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Die Werbeindustrie hat endlich weniger Einfluss – dafür andere mehr

von GQ
Google gibt sich genervt vom Video-Autoplay und Apple verringert die Tracking-Möglichkeiten: Weniger Bevormundung also? Nun ja, meint unser Kolumnist. Letztlich verschiebt sich da nur einiges. Und es geht noch immer ums Geldverdienen.

In den frühen Zeiten des Webdesigns – so gegen Ende der Neunziger – gehörte es zum guten Ton und Stil eines html-Programmierers, Links zu anderen Websites im gleichen Fenster öffnen zu lassen. So, wie es anfangs gedacht war: Man ist auf einer Website, klickt einen Link und gelangt damit zur nächsten.

Browser hatten damals noch keine Tabs, der html-Code target=„_blank“ innerhalb eines Links führte also bei einem Klick dazu, dass sich ein komplett neues Browser-Fenster öffnete. Nach dem Klicken mehrerer Links sahen sich Nutzerinnen und Nutzer schnell einem unüberschaubaren Wust von Fenstern gegenüber, und Coder, die etwas auf sich hielten, bevormundeten Nutzer_innen daher nicht in dieser Weise. Schließlich konnten Besucher_innen einer Website selbst entscheiden, ob sie einen Link in einem neuen Fenster öffnen wollten: Sie klickten, während sie gleichzeitig die STRG- beziehungsweise die Command-Taste auf ihren Keyboards drückten (oder die rechte Maustaste nutzten).

Die html-Abteilung weinte und stampfte, doch wer bezahlt, bestimmt das Link-Target

Der Coder-Ethos hielt nicht lange, denn die Werbung hielt Einzug ins Web und es galt, Menschen möglichst lange auf der eigenen Website zu halten. Externe Links waren in den Chefetagen ohnehin nicht gern gesehen, wenn sie aber unbedingt sein mussten, sollten Besucher_innen unter keinen Umständen die eigene Firmen-Site verlassen. Alle externen Links mussten in neuen Fenstern geöffnet werden (am besten noch hinter dem gerade geöffneten). Die html-Abteilung weinte und stampfte, doch wer bezahlt, bestimmt das Link-Target.

Inzwischen wäre eine Debatte über das Ziel eines Links vermutlich lächerlich. Wir wissen sowieso nie, was bei einem Klick passiert. Vielleicht geht ja ein neues Fenster auf und ein Ad-Video läuft durch „Autoplay“ völlig ohne unser Zutun los und plärrt furchtbare Retorten-Musik oder eine anbiedernde Werbestimme durch die Büroräume oder in die Kopfhörer. So wollte es die Marketing-Abteilung, die schließlich den Content finanziert. Und damit das Website-Publikum bevormundet.

Doch selbstlaufende Videos nerven. Findet sogar Google. Und so unterbindet das Unternehmen in der neuen Version seines Chrome-Browsers Autoplay-Videos (eine Funktion, die sich für Googles Video-Plattform YouTube selbstverständlich abschalten lässt). Endlich keine selbstlaufenden Videos mehr! Endlich keine Bevormundung durch die Werbeindustrie mehr! Endlich nur noch Bevormundung durch … Google.

Denn so, wie wir uns als Nutzerinnen und Nutzer durch selbstlaufende Videos drangsaliert sehen, sehen sich nun natürlich die Werbetreibenden durch Google entmündigt. Schließlich haben sie ihre Ads absichtlich so programmiert, dass sie sofort loslaufen und auf sich aufmerksam machen. Was erlaubt sich also Google, in diese Entscheidung einzugreifen?

Oder Apple! „Sabotage“ wird dem Unternehmen vorgeworfen, das in den neuesten Versionen seiner Betriebssysteme iOS 11 und macOS High Sierra das User-Tracking durch Setzen von Cookies weitestgehend verhindern will. Das Internet-Verhalten von Nutzerinnen und Nutzern soll dadurch weniger ausspähbar werden.

Und auch an dieser Stelle läuft die Werbeindustrie Amok. Nicht nur einzelne Geschäftsmodelle, sondern gleich „das ganze ökonomische Modell des Internets“ würde Apple mit dieser Funktion zerstören. „Tief besorgt“ sei man  darüber. Apple verderbe den Kunden quasi den Spaß – Entschuldigung: die Experience – vieler toller Online-Werbe-Erlebnisse.

Apple dürfte das einerseits kalt lassen. Seitdem das Unternehmen beschlossen hat, sein Geschäftsmodell nicht wie viele andere auf die Auswertung von Nutzerdaten auszurichten, sondern Umsätze mit dem Verkauf von vergleichsweise hochpreisigen Geräten und Apps zu generieren und den Kunden damit besseren Schutz ihrer Privatsphäre anzubieten, sind Schritte wie integrierte Ad- oder Tracking-Blocker eher förderlich für Apples Image und Verkäufe bei denen, die es interessiert.

Andererseits geht das Unternehmen mit dem Aussperren von Werbe-Funktionen Dritter das Risiko der Isolation ein. Sollte sich eine ganze Industrie weiter auf das Geschäftsmodell des Nutzer-Trackings einigen, steht Apples Haltung vielen Kooperationen und auch Software-Öffnungen zu anderen großen Playern im Wege. Denn einige Partner verlangen im Tausch gegen Kooperation oder Öffnung genau die Nutzerdaten, die Apple bisher nicht weitergeben will.

Werbung nervt. Und Tracking nervt noch mehr

Für Google, deren Umsätze sich zum größten Teil aus der Analyse eben dieser Nutzerdaten und dem Verkauf von Werbung generieren, dürfte die im Browser integrierte Autoplay-Bremse ein Test sein. Google fährt auf gewissermaßen schizophrene Art zweigleisig, denn vielleicht – vielleicht! – sieht auch die Ad-Industrie ja langsam der Tatsache ins Gesicht: Werbung nervt. Und Tracking nervt noch mehr. Und so setzen immer mehr Nutzerinnen und Nutzer auf externe Tools, um Anzeigen oder Tracking-Cookies zu unterbinden, Tools, die bisher von Dritten angeboten werden.

Wohin sich der Markt und die Refinanzierung von Websites und den betreibenden Unternehmen bewegt, ist derzeit schwer abzuschätzen, ein Ende der ausspähenden Werbetracker ist allein schon durch die Machtstellung von Facebook als einem der größten Tracker sicher keine Sache von wenigen Wochen. Doch Googles und Apples Vorstöße können als erste Zeichen dafür gedeutet werden, dass sich einige Leute Gedanken machen.

Ob das am Ende eine Verteuerung von Hard- und Software, mehr Paywalls oder andere Bezahlmodelle für Online-Inhalte bedeutet, wissen wir nicht. Eine Mischung daraus und gerne auch neue Ideen wären mir persönlich jedenfalls lieber als die weiterlaufende Komplettüberwachung meines Online-Verhaltens. Wenigstens die Möglichkeit zu haben, ein paar Euro zum Beispiel für die Nutzung von Gmail zu bezahlen und dafür die Gewissheit zu kaufen, dass die Meta-Daten meiner Mails eben nicht ausgewertet werden – das wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung.

So viel wird geredet über das Ende alter Geschäftsmodelle, und meistens denken wir dabei an Branchen, mit denen unsere Großeltern aufgewachsen sind. Vielleicht gehört ja aber Online-Werbung längst zu den überholten Geschäftsmodellen und ist ebenfalls bald fällig. Disruption, Baby! Aber anders, als ihr das gedacht habt.

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