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Ohne Worte: Zu Besuch in der GIF-Fabrik von Giphy

von Lars Gaede
Trinken zwei Philosophen Bier und diskutieren, was mächtiger ist – die Sprache oder das Bild. Was kommt dabei heraus? 1. ein blaues Auge. 2. zwei blaue Philosophen. Oder 3. eine Firma, die 300 Millionen Dollar wert ist? Die Lösung findet sich in einem Büro in Manhattan: ein loftartiger Raum, lange Tischreihen, unverputzte Säulen voller Sticker, mittendrin: Alex Chung, CEO von Giphy.

Dieser Artikel erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des WIRED Magazins im Juni 2016. Wenn ihr die Ersten sein wollt, die einen WIRED-Artikel lesen, bevor er online geht: Hier könnt ihr das WIRED Magazin testen.

Am Ende eines bierseligen Abends im Winter 2012 diskutierte der studierte Philosoph und Computerwissenschaftler mit seinem Kumpel Jace Cooke darüber, wie eine Welt aussähe, in der bewegte Bilder alles und die geschriebene Sprache nichts mehr be­deuten würden – frei nach einer Idee des Theoretikers Mitchell Stephen und dessen Buch The Rise Of The Image, The Fall Of The Word.

Chung findet: „Das GIF ist das perfekte Beispiel für die­se Evolution von Sprache: Die Zahl der Wörter im Oxford English Dictionary wächst jedes Jahr, aber die Zahl der GIFs wächst exponentiell schneller. Und damit die Möglichkeit, sich mit Bildern auf eine neue Art auszudrücken.“ Chung und Cooke entwickeln eine Such­maschine für GIFs. Heute, knapp drei Jahre später, hat Giphy 150 Millionen Unique Visitors pro Monat, 79 Millionen Dollar von Investoren eingesammelt – und einen Marktwert von 300 Millionen. Die Lösung ist also: 3. Und vielleicht ein wenig: 2.

Das Graphics Interchange Format, kurz GIF, diente Ende der Achtziger dazu, farbige Animationen und kleine Filme so zu komprimieren, dass man sie auf den damaligen Rechnern zum Laufen bekam. Ein ideales Format also auch für das mobile Internet. Und doch haben die Minifilme in Dauerschleife heute auch eine andere Funktion: Sie werden zu einer Art Universalsprache der digitalen Kommunikation.

Denn GIFs sind vielfältiger als Emojis oder Smileys – von der repetitiven Silliness eines di­gitalen Wackeldackels bis zum kunstvollen Foto einer Frau in Schwarz-Weiß, in dem sich nur die Augen öffnen und schließen. Dazu kommt eine Art digital-nostalgischer Charme, den die krisseligen Bilder erzeugen – ähnlich wie 8-Bit-Sounds und pixelige Retrospiele. Ein GIF ist die schnellste Möglichkeit, eine echte Erzählung aufzubauen: „Eine gute Geschichte baut einen Spannungsbogen vom Anfang über die Mitte bis zu ihrem Ende“, sagt Chung „In nur drei Frames kriegt man alles unter: Anfang, Mitte, Ende.“

Giphy sitzt auf einem Berg noch unveröffentlichter GIFs. Inzwischen konzentriert sich das Team aber auf die Produktion neuer GIFs – größtenteils automatisiert und in Echtzeit. Automatisierte Kreativität also. Giphy zerschnipselt dafür Material, das Film­studios, TV-Sender, Labels oder NFL und NBA der Firma überlassen. Giphy-Redakteure „giffen“ live bei politischen Debatten und Großevents wie den Oscars.

Das Motto von Giphy: Gib mir deine Inhalte, und ich mache sie innerhalb von Sekunden für Hunderte Millionen Menschen suchbar, nutzbar, zugänglich – über die Website, Twitter, Tinder, Slack, Facebook, Outlook, Mailchimp –, all die Plattformen, die Giphys API integriert haben. „Wir haben ein Massendistributionssystem, das sonst niemand hat. Unsere Partner bekommen über unsere GIFs Hunderte von Millionen Views für ihren Content, die sie sonst nicht bekämen.“

Das ist auch für jeden interessant, der etwas zu vermarkten hat. Sei es eine neue Staffel von Game Of Thrones oder ein neuer Burger, der dann eben als erstes GIF auftaucht, wenn jemand „hungry“ eintippt.

Das Geniale und etwas Gruselige ist, dass diese Art der Werbung Einzug in die Unterhaltungen von Menschen hält – ohne dass diese das als Werbung verstehen. „Das ist wie in der Mode, die Menschen tragen, um sich auszudrücken, aber damit gleichzeitig als Werbeplakat für die Marke herum­laufen“, sagt Chung. Jeder GIF-Versender wird zum Botschafter für die Marken, die ihren Content an Chung und seine Firma verschenken – oder eben dafür zahlen, um auf der Plattform an prominenter Stelle aufzutauchen.

So ist es nur konsequent, dass Giphy in einem eigenen GIF-Studio an neuen Produktionen arbeitet. Zusammen mit einem Netzwerk von mehr als 500 Künstlern und Designern, um Firmen maßgeschneiderte Minifilmchen liefern zu können. Wäre Giphy selbst ein GIF, könnte es also zwei angeschwipste Philosophen zeigen, die beim Versuch, sich zuzuprosten, selig grin­send von den Stühlen kippen. Und dann wieder von vorn.

Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Sommerausgabe von WIRED. Auch noch mit dabei: Kreativitäts-Multitalent Miranda July, das Fußball-Zukunftslabor von Adidas und die Anti-Hacker-Strategie der Bundeswehr.

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von WIRED Staff