie verändert auch uns. Und wie genau das geschieht, ist für uns sehr interessant. Deshalb suche ich sehr bewusst das Gespräch und den Austausch mit Menschen, die aktiv mit Technologie umgehen und damit etwas erreichen wollen. Das können Künstler sein, Aktivisten, ganz egal. Wir bringen diese kreativen Impulsgeber ins Unternehmen oder gehen zu ihnen. Wir öffnen uns als Konzern ohnehin immer mehr für Kollaborationen und Dialoge mit Externen. Dafür spannende Leute zu finden und neue Kontakte zu knüpfen, das ist es, was ich mir von der SXSW erhoffe.

WIRED: Wie nutzt man denn Kunst für die Entwicklung neuer Ideen zum Thema Automobilität?
Mankowsky: Man muss das natürlich immer etwas übersetzen. Ich nutze Kunstwerke im Gespräch mit Designern oder Ingenieuren oft, um etwas zu visualisieren, um Optionen aufzuzeigen: Hey! Schaut euch das einmal an, das ist gerade der Zeitgeist Wollen wir so leben? Finden wir das gut? Ist das eine Utopie, der wir folgen wollen? Oder haben wir eine andere Idee für die Zukunft. Auch Science-Fiction-Filme kann man dafür wunderbar einsetzen.

WIRED: Kunst, Sci-Fi – wie kommt das an bei den Ingenieuren? Denen unterstellt man ja gerne eine eher nüchtern-rationale Sicht auf die Welt.
Mankowsky: Das Klischee des nüchtern-rationalen Ingenieurs ist Quatsch. Ingenieure sind sehr phantasievoll. Ich habe mal eine Gruppe Ingenieure gebeten, ihre Lieblingsbücher aus der Jugend mitzubringen. Das war faszinierend, dabei kam sehr schnell heraus, das viele von ihnen an etwas arbeiteten oder forschten, das in gewisser Weise schon in diesen Büchern ein Thema war: Wireless Fernbedienungen oder futuristische Vehikel zum Beispiel. Diese Ingenieure folgen also Visionen und Ideen, mit denen sie sich schon als Kind gern befasst haben. So etwas immer wieder anzustoßen und dafür Impulse zu geben, das ist mein Job. Gleichzeitig ist es aber auch immer wieder wichtig, sich zu erden und sichbewusst zu machen, mit welch langen Zeithorizonten wir es zu tun haben, wenn es um Innovationen geht.

Eine normale Autofahrt wird es so gar nicht mehr geben

WIRED: Inwiefern?
Mankowsky: Es gibt schätzungsweise zwei Milliarden Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren auf der Erde. Wir haben das einmal ausgerechnet: Selbst wenn man jetzt ein Wunder bewirken könnte und alle Auto-Fabriken der Welt über Nacht auf Elektrofahrzeuge umstellen – es würde immer noch sieben bis zehn Jahre dauern, bis sich der Markt wirklich umgestellt hätte. Denn Innovation ist ein träger Prozess. Oder ein anderes Beispiel: Heute hat ja jeder in seinem Smartphone einen Fingerabdrucksensor. Ich habe so einen Sensor in einem Consumer Product das erste Mal 2002 auf der CES gesehen. Wie lange es gedauert hat, bis diese Innovation sich durchgesetzt hat! Man muss für die Entwicklung neuer Ideen ein realistisches Zeitgefühl entwickeln – das ist unglaublich wichtig. Sonst verwechselt man ein Demo oder eine Zukunftsstudie mit der Realität und denkt: Ha, jetzt gibt es das!

WIRED: Reden wir über Autos. Die großen Trends in ihrer Industrie sind klar: autonomes Fahren, Sharing, E-Mobility und Fahrzeuge, die miteinander kommunizieren. Was aber bedeutet das ganz konkret? Wie muss man sich eine ganz normale Autofahrt in der näheren Zukunft vorstellen?
Mankowsky: Das ist schwierig, denn die eine normale Autofahrt wird es glaube ich so gar nicht mehr geben. Es wird eine Vielfalt der Möglichkeiten geben, wie man sein Auto nutzt oder nutzen kann, wenn man nicht mehr selbst fahren muss. Die eine richtet sich vielleicht ein Wohnzimmer ein, ein anderer macht vielleicht Yoga im Auto auf dem Weg ins Büro und ein Dritter nutzt gleich das Auto als Büro. Ich kann mir gut vorstellen, dass einige Menschen nur noch im Auto arbeiten und es als mobile Arbeitsstätte einsetzen, die sich modulartig mit denen von anderen verknüpfen lässt.

WIRED: Wie würde das aussehen?
Mankowsky: Gerade in Städten, in denen das Wohnen und wo auch Büroflächen im Zentrum extrem teuer sind, könnte man je nach Projekt mit anderen eine Art Cluster bilden und die Fahrzeuge temporär zu einer gemeinsamen Arbeitsstätte zusammenschließen. Das müssen auch nicht nur die typischen Laptop-Arbeiter sein. Eine Mode-Designerin könnte zum Beispiel ihr Atelier und ihre Schnittmuster dabei haben und sich mit einem Schneider und einem Stoffhändler zu einer temporären Textilwerkstatt zusammenfinden – die keinen festen Ort braucht.

WIRED: An einem Tag will ich ja nun vielleicht ein Yoga-Auto und am nächsten das rollende Büro. Heißt das, das eigene Auto wird endgültig durch Mobility-on-demand-Services abgelöst, bei denen ich mich dann eben jeden Tag für eine andere Variante entscheiden kann?
Mankowsky: Das mit dem Autos sharen klingt immer so toll. Aber ehrlich gesagt glaube ich, dass die meisten Menschen keine Lust haben, jeden Tag ein anderes Auto zu nutzen. Dann kann ich nichts darin liegen lassen, muss immer mit einem Rucksack anrücken und nach der Fahrt alles wieder ausräumen. Das ist dann eher wie ein Hotelzimmer als das eigene Wohnzimmer auf Rädern.

 

WIRED: Inwiefern eröffnen sich mit dem Innenraum des Autos, in dem niemand mehr steuern muss, auch neue Geschäftsfelder für Autounternehmen? Viele behaupten ja, dass Techunternehmen wie Google nur in das Automobilgeschäft einsteigen, weil sie die Aufmerksamkeit der Mitfahrenden monetarisieren wollen. Denken Sie über so etwas nach?
Mankowsky: Ich glaube, das Auto als Micro-Mall, in dem sich die Türen schließen und dann wirst du mit Produkten und Werbung erschlagen, ist vielleicht eine nette dystopische Idee für die Serie „Black Mirror“. Aber es ist nicht wirklich besonders wünschenswert. Was ich erstrebenswerter finde, ist das Auto als gestaltbarer Raum zum Entspannen. Ich glaube Yoga im Auto ist eine deutlich bessere Idee, als Dauershoppen auf Rädern.

WIRED: Wird es noch Gelegenheiten geben, in denen man das Lenkrad doch nochmal in die Hand nehmen wird?
Mankowsky: Ja, da wo man muss, weil die digitale Infrastruktur noch fehlt. Und sicher wird es auch Leute geben, die Autofahren als Hobby betreiben, als Sport. So wie heute einige Menschen heute am Wochenende aufs Land raus fahren, um ihr Pferd auszureiten, werden Menschen am Wochenende ganz bewusst ein Auto steuern. Nicht weil sie müssen, sondern weil es ihnen Spaß macht.

Das Gespräch fand am Rande des „Lufthansa Flying Lab“ statt, einer fliegenden Konferenz, mit der einige prominente Mitglieder der deutschen Techszene nach Houston flogen, um von dort zum South by Southwest Festival in Austin weiterzureisen.

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