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Warum das Autoland Deutschland überrollt zu werden droht

von Jana Kugoth
Typische Wetterverhältnisse, Straßenqualität und Tiere entlang der Strecke: Wer autonome Fahrzeuge entwickelt, muss sich vor allem auf lokale Gegebenheiten einstellen, sagt Experte David Silver im Interview mit Gründerszene. Warum Deutschland da trotz langer Auto-Tradition hinterherhinke? „Viel zu vorsichtig“, seien hier alle.

Nicht das Ob, sondern das Wann ist die Frage bei selbstfahrenden Autos, daran hat David Silver keinen Zweifel. Der ehemalige Experte für autonome Autos bei Ford und Robotikkenner aus dem Silicon Valley lehrt heute an der Online-Akademie Udacity. Im Interview spricht er über das moralische Dilemma, KIs in Autos künftig Entscheidungen mit überlassen zu müssen und erklärt, warum deutsche Autobauer den Anschluss verpassen könnten.

Dem autonomen Auto gehört die Zukunft, ist überall zu hören. Diese Zukunft beginnt wann?
David Silver: Schon heute fahren solche Fahrzeuge umher: Uber testet seine selbstfahrenden Autos in Pittsburg, Pennsylvania und Google in Phoenix, Arizona; NuTonomy hat sein „Labor” in Singapur. Bislang sitzt jedoch noch immer ein Sicherheitsfahrer hinter dem Steuer, der im Zweifel eingreifen kann. Der wird im nächsten Jahr auf bestimmten Strecken erstmalig wegfallen. Dann wartet die nächste Herausforderung: Wie verhalten sich die Fahrzeuge auf unbekannten Strecken?

Wo liegen die Schwierigkeiten?
Silver: Bislang testen die Firmen ihre Fahrzeuge in Städten mit optimale Bedingungen: Phoenix beispielsweise ist eine relativ junge Stadt mit breiten, geradlinigen Straßen und kaum Niederschlag. Das erleichtert die Navigation für die Systeme. In Deutschland herrscht indes vergleichsweise schlechtes Wetter mit viel Niederschlag. Die widrigen Bedingungen stellen die Sensoren und Kameras vor große Herausforderungen.

Nicht nur das Wetter ist ein Problem. In Australien kämpfen die Fahrzeuge des Autobauers Volvo mit Kängurus. Sie hüpfen zu schnell. Da kommt das System nicht mit.
Silver: Ja, solche Probleme werden sich in Zukunft häufen. Auf jedem neuen Kontinent, in jedem Land, stehen die Entwickler vor neuen Herausforderungen. In Indien treffen sie beispielsweise völlig andere Bedingungen an als in Deutschland – bezüglich Infrastruktur, Fahrverhalten, Tiere. Hier besteht noch viel Forschungsbedarf.

Was bedeutet das konkret für die Autobauer und Zulieferer?
Silver: Autonome Fahrzeuge müssen auf die lokalen Gegebenheiten abgestimmt werden. Zwar gelten heute bereits auf den verschiedenen Märkten unterschiedliche Auflagen. In Kalifornien herrschen beispielsweise andere Anforderungen bezüglich der Kraftstoffes als in den übrigen US-Bundesstaaten. Künftig werden die Fahrzeuge aber deutlich genauer an die jeweiligen Märkte angepasst werden müssen.

Mit dem autonomen Auto werden die Karten auf dem Automobilmarkt neu gemischt. Wie können Autobauer künftig noch Geld verdienen?
Silver: Eine Möglichkeit für etablierte Autokonzerne besteht darin, eine Kooperation mit einem Plattformanbieter einzugehen: Der Hersteller produzieren weiterhin die Fahrzeuge, ein anderes Unternehmen managt die Flotten. Ein Beispiel ist die Zusammenarbeit von Mercedes und Uber. Andere Autobauer wie Ford wiederum entwickeln ihre eigene Plattform und bieten Fahrzeuge und Dienstleistungen für Logistikkonzerne an.

Welche weiteren Geschäftsmodelle sind denkbar?
Silver: Eine weitere Einnahmequelle bieten die Daten. Die autonomen und vernetzten Autos sammeln immer mehr Informationen über ihre Umgebung und ihren Fahrer. Diese lassen sich wiederverwerten und monetarisieren. Eine andere Strategie verfolgt Tesla. Der E-Autobauer aus dem Silicon Valley setzt auf das traditionelle Geschäftsmodell.

Was meinst Du damit?
Silver: Tesla will weiterhin Autos an den Privatmann verkaufen – als Statussymbol. Die Automatisierung treibt der Autobauer aus dem Silicon Valley nur insofern voran, indem er seine E-Fahrzeuge mit immer mehr Features ausstattet und dadurch das Fahrassistenz-System perfektioniert – solange, bis das Auto vollständig alleine fährt.

Neue Erfindungen rund um das autonome Fahrzeug beschäftigen auch die Gründerszene im Silicon Valley und in Deutschland. Wo siehst Du in den nächsten Jahren die größten Potenziale für Jungunternehmer?
Silver: Zentrale Herausforderung ist die Entwicklung hochauflösender Karten. Für autonome Autos ist die Orientierung per GPS nicht genau genug, Kameras und Sensoren müssen zusätzliche Daten erfassen. In diesem Bereich sehen wir schon heute neue Player, wie den Geodatendienst Here.

Was wird sich außerdem verändern?
Silver: Ein weiteres Feld ist die Bewirtschaftung von Parkplätzen. Künftig werden die Flotten in Standzeiten in riesigen Parkhäusern gelagert werden. Weiterhin stellt die Entwicklung autonomer Autos die Versicherungsbranche auf den Kopf. Auch hier werden wir künftig neue Produkte und Player sehen.

Für Entwickler sollte der Fokus immer darauf liegen, Leben zu retten

Ein anderes Thema: Fahrerlose Autos sollen die Sicherheit auf der Straße erhöhen, so das Versprechen. Dennoch werden sich Unfälle auch künftig nicht vermeiden lassen. Welche Rolle spielen solche Fragen bei Deiner Arbeit als Programmierer?
Silver: Genau wie Du schon sagtest, ist das Versprechen von selbstfahrenden Autos, die Sicherheit auf der Straße zu erhöhen. Derzeit gibt es jährlich schätzungsweise 1,25 Millionen Verkehrstote auf der Welt. Davon rund 3.500 in Deutschland. Das Ziel des Nanodegrees „Self-Driving Car Engineer”, den wir bei Udacity entwickelt haben, ist es, die Lernenden auf die Entwicklung von selbstfahrenden Autos vorzubereiten und diese Zahlen stark zu reduzieren. Das kann dazu beitragen tausende Leben zu retten. Gerade aus diesem Grund können die Kursteilnehmer das Modul „Functional Safety“ als eines der Wahlfächer während des Nanodegree-Programms wählen. Allerdings orientiert sich das gesamte Programm daran, Verkehr und Transport besser und sicherer zu machen.

Wie entscheidet ein Roboterauto, wenn es unausweichlich entweder zu einem Crash mit einer 80-jährigen Frau oder eine Gruppe mit fünf Kindern kommt?
Silver: Die Frage nach der Wahl zwischen einer 80-jährigen Frau oder einer Gruppe von Kindern ist im Grunde eine philosophische. Für Entwickler sollte der Fokus immer darauf liegen, Leben zu retten. Aus technischer Sicht jedoch, berechnet das Fahrzeug bei jeder Entscheidung eine Kostenfunktion. Diese Kostenfunktion prognostiziert Schritte in die Zukunft und identifiziert die Entscheidung mit dem niedrigsten Kostenfaktor. Allerdings arbeiten Entwickler und die Industrie daran, solche Entscheidungen zu vermeiden.

Sollten ethische Fragen ein Teil der Ausbildung von Softwareingenieuren werden?
Silver: Langfristig schon, ja. Derzeit liegt der Fokus allerdings auf den technischen Aspekten: Wie arbeiten Sensoren und Kameras, wie vernetze ich das Auto in der Cloud? Ethische und moralische Fragen werden dann in den Mittelpunkt rücken, wenn die Fahrzeuge auf der Straße sind.

Aus der Perspektive des Silicon Valley: Welche Rolle spielt Deutschland bei der Entwicklung autonomer Fahrzeuge?
Silver: Die deutsche Automobilindustrie hat viel Erfahrung – und spielt damit eine entscheidende Rolle. Deutschland gilt als Autonation mit langer Tradition und verfügt über ein breites Branchenwissen. Darauf können VW, Mercedes und Co sowie auch die Zulieferer bei der Entwicklung neuer Technologien zurückgreifen.

Dennoch droht die Branche, von neuen Playern überholt zu werden. Was rätst Du den deutschen Autobauern, um den Anschluss nicht zu verpassen?
Silver: Deutsche Autobauer sind zu vorsichtig. Neue Player wie Tesla und Co. gehen viel offensiver vor, sie entwickeln innerhalb kürzester Zeit neue Fahrzeuge, bringen sie auf die Straße und testen sie unter realen Bedingungen. Dazu rate ich auch den traditionellen Unternehmen: Sie müssen das Tempo erhöhen, sonst werden sie von den Apple, Google, Uber und Co. überrollt

NGIN Mobility

Dieser Artikel erschien zuerst bei NGIN Mobility
Das Original lest ihr hier.

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