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Amazons Technikchef erklärt, warum Cloud-Dienste „Schmerzbehandlung für IT-Abteilungen“ sind

von Karsten Lemm
Das erfolgreichste Angebot von Amazon kennt außerhalb der Geschäftswelt kaum jemand – obwohl wir alle es ständig nutzen: Internetangebote von Airbnb bis Zynga verlassen sich auf Amazon Web Services, ein Paket aus Cloud-Diensten. Selbst Netflix lässt seine Videos vom Konkurrenten Amazon streamen. Was erklärt diesen Erfolg? Zum zehnjährigen Jubiläum hat WIRED mit Amazon-CTO Werner Vogels gesprochen.

Glück gehabt. Nicht nur, aber auch. „Glück spielt eine enorme Rolle bei jeder Unternehmung“, schreibt Amazon-Gründer Jeff Bezos in seinem jüngsten Brief an die Aktionäre, „und ich kann Ihnen versichern, wir haben reichlich davon gehabt.“ Das ist erfrischend offen, aber auch ein wenig Flirten mit einem Erfolg, den anfangs viele angezweifelt hatten: Als Amazon im Frühjahr 2006 damit anfing, Speicherplatz auf seinen Servern zu vermieten, hielten Kritiker den frühen Cloud-Dienst für ein teures Abenteuer, das nur vom Kerngeschäft ablenken würde.

Selten so geirrt. Heute, zehn Jahre später, sind die Amazon Web Services, kurz AWS, zum profitabelsten Teil des Internet-Großhändlers geworden: Bei 7,9 Milliarden Dollar Umsatz blieben im vorigen Jahr knapp 1,9 Milliarden Dollar Gewinn vor Steuern übrig. Mehr als eine Million Kunden, darunter Startups ebenso wie Adobe, Expedia oder Yelp, kaufen sich bei Amazon Rechenleistung, Speicherplatz und Datenanalyse-Möglichkeiten – immer so, wie es gerade gebraucht wird. Das ist günstiger, als eigene Server-Farmen zu betreiben, und erlaubt es selbst Jungfirmen mit einer Handvoll Mitarbeitern, Weltkonzerne herauszufordern.

In Deutschland nutzen zwei Drittel aller Dax-Unternehmen die Amazon-Cloud, und Frankfurt am Main gehöre zu den am schnellsten wachsenden Regionen für das Geschäft, gab Amazon am Dienstag auf dem AWS Summit Berlin bekannt.

Natürlich sind inzwischen auch andere aufgewacht: Microsoft, Google, IBM und diverse andere Verfolger versuchen, Amazon Kunden abzujagen. Was tut der Marktführer, der ein Drittel aller Cloud-Kunden für sich gewonnen hat, um vorn zu bleiben? WIRED hat am Rande des AWS Summit mit Amazon-Technikchef Werner Vogels gesprochen.

WIRED: Herr Vogels, wie passt das Verkaufen von Rechenzeit und Datenanalyse zum Geschäft mit Küchenmixern, Hausschuhen und Sachbüchern?
Werner Vogels: Wir haben immer schon genau darauf geschaut, was wir besonders gut können und ob sich daraus ein Geschäft für uns ergeben könnte. So ist zunächst unsere Verkäuferplattform entstanden, die es anderen Händlern erlaubt, ihre Produkte auf Amazon anzubieten. „Warum macht ihr das?“, haben anfangs viele gefragt. Aber wir fanden, dass es allen Beteiligten hilft: Das Angebot wird größer, die Händler profitieren von unserer Erfahrung mit dem Abwickeln von Bestellungen, und wir bekommen eine zusätzliche Einnahmequelle. Dann fiel uns auf, dass viele Startups damit kämpften, beim schnellen Wachsen eine eigene IT-Infrastruktur aufzubauen, und wir haben uns gesagt: „Moment mal, damit kennen wir uns aus!“

WIRED: Also Computer-Power aus dem Internet? Wie konnten Sie sicher sein, dass überhaupt jemand danach verlangen würde?
Vogels: Es war eine von diesen „großen Wetten“, wie Jeff Bezos das gern nennt. Keiner konnte ahnen, wie schnell Amazon Web Services wachsen würde – aber uns war von Anfang an klar: Wenn es funktioniert, wird es ein enormer Erfolg. Jetzt, nach zehn Jahren, peilen wir zehn Milliarden Dollar Umsatz an, und ich glaube, man kann sagen, dass wir die Computerwelt verändert haben.

WIRED: Wie viele Server stehen in den Rechenzentren der Amazon-Cloud?
Vogels: Viele!

WIRED: Hunderttausende?
Vogels: Wir machen dazu keine genauen Angaben. Aber es kommen täglich neue hinzu. Wir entwickeln unsere Hardware selbst, wir bauen die Rechner zusammen und erweitern die Kapazität unserer Datencenter pausenlos, an 365 Tagen im Jahr.

Wir kämpfen noch damit, die Vorteile der Cloud klar herauszustreichen.

WIRED: Viel Geld, das Sie erstmal investieren müssen – und die Preise fallen, weil die Konkurrenz wächst.
Vogels: Es stimmt: Wir haben bisher 51 Mal die Preise gesenkt. Aber das geschah nicht ein einziges Mal als Reaktion auf Konkurrenzdruck, sondern immer nur, weil sich unsere Kostenstruktur verbessert hatte. Bei mittlerweile mehr als einer Million Kunden ergeben sich erhebliche „Economies of Scale“, also Ersparnisse zum Beispiel dadurch, dass sich Anschaffungen auf eine größere Zahl von Nutzern verteilen. Außerdem arbeiten wir ständig daran, die Effizienz unserer Datencenter zu erhöhen – beim Stromverbrauch, bei der Kühlung, im Aufbau der Netzwerke und in vielem mehr. Das geben wir an unsere Kunden weiter, sobald wir unsere eigene Gewinnmarge erreicht haben.

WIRED: Sie erzählen das so, als würden Sie auf Ihre Verfolger im Rückspiegel gar nicht weiter achten.
Vogels: Es gibt unterschiedliche Strategien, ein Geschäft zu führen. Im einen Fall schaut man sehr genau darauf, was Konkurrenten tun, und versucht, sich an ihnen zu orientieren. Das kann eine gute Strategie sein, sie ist nur nicht unsere. Wir achten lieber ganz genau darauf, was unsere Kunden sagen, und lassen uns von ihnen den Weg in die Zukunft weisen. Das scheint uns die bessere Strategie, um anderen voraus zu sein.

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WIRED: Worin sehen Sie die größte Herausforderung?
Vogels: Viele Unternehmen ringen immer noch mit der Entscheidung: „Sollen wir eigene Hardware kaufen oder unsere Daten in die Cloud verlegen?“ Mit der Zeit wird sich das sicher von allein erledigen, aber im Moment kämpfen wir noch damit, die Vorteile der Cloud klar herauszustreichen – etwa, dass man sich keine Sorgen über Rechenleistung, Speicherplatz oder Kapitaleinsatz machen muss. Oder dass es möglich wird, per Mausklick auch in Australien oder China präsent zu sein.

WIRED: Wenn die Vorteile aus Ihrer Sicht so deutlich sind, warum zögern viele Unternehmen weiterhin mit dem Umstieg?
Vogels: Aus Tradition. „Das haben wir immer schon so gemacht, und so machen wir es auch weiterhin.“ Mehr und mehr Unternehmen allerdings erkennen, dass das Risiko, vom digitalen Wandel überholt zu werden, größer ist denn je. Und viele sind sehr daran interessiert, Cloud-Dienste zu nutzen, weil sie in der Lage sein wollen, schneller zu reagieren, um die Herausforderung zu meistern, die sich durch immer neue Konkurrenten ergibt. Man sieht das zum Beispiel an der Finanzindustrie: Viele Bereiche werden von Startups angegriffen, die versuchen, den Banken die Butter vom Brot zu nehmen.

WIRED: Sie sind dabei mit Ihren Cloud-Diensten zum besten Helfer vieler Startups geworden.
Vogels: Es ist großartig, Innovationen mit voranzutreiben. Schauen Sie sich internationale Geldüberweisungen an: Viele Philippiner arbeiten in Hongkong oder Singapur und schicken ihren Familien, die daheim bleiben, Geld. Traditionell verlangen Banken dafür hohe Gebühren. Jetzt müssen sie sich gegen Startups wie Coins.ph behaupten, die sie deutlich unterbieten. Die Banken wiederum erkennen, dass ihre größte Konkurrenz nicht mehr von anderen Banken kommt, sondern von Startups. Also fangen sie an, sich neu zu positionieren, um eigene Digitaldienste anzubieten. Auch solche, die weit über ihr Kerngeschäft hinausgehen – Risikomanagement zum Beispiel oder innovative Versicherungs-Angebote.

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WIRED: Was im Gegenzug die Versicherungen herausfordert.
Vogels: Ja. Aber schauen Sie sich Talanx an: Das ist ein sehr traditionelles deutsches Unternehmen, mehr als 100 Jahre alt. Das Management erkannte früh, wie wichtig Datenanalyse ist, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Heute zählt Talanx zu unseren bedeutendsten Kunden: Cloud Computing steht im Zentrum des Unternehmens, und ein Großteil der neuen Geschäftsfelder dreht sich um Datenanalyse. Das war früher gar nicht möglich. Solche Veränderungen sehen wir in zahlreichen Branchen, und immer führt der einfache Zugriff auf Rechenkraft und andere Computerressourcen dazu, dass kleine Firmen plötzlich die Möglichkeit haben, mit weit größeren Unternehmen zu konkurrieren.

Unsere Dienste müssen von sich aus so verlockend sein, dass Kunden freiwillig bleiben.

WIRED: Sie bieten inzwischen mehr als 70 Dienste. Fehlt noch etwas?
Vogels: Wir sagen oft, halb im Spaß: Unser Geschäft ist Schmerz-Behandlung für die IT-Abteilung. Soll heißen: Alles, was Unternehmen technisch Probleme bereitet, sollten wir übernehmen, damit unsere Kunden die Freiheit haben, sich ganz auf ihr eigentliches Geschäft zu konzentrieren – auf das, was sie von anderen abhebt und einzigartig macht.

WIRED: Ist es wirklich schlau, sich ganz in die Hände eines Cloud-Anbieters zu begeben? Klingt nach Gefängnis.
Vogels: Einsperren würde uns nichts bringen. Cloud-Dienste müssen von sich aus so verlockend sein, dass Kunden freiwillig bleiben. Deshalb gibt es keinen Zwang, bei AWS zu bleiben, und wir machen es so einfach wie möglich, im Zweifel alle Daten mitzunehmen.

WIRED: Können Sie sich vorstellen, dass die Amazon-Cloud-Dienste eines Tages größer werden als das ursprüngliche Geschäft?
Vogels: Jeff Bezos hat bereits gesagt, dass er das kommen sieht. Ich weiß es nicht, ich habe keine Kristallkugel. Die letzten zehn Jahre sind wie im Flug vergangen, und wir sind stolz auf das, was wir so schnell erreicht haben. Aber auch das herkömmliche Amazon-Geschäft wächst weiterhin sehr stark. Ob es uns gelingt, das einzuholen – wir werden sehen. Ich freue mich auf die Herausforderung. 

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