Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

Kann China die deutsche Free-to-Play-Branche retten?

von Juliane Görsch
Deutsche Free-to-Play-Spiele haben es schwer im eigenen Land. Täglich gibt es mehr und mehr Konkurrenz durch weltweit agierende Studios. Analysten schlagen den hiesigen Entwicklern jetzt die Flucht nach vorne vor.

Mit aufgerissenem Mund schreit der Krieger auf dem Logo seine potentiellen Spieler an. Das Ganze sieht aus wie ein Schlachtruf – genauso gut könnte der Avatar aus dem Spiel Clash of Clans aber brüllen: „Ladet sofort meine App herunter!“ Der finnische Entwickler Supercell, der hinter dem Spiele-Hit steckt, brüllt längst auch auf dem deutschen Markt, und er ist nicht alleine. Die Konkurrenz kommt aus aller Welt. Sie sieht Clash of Clans nicht nur ähnlich, sie hat auch das gleiche Spielprinzip und mit Titeln wie Guardian Kingdom, Game of War, Lords & Knights sogar ähnliche Namen. Mittlerweile ist der Markt für deutsche Free-to-Play-Anbieter so eng geworden, dass dringend eine Lösung her muss, wenn es weitergehen soll. Venture-Kapitalisten und Marktanalytiker schlagen deshalb eine radikale Lösung vor.

Eigentlich, so wirkt es auf den ersten Blick, scheint die Konkurrenz aus dem In- und Ausland für die Entwicklerstudios kein Problem zu sein. Auch wenn alle Spiele ähnlich funktionieren, ihr Absatzmarkt wächst. Laut dem Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) konnten Free-to-Play-Spiele 2016 ihren Umsatz durch kostenpflichtige Zusatzinhalte um 17 Prozent steigern. Trotzdem ist das Wachstum für die hiesigen Entwickler zum Fluch geworden.

Im vergangenen Jahr mussten deutsche Studios vermehrt Arbeitsplätze abbauen. Das ehemals größte Unternehmen des Landes, Goodgame Studios, strich 850 Stellen. Andere Spielevertreiber fusionierten. Beim Zusammenschluss von Gamigo und Aeria Games blieben 100 Mitarbeiter auf der Strecke. Nur InnoGames konnte dem wachsenden Druck standhalten und schuf Stellen.

Die Krise wird von aufgebrauchten Investorengeldern und steigenden Werbekosten verursacht. Entwickler müssen mehr in Reklame und Ads investieren, um bei der Konkurrenz sichtbar zu bleiben. Schuld daran ist vor allem die wachsende Zahl an Anbietern aus den USA, China und europäischen Nachbarländern. Im vergangenen Jahr ist der Umsatz mit Spiele-Apps in Deutschland insgesamt zwar um 30 Prozent auf 409 Millionen Euro gewachsen. „Davon entfielen aber nur ungefähr sieben Prozent auf Spiele-Apps, die aus Deutschland stammen”, sagt Felix Falk, Geschäftsführer von BIU.

Die Analysten des Venture-Kapitalisten Atomico schlagen deshalb vor, nach China zu expandieren. Die Volksrepublik sei der umsatzstärkste Spielemarkt der Welt, und das gelte auch für Free-to-Play-Apps, heißt es in einer aktuellen Analyse der Investoren. Weil die Spieler vor Ort bisher aber vor allem von lokalen Entwicklern bedient würden, gebe es noch genug Potenzial für deutsche Anbieter. Europäische Studios generieren bisher erst sieben Prozent ihres Umsatzes in China. Die Zahlen der Analysefirma Newzoo zeigen ein ähnliches Bild.

Spiele werden in China wie am Fließband veröffentlicht. Schnell wechseln die Gamer dann zum nächsten Titel

Jens Knauber

Entwickler aus Deutschland schätzen den neuen Markt gegenüber WIRED allerdings weniger euphorisch ein. „Spieler aus westlichen Ländern haben wegen kultureller Unterschiede andere Erwartungen an das Game Design und die Nutzeroberfläche eines Spiels“, sagt Hendrik Klindworth, CEO von InnoGames, gegenüber WIRED. Mehr Potenzial als in China sieht Klindworth für sein Unternehmen in Deutschland, Europa und den USA. Von 2015 bis 2016 konnte der Spielehersteller laut eigener Aussage seine Mobile-Umsätze marktübergreifend um 68 Prozent steigern. Für die Expansion nach China seien die regulatorischen Hürden einfach zu groß, sagt Klindworth. Weil etwa Inhalte von Google geblockt würden, sei das Veröffentlichen von Android-Apps schwieriger. 

Auch Gamigos CEO Jens Knauber zweifelt an der China-Idee, obwohl sein Studio viele Spiele im Manga-Stil im Portfolio hätte. Die Nutzungsdauer in Fernost sei oft viel kürzer als in Europa. „Spiele werden dort wie am Fließband veröffentlicht. Die Gamer springen zu schnell zum nächsten Titel“, sagt Knauber. Dazu kämen andere Monetarisierungsansätze, andere Spielmechaniken oder einfach nur ein anderer grafischer Stil.

Kurzum: Zu viel Aufwand bei zu wenig sicherem Ertrag für die Studios. Wo die Wirtschaftsanalysten einen Markt sehen, glauben die Entwickler selbst nur an Probleme. Anstatt neue Spiele für fremde Märkte zu entwickeln, wollen sie weiter auf ihre angestammten Krieger setzen. Die USA, den zweitgrößten Markt der Welt, empfinden sie als attraktiver. Dort, so sagen Entwickler gegenüber WIRED, gebe es keine Zensur und der kulturelle Geschmack lasse sich mit dem europäischen vergleichen.

Aber könnten deutsche Entwickler es nicht doch mal mit ihren klassischen Produkten auf dem asiatischen Markt probieren? Felix Falk vom BIU hält das nur bedingt für möglich. „Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen, dass nur wenige Spiele gleichermaßen in Europa, Nordamerika und Südostasien beliebt sind”, sagt er. Die regionalen Unterschiede seien einfach zu groß.

Bleibt also doch erst einmal nur der ausdauernde Kampf um den deutschen Markt. Aus der Masse herauszustechen, das sagen alle Entwickler gegenüber WIRED, sei hier das Stichwort. Sie wollen nicht die nächste Kopie des  Entwicklers Supercell entwerfen, sondern eigene Akzente setzen. Auch die Finnen, die den Trend des schreienden Kriegers losgetreten haben, entwickeln sich aber weiter. Seit Mai diesen Jahres hat das Maskottchen von Clash of Clans den Mund geschlossen – statt zu brüllen, fletscht es jetzt die Zähne.

GQ Empfiehlt